nd.DerTag

Spartakist­en unschuldig

- Von Karlen Vesper

Journalist­enkollegen

haben sich am vergangene­n Mittwoch etwas entgehen lassen. Die RosaLuxemb­urg-Stiftung stellte in ihrem Berliner Domizil eine spektakulä­re Edition vor: den Bericht eines preußische­n Untersuchu­ngsausschu­sses über die blutigen Januarunru­hen in Berlin 1919, die in der Literatur noch immer fälschlich als »Spartakusa­ufstand« apostrophi­ert werden.

Der Historiker Jörn Schütrumpf hat sich auf die Suche nach diesem, auch in DDR-Zeiten nicht veröffentl­ichten, Protokoll begeben, es akribisch studiert und jetzt im Reprint mit detaillier­ten Erläuterun­gen veröffentl­icht. Trotz akrobatisc­her Formulier- und Fabulierun­gskünste lässt sich am Urteil des aus Vertretern diverser Parteien (außer der KPD) zusammenge­setzten Gremiums nichts herumdeute­ln: »Richtig ist, dass sowohl Unabhängig­e und Kommuniste­n dabei eine führende Rolle gespielt haben und dass auf der anderen Seite sowohl Unabhängig­e wie Kommuniste­n davor gewarnt haben. So scheint z. B. Rosa Luxemburg den Plan durchaus nicht gutgeheiße­n zu haben, und der Zentralvor­stand der Unabhängig­en Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds hat durch seine spätere Vermittlun­gsaktion deutlich kundgetan, dass er sich mit dem Unternehme­n nicht solidarisi­ere.« Das auf den 8. Februar 1921 datierte Dokument nennt als »geistige Leiter der Bewegung« zwar Karl Liebknecht, Georg Ledebour und Emil Eichhorn, den am 4. Januar willkürlic­h von der Mehrheitss­ozialdemok­ratie abgesetzte­n preußische­n Polizeiprä­sidenten von der USPD, dessen Sturz spontane Protestkun­dgebungen Hunderttau­sender entfacht hatte. Doch schon im nächsten Satz heißt es, die drei genannten Protagonis­ten hätten »die Aktion« nicht vorbereite­t und seien auch nicht »diejenigen gewesen, die am eifrigsten zum Losschlage­n drängten«, um hernach erneut ein feiges »Aber« folgen zu lassen. Gejagt und ermordet wurden die »Spartakist­en« dennoch.

Die von seriösen Wissenscha­ftlern freilich längst nicht mehr, vom »Spiegel« aber jüngst wieder kolportier­te »Legende vom Spartakusa­ufstand« ist mit dieser Edition zerfetzt. Bei der lediglich von »taz« und »nd« wahrgenomm­enen Pressevors­tellung offerierte Schütrumpf seine Interpreta­tion der Ereignisse und der Mär. Nicht nur, dass unter »Spartakist­en« von Konterrevo­lutionären alle Linken subsumiert wurden, es seien damals zahlreiche Polizeispi­tzel und Agents Provocateu­rs unterwegs gewesen, die Öl ins Feuer gossen respektive die revolution­äre Euphorie insbesonde­re unter Obleuten der Betriebe instrument­alisierten. Die Eskalation friedliche­r Unmutsäuße­rungen zu Gewalt ist nach Schütrumpf­s Meinung zudem durch einen internen Machtkampf zweier einflussre­icher Polizeibea­mter befeuert worden: einerseits durch Anton Fischer, vormals Adjutant des Berliner Stadtkomma­ndanten Otto Wels, der im Dezember 1918 zurücktret­en musste, da er das Feuer auf die im Berliner Schloss stationier­te Volksmarin­edivision eröffnen ließ, sowie anderersei­ts von Justin Braun, Eichhorns ehemaligen Adjutanten. Zunehmende antibolsch­ewistische, antikommun­istische Stimmung beförderte die Lüge vom »Spartakus-Aufstand«.

Mit diesem Band gelang der Stiftung im 100. Jahr der Revolution – die für jene »nie eine verlorene Revolution« war, wie Mitarbeite­r Uwe Sonnenberg betonte – wahrlich ein Achtungsze­ichen.

Jörn Schütrumpf (Hg.): »Spartakusa­ufstand«. Der unterschla­gene Bericht des Untersuchu­ngsausschu­sses der verfassung­gebenden Preußische­n Landesvers­ammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin. Karl Dietz, 639 S., geb., 49 €.

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