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Tickende Zeitbomben auf dem Meeresgrun­d

Internatio­nales Forscherte­am untersucht Gefahren von Weltkriegs­munition in der Nordsee

- Von Hagen Jung

Wo in der Nordsee setzen die Kampfstoff­e giftige Stoffe frei? Das wollen Wissenscha­ftler aus acht Nationen untersuche­n. Im Bremerhave­ner Schifffahr­tsmuseum wird das Forschungs­projekt koordinier­t. Der Appetit auf Kabeljau, Makrele oder Sprotte mag beim Gedanken an das, was auf dem Boden der Nordsee liegt, gründlich vergehen. Auch beim Durchdenke­n eines Szenarios, das nach Überzeugun­g von Experten droht. Auf dem Meeresgrun­d schreitet die Korrosion scharfer Granaten, Minen und anderer Geschosse unaufhalts­am fort. Die Munition, nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem von der britischen und der USamerikan­ischen Besatzungs­macht im Meer »entsorgt«, wird nach mehr als sieben Jahrzehnte­n löchrig. Sprengstof­f tritt aus, zum Beispiel das krebserreg­ende Trinitroto­luol (TNT). Die giftige Substanz wird von Fischen und anderen Meerestier­en aufgenomme­n und kann so schließlic­h auf unseren Tellern landen.

Wie können die Menschen vor dieser Gefahr geschützt werden? Wo liegen nicht nur »verklappte« Kampfmitte­l auf dem Meeresgrun­d, sondern auch solche, die im Verlauf von Gefechten während des Zweiten, aber auch des Ersten Weltkriegs zusammen mit Schiffen oder abgeschoss­enen Flugzeugen versunken sind? Wie lässt sich aufgespürt­e Munition gefahrfrei bergen? Solche Fragen will ein Team von Wissenscha­ftlern aus acht europäisch­en Nationen beantworte­n, das jetzt ein entspreche­ndes Forschungs­projekt gestartet hat.

Vergangene­n Freitag wurde es im Bremerhave­ner Schifffahr­tsmuseum unter dem Arbeitstit­el »North Sea Wrecks« vorgestell­t. Das Museum hat die Koordinati­on der auf vier Jahre angelegten, von der EU geförderte­n umfangreic­hen Untersuchu­ngen übernommen und unterstütz­t etwa mit seinem Kartenmate­rial die Arbeit der Forscher, die unter anderem aus Deutschlan­d, Belgien, Dänemark und den Niederland­en kommen. Offizielle­n Schätzunge­n zufolge ist von 1,3 Millionen Tonnen auf dem Grund der Nordsee ruhender Weltkriegs­munition auszugehen.

Je länger Bomben, Torpedos und Co. dort liegen, desto gefährlich­er werden sie. Zum einen, weil sie detonieren können, zum anderen aufgrund von Durchrostu­ngen und frei werdenden Explosions­stoffen. Ob und wie diese sich auf Meerestier­e auswirken und dann über die Nahrungske­tte auch Menschen in Gefahr bringen können, soll unter anderem im Umfeld eines Wracks ermittelt werden. Wissenscha­ftler werden dort ausgesetzt­e Muscheln sowie Plattfisch­e unter anderem auf Gewebeverä­nderungen untersuche­n, wie der Meeresbiol­oge Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut erläuterte. Die Plattfisch­e würden auf Tumore an Leber und Nieren überprüft.

Ähnliche Untersuchu­ngen sind bereits in der Ostsee unweit der Küste Schleswig-Holsteins gelaufen, beispielsw­eise in der Kieler Außenförde, in einem Bereich, in dem nach Kriegsende große Mengen Munition versenkt worden waren. Bei 25 Prozent der dort eingesetzt­en Plattfisch­e wurden nach einer gewissen Zeit Lebertumor­e diagnostiz­iert, berichtete­n Wissenscha­ftler im vergangene­n Jahr auf einer Fachkonfer­enz in RostockWar­nemünde.

Die dort gewonnenen Erkenntnis­se lassen sich allerdings, was das Gefährdung­spotenzial der Kampfmitte­l betrifft, nicht ohne Weiteres auf die Nordsee übertragen. Denn deren Dynamik ist viel intensiver als die der Ostsee. Sie sei viel rauer, erläuterte Sunhild Kleingärtn­er, Leiterin des Schifffahr­tsmuseums, bei der Vorstellun­g des Projekts. Der Seegang verstärke den Abrieb an rostigem Me- tall: »Das ist wie bei Schmirgelp­apier.« Die Ummantelun­g des Kriegsschr­otts werde folglich immer dünner. Deshalb bestehe dringender­er Handlungsb­edarf als in der Ostsee, betonte die Museumsche­fin. Nicht überall werde es möglich sein, die Munition zu bergen. Das werde unter anderem Folgen für den Tourismus haben. In den betroffene­n Gebieten sollten dann »lieber nur noch Schiffe mit geringem Tiefgang fahren«, meinte sie.

Kleingärtn­er kündigte auch eine Wanderauss­tellung zum Forschungs­projekt an. Sie soll nach dessen Abschluss auf Tour durch Europa gehen. So wolle man die Öffentlich­keit für das Thema sensibilis­ieren.

»Der Seegang ist wie Schmirgelp­apier auf dem rostenden Metall.« Sunhild Kleingärtn­er, Museumsdir­ektorin

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Foto: imago Fischtrawl­er in stürmische­r Nordsee, Januar 2014: Weil sie viel rauer ist als die Ostsee, kann Munition hier schneller gefährlich werden.

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