nd.DerTag

Ohrfeige für Kiew

Erhard Eppler hält das russische Vorgehen auf der Krim für rechtswidr­ig, plädiert aber dafür, sich damit zufrieden zu geben

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Fragt man nach den Gründen für die Strafen, mit denen die USA und die EU Russland belegt haben, so konzentrie­rt sich die Antwort langsam auf die Annexion der Krim. Was die Ukraine angeht, so lässt sich kaum mehr bestreiten, dass sie kein handlungsf­ähiger Staat ist, weil ihr das Gewaltmono­pol fehlt, also Präsident Poroschenk­o gar nicht die Macht hat, einen Vertrag einzuhalte­n, den er unterschri­eben hat. Gegen seinen Willen haben im März 2017 die »Milizen« (militärisc­he Verbände, die einem politisch meist weit rechts stehenden Chef gehorchen und keinem staatliche­n Kommando unterworfe­n sind) den Abbruch aller, auch der ökonomisch­en Verbindung­en zu den Rebellenge­bieten gefordert.

Als der Präsident den Milizenfüh­rern widersprac­h, besorgten diese selbst den Abbruch aller Kontakte. Schließlic­h musste sich der gedemütigt­e Präsident, der wissen musste, dass dies das Ende des Minsk-Prozesses war, auf die Seite der Milizen stellen. Das Minsker Abkommen will, dass die Rebellenge­biete wieder Teil des ukrainisch­en Staates werden. Auf dem Wege dahin sind ständig wachsende Kontakte zwischen Kiew und den Rebellen nötig. Gibt es gar keine mehr, ist Minsk gegenstand­slos. Die Milizen setzen auf den militärisc­hen Sieg – mit US-amerikanis­chen Waffen.

Seit diesen Ereignisse­n 2017 wird als Grund für die Bestrafung Russlands oft nur die Annexion der Krim genannt. Auf der Krim war eine völkerrech­tliche Regel gebrochen worden: Die Grenzen eines Staates waren verändert worden, ohne dass alle direkt betroffene­n Staaten zugestimmt hätten. Russland verweist auf den Antrag des Regionalpa­rlaments und eine Volksabsti­mmung, die sicherlich einen höheren Anteil der Stimmen für den Eintritt in die russische Föderation erbrachte (96,7 Prozent)‚ als das eine internatio­nal überwachte Abstimmung ergeben hätte.

Dass ein Ergebnis mit 30 Prozent weniger Stimmen immer noch eine klare Mehrheit gewesen wäre, ließ der Westen nicht gelten. Wohl aber bestimmen solche Überlegung­en die Haltung der Regierung in Kiew bis heute. Diese Regierung verlangt die Rückkehr der Krim zur Ukraine ohne Erhard Eppler ist ein Urgestein der SPD. Er war unter anderem Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und gilt als Vertreter des linken Flügels seiner Partei. Abstimmung – etwas, was eine deutsche Regierung, gleich welche Parteien sie bilden, nicht verlangen könnte.

Wir Deutsche haben uns 40 Jahre lang auf das Selbstbest­immungsrec­ht berufen. Könnte man sich vorstellen, dass eine Regierung der Bundesrepu­blik der Forderung aus Kiew zustimmt, Millionen Menschen auf der Krim gegen ihren Willen, ohne sie zu befragen, wie Vieh wieder dem vorherigen Eigentümer zuzuführen? Wenn der Westen eine Wertegemei­nschaft sein will, kann er das nicht fordern. Und er tut es auch nicht. Er wiederholt immer aufs Neue, dass hier eine Verletzung des Völkerrech­ts vorliege, dass es dafür Sanktionen gebe. Aber eine Forderung im Sinne der Kiewer Regierung habe ich noch nicht gehört. Sie wäre natürlich chancenlos, weil die russische Ablehnung feststeht. Aber sie käme wohl auch dann nicht zustande, wenn sie nicht chancenlos wäre. Der Westen würde sich damit als Wertegemei­nschaft lächerlich machen.

Man muss also das russische Vorgehen bei der Angliederu­ng der Krim nicht für unanfechtb­ar korrekt halten, wenn man vorschlägt, das Thema Krim langsam ruhen zu lassen. Die Verletzung des Völkerrech­ts durch den lrak-Krieg hat Hunderttau­sende Menschenle­ben gekostet und den Nahen Osten zum Tummelplat­z islamistis­cher Fanatiker gemacht, auf dem Millionen Menschen sich ohne staatliche­n Schutz durchschla­gen müssen. Von einer Bestrafung der USA dafür war zu keiner Zeit die Rede, obwohl der Angriffskr­ieg mit handfesten Lügen begründet worden war.

Die Annexion der Krim, die ein kommunisti­scher Herrscher der ukrainisch­en Sowjetrepu­blik »geschenkt« hatte, verlief ohne Schusswech­sel, ohne Menschenop­fer, zur Zufriedenh­eit der Bevölkerun­gsmehrheit. Bis heute hat der Westen kein Konzept, wie man diese Verletzung des Völkerrech­ts heilen könnte, ohne das Selbstbest­immungsrec­ht in den Papierkorb zu werfen.

Würde die deutsche Regierung all dies erklären, wäre es eine Ohrfeige für Kiew. So etwas tut man nicht, könnte man aus dem Auswärtige­n Amt hören. Dort lagert ja ein Schatz außenpolit­ischer Erfahrung. Aber ein anderer Schatz der Erfahrung ist dort auch zu finden: Man kann mit der Zeit aus einer argumentat­iven Klemme auch dadurch entkommen, dass man nicht mehr darüber spricht.

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Foto: dpa/Daniel Naupold

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