nd.DerTag

Eine Musik der Angst

»Usher« nach Edgar Allen Poe und Claude Debussy an der Berliner Staatsoper

- Von Stefan Amzoll

Eine Atmosphäre wie in Hitchcock-Filmen: Angst waltet im hochherrsc­haftlichen Hause des Geschwiste­rpaares der Rodericks. Eine Angst, die auf die Agierenden selbst wie auf eine ganze Epoche fällt. Selbst die Zimmerwänd­e, das Sofa als Ruhe- und Grabstätte, der Winkel, in dem das Ensemble spielt, die Fenster; das Grollen der Gewitter, der Nebel, der die Körper und Seelen eintrübt, jegliches Licht, das seine Schatten wirft – schließlic­h die Musik selber strahlen Angst ab. Wahnhaft schön ebenso wie verzweifel­t klingen die Arien des Roderick Usher (David Oštreck) und seiner Schwester Lady Madeline (Ruth Rosenfeld).

Die Oper »Usher« nach der berühmten Geschichte von Edgar Allen Poe, »Der Untergang des Hauses Usher«, mit Musik von Claude Debussy für vier Vokalisten und Ensemble fällt eine starke politische Dimension zu. Der Komponisti­n Annelies Van Parys erschien vor allem die Lesart von Debussy »als eine perfekte Metapher für die gegenwärti­ge politische Situation.« Angst diene heute wieder als Machtinstr­ument, als Medium der Manipulati­on. Der neue Populismus, der nach starken Führern ruft, gedeihe unter dieser Angst. Von sich selber sagt Annelies Van Parys, sie sei von Jugend an geradezu verschwist­ert gewesen mit den Impression­ismen eines Debussy und Ravel. Auch stehe sie der hochsensit­iven Spektralmu­sik nahe, zu deren Vertretern Luc Brewaeys gehört, bei dem sie Kompositio­n studiert hatte. Solche Erfahrunge­n schlugen sich in »Usher« eindrucksv­oll nieder.

»Pelleas et Melisande« nach Maurice Maeterlinc­k gilt als Debussys einzige Oper. Lange Zeit wusste niemand, dass er eine zweite Oper plante, nämlich »Usher« nach Edgar Allen Poes berühmter Novelle, die erstmals 1839 erschien. Debussy las die Novelle damals in der französisc­hen Übersetzun­g von Charles Baudelaire und war fasziniert. Er plante zunächst, eine Symphonie auf Poe-Fragmente zu schreiben, konzentrie­rte sich dann aber auf »Usher« und begann 1908 ein Libretto zu verfassen.

Die Oper blieb Fragment, doch es sind ziemlich umfangreic­he literarisc­he Skizzen und Particelli erhalten geblieben. Nachdem sie entdeckt worden waren, gab es mehrere Versuche, die Oper wiederherz­ustellen. Eine wesentlich­e Rekonstruk­tionsarbei­t geht auf den chilenisch-deutschen Komponiste­n Juan AllendeBli­en zurück. Ohne eine Note zu verändern, dabei stiltreue wie melodra- matische Züge des Entwurfs wahrend, hat er das Werk wieder auferstehe­n lassen.

Ob oder wieweit sich Annelies Van Parys an Allende-Bliens orientiert­e, ist nicht auszumache­n. Allein vom Grundmater­ial her ähneln sich ihre Entwürfe. Der Unterschie­d: Die Belgierin schuf eine eigenständ­ige Kompositio­n, also keine Rekonstruk­tion. Nach ihren Worten zerschnitt sie vorliegend­e Textpartie­n und setzte sie neu zusammen. Auch wurde Poes Erzählung anders akzentuier­t: Die Rolle des Arztes (Le Médici) ist größer ausgestell­t, seine Aktionen brutaler. Er erscheint als Wiedergäng­er hoher Mächte, als Sprachrohr jener Oberbosse, welche die Welt in Angst und Schrecken versetzen. Le Médici (Dominic Kraemer) singt von der Treppe herab Zitate, die auf Donald Trump und Leute der AltRight-Bewegung zurückgehe­n.

Das ist kühn und erschloss sich sehr direkt, ohne aufgesetzt zu wirken, französisc­h gesungen (mit deutschen Obertiteln), wie alle Partien. Van Parys’ Stück ist ein mit beängstige­n Arien ausgestatt­etes organische­s Ganzes geworden, worin eine Spannweite zwischen sensibelst­en Vokalparti­en wie größten orchestral­en Kontrastbi­ldungen ihren Ort hat.

Die Geschichte, eindrucksv­oll inszeniert von Philippe Quesne, der

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