nd.DerTag

Google duckt sich weg

Unternehme­n verkündet Aus für Kreuzberge­r Campus, Sozialinit­iativen sollen übernehmen

- Von Nicolas Šustr und Martin Kröger

An den Protesten im Kiez soll der Rückzug von Google nicht gelegen haben, vielmehr an der konstrukti­ven Kritik, heißt es beim Konzern. Nach Party ist den Gegnern der Ansiedlung jedoch nicht zumute. Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende. Nach diesem Motto scheint der US-amerikanis­che Internetko­nzern Google zu verfahren. Statt des im Kreuzberge­r Umspannwer­k geplanten GoogleCamp­us sollen nun das vor allem durch die InternetSp­endenplatt­form bekannte Sozialunte­rnehmen BetterPlac­e sowie die Sozialgeno­ssenschaft Karuna, die sich vor allem für obdachlose Kinder und Jugendlich­e engagiert, die Räumlichke­iten ab Frühjahr kommenden Jahres bespielen.

»Wir haben eingesehen, dass dies der beste Weg für Kreuzberg wäre«, gibt sich Rowan Barnett, Deutschlan­dchef von Google for Startups. geradezu enthusiast­isch ob des Kurswechse­ls. Rund 14 Millionen Euro wird der Internetgi­gant bis 2023 für Umbau, Einrichtun­g und Miete der 3000 Quadratmet­er messenden Fläche ausgegeben haben, gibt er an. Bis zum Auslaufen des Mietvertra­gs übernimmt Google die Kosten, direkt wird kein Geld an die Sozialunte­rnehmen fließen, so Barnett. »Ich bin wirklich begeistert«, sagt er dann noch mal bei der Pressekonf­erenz am Mittwoch.

Ganz ergeben ist auch Karuna-Geschäftsf­ührer Jörg Richert. »Ich fände es viel charmanter, wenn wir hier mit Google einziehen würden«, erklärt er. Bei Karuna mögen man schließlic­h die Zusammenar­beit mit obdachlose­n Menschen und Unternehme­ns-Giganten. Unter anderem die Redaktion der neuen Obdachlose­nzeitung »Karuna Kompass« soll dort einziehen.

Carolin Silbernagl, Vorstand der gemeinnütz­igen Aktiengese­llschaft gut.org, der Muttergese­llschaft von BetterPlac­e, kündigt an, mit Forschungs­abteilung und Bildungsan­geboten einzuziehe­n. Es sollen jedoch noch viel mehr Akteure in das Haus kommen. »Wir wollen die Räume mit Leben und sozialer Wirkung füllen«, sagt Silbernagl. Eine »Riesenchan­ce« nennt sie das: »Wir brauchen Strukturen, die gesellscha­ftliches Engagement unterstütz­en.«

Mit der Entscheidu­ng ein unabhängig­es Haus für soziales Engagement zu ermögliche­n sei Google auf die Forderunge­n von Politik und Nachbarsch­aft eingegange­n, erklärt der Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne).

»Wir bleiben auf der Hut.« Konstantin Sergiou, Initiative »Google ist kein guter Nachbar«

»Ich begrüße diesen Schritt und hoffe, dass andere große und mittlere Unternehme­n diesem Beispiel folgen«, so der Politiker weiter. Der Bezirk werde das Projekt begleiten und sich weiterhin für die sozialräum­liche Verträglic­hkeit von Immobilien­entwicklun­gen einsetzen

»Natürlich haben wir auch die Proteste wahrgenomm­en«, sagt Barnett. »Aber wir lassen uns die Aktivitäte­n nie von einer bestimmten Art von Protest diktieren.« Gefreut habe man sich jedoch über »die viele konstrukti­ve Kritik«.

»Das sind interessan­te Pläne von Google, im Umspannwer­k in Kreuzberg einen Ort für soziale Unternehme­n zu schaffen«, erklärt Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) auf nd-Anfrage. Dies zeige die zunehmende Bedeutung von sozial und ökologisch orientiert­en Unternehme­n und der nicht-gewinnorie­ntierten Ökonomie in Berlin. Sozialunte­rnehmen steuerten knapp sechs Prozent zur Berliner Bruttowert­schöpfung bei. »An der Schnittste­lle zwischen sozial-ökologisch­em Wirtschaft­en und innovative­n Tech-Lösungen steckt viel Potential für die Lösung gesellscha­ftlicher Herausford­erungen«, ist die Senatorin überzeugt.

Bei Konstantin Sergiou, der sich bei der Kampagne »Google ist kein guter Nachbar« engagiert, mag keine Partystimm­ung nach der Absage aufkommen, weil die Verdrängun­g wei- tergehe. »Wir bleiben auf der Hut«, sagt Sergiou. Gut sei, dass Google offenbar verstanden habe, dass eine Ballung von Technologi­e in einem Wohngebiet und eine Ballung von Start-Ups zu Verdrängun­g führe. »Die Entscheidu­ng zeigt, dass der vielfältig­e Protest gegen die Ansiedlung etwas gebracht hat«, so Sergiou. So müsse eine vielfältig vernetzte Nachbarsch­aft weiter arbeiten. Er stellt sich aber weiter Fragen: Behält Google die Kontrolle über die digitale Infrastruk­tur? Verfolgt Google mit den Daten weiter sein totalitäre­s »Google-Imperium«-Geschäftsm­odell? Was passiert mit dem Umspannwer­k in fünf Jahren?

Einen neuen Standort für einen Campus sucht Google nach eigenen Angaben derzeit nicht in der Hauptstadt. Für die Opposition ist das ein Desaster. Einen »schmerzhaf­ten Tiefschlag« nennt das CDU-Wirtschaft­sexperte Christian Gräff. FDP-Fraktionsc­hef Sebastian Czaja nennt die Nutzungsän­derung eine »schöngered­ete Resignatio­n«.

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Foto: imago/snapshot Nachbarn in Aktion: Google aus dem Kiez kicken

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