Rechte junger Geflüchteter verletzt
Bundesregierung ignoriert EuGH-Urteil vom April
Wer als Jugendlicher allein nach Deutschland geflüchtet ist, kann seine Eltern nur nachholen, wenn über seinen Asylantrag vor seinem 18. Geburtstag positiv entschieden wird. Das sei bis heute gängige Praxis in der Bundesrepublik, berichtete am Mittwoch die »Süddeutsche Zeitung«. Dabei hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits vor einem halben Jahr entschieden, dass als Flüchtlinge anerkannte Jugendliche auch dann einen Anspruch auf Familienzusammenführung haben, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig geworden sind. Nach deutschem Recht muss ein Flüchtling noch minderjährig sein, wenn die Eltern einreisen.
Das Auswärtige Amt, das für das Erteilen von Visa zuständig ist, hat laut »SZ« kürzlich auf einer Tagung des Roten Kreuzes und des UN-Flüchtlingshilfswerks klargestellt, dass man das EuGH-Urteil nicht umsetze. Es entfalte für die Bundesrepublik »keine Bindungswirkung«, zitierte die Zeitung zudem aus dem Schreiben eines Mitarbeiters der deutschen Botschaft in Kenia an einen Anwalt, der einen jungen Somalier in Sachen Familiennachzug vertritt. Der EuGH habe einen Fall aus den Niederlanden behandelt, und dort sei die Rechtslage eine »deutlich« andere als die deutsche, erklärte der Diplomat zur Begründung.
Bellinda Bartolucci von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sagte der »SZ«, man gehe davon einer »nicht unerheblichen Zahl« junger Geflüchteter aus, denen das Recht auf das Nachholen der Eltern zu Unrecht verweigert worden sei. Sie forderte die Bundesregierung auf, das Urteil nicht länger zu ignorieren.
Das Recht auf Familiennachzug ist von der Bundesregierung bereits im Frühjahr 2016 ohnehin für einen Großteil der Flüchtlinge ausgesetzt worden. Seither gilt es nur noch für jene, denen das volle Recht auf Asyl gewährt wurde. Alle, die nur einen »subsidiären«, also beispielsweise auf die Dauer des Krieges in Syrien begrenzten Schutzstatus erhalten haben, wird es weitgehend verweigert. Zugleich wurde ab diesem Zeitpunkt, anders als zuvor, den meisten Kriegsflüchtlingen nur noch der eingeschränkte Status zugestanden. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom März dieses Jahres ist festgelegt, dass ab 1. August jährlich lediglich 1000 Personen pro Monat der Nachzug zu ihren in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen gewährt wird.