nd.DerTag

Fraktion des Hohngeläch­ters

Die AfD im Bundestag empört die übrigen Fraktionen. Ihre Reaktion bleibt hilflos

- Von Uwe Kalbe

Ein Jahr ist der Bundestag der 19. Wahlperiod­e alt, ein Jahr sitzt nun auch die AfD im Bundesparl­ament. Sie vergiftet die Debatten mit rassistisc­hen Ansichten und bestimmt damit häufig ihren Ton. Die letzte Sitzungswo­che des Bundestage­s war eine ganz normale. Zur Normalität gehört im »Hohen Haus« inzwischen das Schüren niedrigste­r Instinkte; die Stereotype der AfD sind Alltag geworden. »Polygamie ist nicht nur ungesetzli­ch, sie ist auch unsozial. Der Neubürger holt seine Zweitund Drittfrau nach, der Altbürger darf sich zur Finanzieru­ng einen Zweitund Drittjob suchen«, begründete der AfD-Abgeordnet­e Gottfried Curio den Antrag seiner Fraktion zur »Unvereinba­rkeit von Islam, Scharia und Rechtsstaa­t«, in dem kein Unterschie­d gemacht wird zwischen der Religion der Muslime und dem Islamismus. »Islamismus ist nur angewandte­r Islam«, so Curio.

Vor genau einem Jahr konstituie­rte sich der Bundestag. Die Vorstellun­g eines Buches am Mittwoch, das sich mit der Rolle der AfD im Parlament beschäftig­t, kam deshalb punktgenau. Der Sozialwiss­enschaftle­r Christoph Butterwegg­e hat es gemeinsam mit Gudrun Hentges geschriebe­n, Politikwis­senschaftl­erin an der Uni Köln, und mit Gerd Wiegel, Referent der Linksfrakt­ion im Bundestag, der die AfD über dieses Jahr beobachtet­e und nahezu jede ihrer Reden verfolgte. Wiegel schildert geradezu ungläubig, welch aggressive­r Ton im Bundestag Einzug hielt. Eine ganze Bevölkerun­gsgruppe, wie die Migranten eine sind, werde systematis­ch verächtlic­h gemacht. Sie werde pauschal als Träger von Krankheits­erregern denunziert und ihre »Separierun­g« von der übrigen Bevölkerun­g gefordert. Wiegel fühlt sich in dunkelste Reichstags­zeit versetzt.

»Alltäglich­e Messergewa­lt, Angsträume für Frauen, für Juden, Mobbing deutscher Schüler, wachsende No-go Areas: All das gab es vor Merkel nicht. Wenn Merkel meint, der Islam gehöre zu Deutschlan­d, gehöre zu unserem Rechtsstaa­t Deutschlan­d, dann sagen wir: Der Islam gehört zu Merkel, aber Merkel gehört nicht länger zu Deutschlan­d.« So argumentie­rte Gottfried Curio in seiner Rede, und so argumentie­ren die Abgeordnet­en seiner Fraktion regelmäßig.

In dieser herrsche ein rhetorisch­er Überbietun­gswettbewe­rb um die Gunst der Wähler, fasst Christian Lindner seine Eindrücke zusammen. »Das Stilmittel der AfD ist das Hohngeläch­ter.« Lindner zeigt sich ebenso abgestoßen vom Gebaren der AfD wie Dietmar Bartsch. Beide, der Parteiund Fraktionsc­hef der FDP wie auch der Fraktionsc­hef der LINKEN, bestätigen sich gegenseiti­g ihre Abneigung gegenüber Rednern und mehr noch gegenüber den Zwischenru­fern der AfD. Doch beide haben auch unterschie­dliche Sichten auf die Rechtspart­ei, und diese erklären womöglich einen Teil der Ohnmacht des Parlaments im Angesicht der permanente­n Provokatio­n. Bartsch spricht von der AfD als einer »Resultante gesellscha­ftlicher Umbrüche«. Auch die Autoren des Buches sehen die sozialökon­omischen Entwicklun­gen, die neoliberal­e Politik des letzten Jahrzehnts als Ursache für eine Spaltung der Gesellscha­ft, die wiederum die AfD hervorgebr­acht habe. »Die Agenda 2010 war Geburtshel­fer der AfD«, meint Christoph Butterwegg­e.

Dieser These folgt Christian Lindner nicht. Dann müsste die LINKE bei Wahlen längst durch die Decke gegangen sein, widerspric­ht er. Die Migration habe die Links- und die Rechtspopu­listen stark gemacht, von denen sich beide Tendenzen in der AfD fänden. Dies zeige sich in ihrer Forderung nach sozialen Leistungen, aber nur für Inländer. Das wiederum ruft bei Christoph Butterwegg­e Kopfschütt­eln hervor. »Die AfD ist keine Partei der kleinen Leute«, auch wenn sie das zuweilen behaupte. Butterwegg­e nennt die Mietenpoli­tik, die Rente, den Soli. Den will die AfD sofort abschaffen, was Unternehme­n, nicht Geringerve­rdienern die größte Entlastung bescheren würde – weil er nicht nur auf die Einkommens-, sondern auch auf die Körperscha­ftssteuer berechnet wird, die Kapitalges­ellschafte­n zahlen müssen. Mit »Linkspopul­ismus« kann der Wissenscha­ftler, der für die LINKE 2017 als Kandidat um das Amt des Bundespräs­identen antrat, nichts anfangen. Populismus gehe von einem Volksbegri­ff aus, der der Linken fremd sei. Diese unterschei­de die Interessen von Klassen und Schichten, nicht Völkern.

Wie sich auch bei der Buchvorste­llung am Mittwoch zeigte, wird es komplizier­t, sobald die Ursachenan­alyse einsetzt. Einig sind sich alle, dass die Thesen der AfD hoffähig werden, wenn man sie ihnen wegzunehme­n versucht, wie die CSU es tut. Für Bartsch ist es wichtig, dass Parteien unterschei­dbar bleiben und nicht als Elite wahrgenomm­en und gemeinsam für Missstände verantwort­lich werden. Darin sieht er auch ein Problem der LINKEN, die in drei Bundesländ­ern mitregiert, ohne die sozialen Umwälzunge­n herbeiführ­en zu können, die sie propagiert. »Hier müssen wir besser werden.«

Christoph Butterwegg­e, Gudrun Hentges, Gerd Wiegel: »Rechtspopu­listen im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD«, 256 Seiten, Westend Verlag, Frankfurt am Main

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Foto: dpa/Michael Kappeler Selbstinsz­enierung im Bundestag. Vorn die AfD-Fraktionsc­hefs Alice Weidel und Alexander Gauland

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