Selbst ist der Autor
Früher
begann bei Wolf Wondratschek der Tag mit einer Schusswunde. Das war 1969, als er einen Band mit Prosa so betitelte. Dann verkaufte der in Karlsruhe geborene, heute in München und Wien lebende Dichter lange Jahre über den 2001-Versand erfolgreich Lyrik.
Weil ihm nach mehreren Verlagswechseln kein zufriedenstellendes Angebot mehr für sein vorletztes Buch, »Selbstbildnis mit Ratte«, gemacht wurde, verkaufte er das ungedruckte Manuskript als Unikat für 40 000 Euro an den Unternehmensberater Helmut Meier. Der ist ein so großer Fan von Wondratschek, dass er ihm 2017 den von ihm gestifteten »Alternativen Büchnerpreis« verlieh. Der war mit 50 000 Euro genauso hoch dotiert, wie der nichtalternative Büchnerpreis, bei dem Wondratschek auch im vergangenen Jahr wieder einmal übergangen worden war.
Dessen neuer Roman ist nun ganz konventionell bei Ullstein erschienen. Diesmal ist es ein »Selbstbild« und kein »Selbstbildnis« und auch nicht mit »Ratte«, sondern mit »russischem Klavier«. Darin führt ein Ich-Erzähler in einem Wiener Café und einer Pizzeria Gespräche mit einem russischen Pianisten namens Jurka Suvorin aus Russland. Der war einst in London, Paris und New York berühmt, nun quälen ihn Gesundheitsprobleme und das Alter.
In den Gesprächen geht es vor allem um Fragen der Musik und der Kunst. Wie spielt man Schubert, wie Beethoven? Suvorin erscheint – wie auch ein bisschen der Autor Wondratschek – als ein »aus der Zeit gefallener« Künstler, der sich aber nie angepasst hat. Das gilt auch für den 2016 gestorbenen Cellisten Heinrich Schiff, von dem hier ebenfalls die Rede ist – unter Klarnamen. Von ihm weiß man, dass er Wolf Wondratschek noch persönlich getroffen hat.
In der Tat lässt sich dieser Roman als ein Selbstporträt des Autors lesen, vor allem wenn man solche Sätze liest: »Ich reagiere normalerweise recht gelassen, wenn man mir einen Mangel an Bildung vorwirft, ich sehe darin sogar eher ein Kompliment. Ich bin so, vielleicht etwas selbstgefällig, von mir aus auch arrogant. Ich war noch nie bekannt für diplomatische Formulierungen.«
Gleichwohl zitiert dieser Suvorin »natürlich« Marcel Proust, »denn die wahren Bücher sind nicht die Kinder des helllichten Tages und der Plauderei, sondern der Dunkelheit und des Schweigens«. Und genau so ein Buch ist dieses »Selbstbild mit russischem Klavier« nicht, sondern das eines gut beleuchteten Wiener Cafés. Und es geht auch nicht um bedeutungsvolles Schweigen, sondern um anekdotenreiche Plauderei.
Jurka Suvorin selbst hätte es vermutlich nicht gelesen und schon gar nicht aus Freundlichkeit, denn »Russen sind nicht freundlich«, wie er meint. Sein anarchischer Kulturpessimismus taugt nicht gerade zur literarischen Veredelung dieses Buches. Manchmal denkt man dabei an Thomas Bernhard, doch der hat mit seinen Übertreibungen viel mehr riskiert als Wondratschek. Bernhards Grantler machen alles und jeden nieder, was ihre radikale Subjektivität ins Allgemeine, in eine literarische Qualität umschlagen lässt.
Obwohl Wondratscheks Reflexionen über das Leben und die Kunst, durchaus intelligent und interessant formuliert sind, taugt dieser Jurka Suvorin nicht richtjg zur literarischen Figur. Vielleicht auch deshalb nicht, weil der Erzähler von ihm sagt: »Es gibt solche Menschen nur noch in Romanen.«
Wolf Wondratschek: Selbstbild mit russischem Klavier. Ullstein, 272 S., geb., 22 €.