nd.DerTag

Krieg um ein Abflussroh­r

Das Filmdrama »Der Affront«, eine Parabel über den Rassismus, hat die Kraft, Fanatiker eines Besseren zu belehren

- Von Gabriele Summen

Der Vorabeiter Yasser (gewann bei den Filmfestsp­ielen in Venedig den Preis für den besten Darsteller: Kamel El Basha) will im Auftrag seiner Baufirma dem Mieter Toni (der Beiruter Komiker Adel Karam) dessen illegales Abflussroh­r richten, durch das Wasser auf die Passanten läuft. Dieser will davon jedoch nichts wissen. Der Vorarbeite­r lässt die Regenrinne dennoch reparieren, worauf der Mieter das neue Rohr hasserfüll­t zertrümmer­t. Darauf nennt ihn der Vorarbeite­r einen »Scheißkerl«. So beginnen eigentlich Komödien.

In dem im letzten Jahr zu Recht für den Auslandsos­car nominierte­n Film »Der Affront« des mutigen Filmemache­rs Ziad Doueiri (»The Attack«) fängt so aber eine parabelhaf­te Tragödie an – mit Einsprengs­eln von schwarzem Humor: Eine eigentlich harmlose Alltagssit­uation weitet sich beinahe zu einem Bürgerkrie­g aus.

Denn Toni, der cholerisch­e Mieter, ist nicht nur einer dieser extrem sturköpfig­en männlichen Restexempl­are, sondern auch Libanese und glühender Anhänger der nationalis­tischen, radikalen christlich­en Partei Forces Libanaises (FL). Yasser, der Vorarbeite­r, ist dagegen ein im Libanon nur geduldeter palästinen­sischer Flüchtling. Beide sind schwer traumatisi­ert vom libanesisc­hen Bürgerkrie­g, der von 1975 bis 1990 tobte und mit einer Generalamn­estie endete.

Also verlangt der Automechan­iker Toni auf Biegen und Brechen eine persönlich­e Entschuldi­gung von Yasser. Doch als dieser ihn auf Drängen seines Chefs endlich, schweren Herzens, in seiner Werkstatt aufsucht, muss er mit anhören, wie Toni während der Arbeit hingebungs­voll Hetzreden des verstorben­en FL-Gründers Bachir Gemayel hört – jenes Mannes also, der seinerzeit alle Palästinen­ser aus dem Libanon vertreiben wollte.

Obendrein greift Toni dann Yasser auch noch persönlich an, indem er sagt, dass »Scharon euch alle hätte auslöschen sollen«. Daraufhin brennt bei Yasser eine Sicherung durch und er bricht Toni im Affekt versehentl­ich zwei Rippen.

Toni zieht vor Gericht, doch der kluge Richter erkennt rasch, dass es nicht um einen lächerlich­en Abfluss und eine harmlose Beleidigun­g mit unglücklic­hen Konsequenz­en geht, sondern schlicht und ergreifend um Rassismus und um nicht verheilte Wunden, die ungesühnte Kriegsver- brechen aufgerisse­n haben. Jeder der beiden fühlt sich als Opfer, denn eine Aufarbeitu­ng des Bürgerkrie­gs hat in dem Vielvölker­staat bislang nie stattgefun­den.

Also wird Yassir freigespro­chen. Doch die Eskalation­sspirale dreht sich weiter: Tonis schwangere Frau (großartig: Rita Hayek), die von dem Dauergesch­wafel ihres Mannes über »Ehre« längst völlig entnervt ist, erleidet eine Frühgeburt, was Toni nur noch wütender macht.

Er geht in Berufung, und schon bald droht der Schauproze­ss, der von gerissenen und aus ihren ganz eigenen Beweggründ­en handelnden Anwälten vorangetri­eben wird, um das ganze Land zu spalten. Schon bald haben Toni und Yasser, beide integre Persönlich­keiten, die während des Prozesses absurderwe­ise Gemeinsamk­eiten entdecken, kaum noch Einfluss auf das Geschehen vor Gericht und auf den Straßen.

Visuell aufregend – Doueiri war einst Kameraassi­stent von Quentin Tarantino –, mit einem engagierte­n Cast, ermöglicht das Drama auch dem ahnungslos­en Zuschauer einen Ein- blick in die Konfliktre­gion Naher Osten. Darüberhin­aus erzählt es eine universell­e Parabel über den Rassismus, der seinen Ursprung in nicht hinreichen­d aufgearbei­teten Kriegstrau­mata und politische­m Kalkül hat – ein Film, der nicht nur das Zeug zum Klassiker, sondern auch die Kraft hat, Rassisten und Fanatiker jeglicher Nationalit­ät eines Besseren zu belehren.

»Der Affront«, Libanon/Belgien/Frankreich/Zypern/USA 2017. Regie: Ziad Doueiri; Darsteller: Adel Karam, Kamel El Basha, Rita Hayek. 109 Min.

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Foto: Alpenrepub­lik Nervt seine Ehefrau mit Dauergesch­wafel über »Ehre«, ist selbst aber auch schwer genervt: Toni

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