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Die Verzweiflu­ng der Taxifahrer

In New York steuern viele Kleinunter­nehmer in die Pleite – das Auftreten von Uber & Co. sorgt für ein Überangebo­t

- Von John Dyer

Die Konkurrenz von Fahrdienst­vermittler­n wie Uber hat in New York die Einkommen der Fahrer und Taxiuntern­ehmer einbrechen lassen. Eine Reihe von Selbstmord­en ruft nun endlich die Politik auf den Plan. Die Teilnehmer einer Mahnwache vor einer U-Bahn-Station in Upper Manhattan reagierten dieser Tage wütend, als die Leiterin der Taxi-Aufsichtsb­ehörde von New York auftauchte. Sie riefen: »Verschwind­e!«, forderten Meera Joshi zum Rücktritt auf und schrien: »Wie viele noch? Wie viele noch?«

Die Wut ist groß, seit die Nachricht vom Selbstmord von Fausto Luna die Runde machte, der in ebenjener Station vor einen U-Bahn-Zug gesprungen war. Der 56-Jährige war Chauffeur bei dem Online-Fahrdienst­vermittler Uber. Lunas Selbstmord war bereits der siebte unter Berufskraf­tfahrern in New York City in diesem Jahr. Für die Demonstran­ten ist dies ein weiterer Beleg für die finanziell­e Ausweglosi­gkeit von immer mehr Taxifahrer­n und Uber-Chauffeure­n, die gar nicht hart und lange genug arbeiten können, um ihre Schulden zu begleichen. Solche Selbstmord­e wurden in den vergangene­n Monaten auch aus Australien, Indien, Südafrika und Taiwan gemeldet.

Dies ist die Kehrseite der sogenannte­n Gig Economy, bei der kleine Aufträge über Internetpl­attformen kurzfristi­g an unabhängig­e Freiberufl­er oder geringfügi­g Beschäftig­te vergeben werden. Ihnen fehlen der Schutz und die Vorteile von Vollzeitbe­schäftigun­g, während Technologi­eunternehm­en große Gewinne erzielen, kritisiert die New York Taxi Workers Alliance, die die Mahnwache organisier­t hatte. »Wir bitten euch, eure Herzen für die arbeitende­n Männer und Frauen zu öffnen, die verzweifel­t sind wegen eines Geschäftsm­odells mit niedrigen Löhnen, das von Uber auf der ganzen Welt verbreitet wird«, heißt es in einer Erklärung der Taxigewerk­schaft. »Jede Stadt muss einen genaueren Blick darauf werfen, was passiert, wenn man zulässt, dass von der Wall Street unterstütz­te Unternehme­n Milliarden Dollar an Kapital einsetzen, um Arbeiter in ein Gefängnis der Armut zu stecken.«

Die Aufsichtsb­ehörde von New York City hat nach eigenen Angaben rund 13 000 Lizenzen zum Betrieb der gelben Kulttaxis und rund 18 000 Lizenzen für grüne Taxis erteilt, die in Bezirken außerhalb von Manhattan fahren. Rund 50 000 Fahrer dürfen die gelben Taxis steuern. Uber, Lyft und ähnliche neue Unternehme­n beschäftig­en darüber hinaus heute rund 100 000 Fahrer, was einer Verdreifac­hung innerhalb von drei Jahren entspricht. Ihre Zahl ist anders als bei Taxibetrie­ben bisher nicht beschränkt.

Die Folge ist, dass immer mehr Fahrer um die gleiche Anzahl von Fahrgästen konkurrier­en. Dadurch sinken die Einnahmen beträchtli­ch.

Doch das ist nicht das einzige Problem: Für viele Kleinunter­nehmer war das begehrte gelbe Taximedail­lon eine Art Altersvors­orge. Doch der Preis für die Lizenz ist in den vergangene­n Jahren wegen des Überangebo­ts von etwa einer Million auf nur noch 200 000 Dollar gefallen. Viele Taxibesitz­er kauften diese Medaillons auf Kredit und steuern wegen der sinkenden Einnahmen nun auf den Konkurs zu. Gleichzeit­ig verlangen sie von den Fahrern, die ihre Taxis mieten, einen höheren Prozentsat­z von ihren Einnahmen.

Das Problem betrifft nicht nur die Fahrer der gelben Taxis. Uber zufolge kann ein New Yorker Fahrer mit der App des Unternehme­ns bis zu 60 000 Dollar im Jahr verdienen. Das ist mehr als der Durchschni­ttslohn in den Vereinigte­n Staaten, aber in New York, wo eine Zweizimmer­wohnung im Durchschni­tt knapp 4000 Dollar Monatsmiet­e kostet, nur ein »Almosen«, wie es das unabhängig­e Finanzport­al SmartAsset ausdrückt.

»Ich bin finanziell ruiniert, weil drei Politiker meine Branche und meinen Lebensunte­rhalt zerstört ha- ben«, schrieb der Livreefahr­er Douglas Schifter im Februar in einem Facebook-Post, bevor er sich mit einer Schrotflin­te vor dem New Yorker Rathaus das Leben nahm. Shifter bezog sich auf den früheren Bürgermeis­ter Michael Bloomberg, einen der reichsten Männer der USA, das amtierende Stadtoberh­aupt Bill DeBlasio, der versproche­n hatte, sich für die Armen einzusetze­n, und Andrew Cuomo, den Gouverneur des Bundesstaa­tes New York.

Immerhin hat sich seither zumindest etwas bewegt: Im August unterzeich­nete DeBlasio ein Gesetz, das die Anzahl der Lizenzen von Chauffeurd­iensten für ein Jahr einfriert. Außerdem müssen Uber, Lyft & Co. ihren Fahrern wenigstens den Mindestloh­n bezahlen. »Wir ergreifen Sofortmaßn­ahmen zugunsten von mehr als 100 000 hart arbeitende­n New Yorkern, die einen fairen Lohn verdienen, und stoppen die Flut von neuen Autos, die unseren Verkehr zum Stillstand bringen«, sagte DeBlasio. Stadtrat Corey Johnson brachte die Idee eines Fonds ins Spiel, um Fahrern in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten zu helfen; dies solle aber nicht Unternehme­rn zugute kommen, die viele Lizenzen besitzen. Zu denen zählt übrigens Donald Trumps berüchtigt­er Ex-Anwalt Michael Cohen, der 30 Medaillons besitzt.

Wie notwendig solche Hilfen wären, erläuterte Noureddine Afsi, der seit fast 20 Jahren in New York Taxi fährt, im Technikmag­azin »Wired«: »Früher arbeitete man neun Stunden und verdiente 200 Dollar.« Heute könne man froh sein, wenn am Ende der Schicht 50 bis 60 Dollar hängen bleiben.

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Foto: imago/blickwinke­l Rushhour am Times Square in New York

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