Eine Musik der Angst
»Usher« nach Edgar Allen Poe und Claude Debussy an der Berliner Staatsoper
Eine Atmosphäre wie in Hitchcock-Filmen: Angst waltet im hochherrschaftlichen Hause des Geschwisterpaares der Rodericks. Eine Angst, die auf die Agierenden selbst wie auf eine ganze Epoche fällt. Selbst die Zimmerwände, das Sofa als Ruhe- und Grabstätte, der Winkel, in dem das Ensemble spielt, die Fenster; das Grollen der Gewitter, der Nebel, der die Körper und Seelen eintrübt, jegliches Licht, das seine Schatten wirft – schließlich die Musik selber strahlen Angst ab. Wahnhaft schön ebenso wie verzweifelt klingen die Arien des Roderick Usher (David Oštreck) und seiner Schwester Lady Madeline (Ruth Rosenfeld).
Die Oper »Usher« nach der berühmten Geschichte von Edgar Allen Poe, »Der Untergang des Hauses Usher«, mit Musik von Claude Debussy für vier Vokalisten und Ensemble fällt eine starke politische Dimension zu. Der Komponistin Annelies Van Parys erschien vor allem die Lesart von Debussy »als eine perfekte Metapher für die gegenwärtige politische Situation.« Angst diene heute wieder als Machtinstrument, als Medium der Manipulation. Der neue Populismus, der nach starken Führern ruft, gedeihe unter dieser Angst. Von sich selber sagt Annelies Van Parys, sie sei von Jugend an geradezu verschwistert gewesen mit den Impressionismen eines Debussy und Ravel. Auch stehe sie der hochsensitiven Spektralmusik nahe, zu deren Vertretern Luc Brewaeys gehört, bei dem sie Komposition studiert hatte. Solche Erfahrungen schlugen sich in »Usher« eindrucksvoll nieder.
»Pelleas et Melisande« nach Maurice Maeterlinck gilt als Debussys einzige Oper. Lange Zeit wusste niemand, dass er eine zweite Oper plante, nämlich »Usher« nach Edgar Allen Poes berühmter Novelle, die erstmals 1839 erschien. Debussy las die Novelle damals in der französischen Übersetzung von Charles Baudelaire und war fasziniert. Er plante zunächst, eine Symphonie auf Poe-Fragmente zu schreiben, konzentrierte sich dann aber auf »Usher« und begann 1908 ein Libretto zu verfassen.
Die Oper blieb Fragment, doch es sind ziemlich umfangreiche literarische Skizzen und Particelli erhalten geblieben. Nachdem sie entdeckt worden waren, gab es mehrere Versuche, die Oper wiederherzustellen. Eine wesentliche Rekonstruktionsarbeit geht auf den chilenisch-deutschen Komponisten Juan AllendeBlien zurück. Ohne eine Note zu verändern, dabei stiltreue wie melodra- matische Züge des Entwurfs wahrend, hat er das Werk wieder auferstehen lassen.
Ob oder wieweit sich Annelies Van Parys an Allende-Bliens orientierte, ist nicht auszumachen. Allein vom Grundmaterial her ähneln sich ihre Entwürfe. Der Unterschied: Die Belgierin schuf eine eigenständige Komposition, also keine Rekonstruktion. Nach ihren Worten zerschnitt sie vorliegende Textpartien und setzte sie neu zusammen. Auch wurde Poes Erzählung anders akzentuiert: Die Rolle des Arztes (Le Médici) ist größer ausgestellt, seine Aktionen brutaler. Er erscheint als Wiedergänger hoher Mächte, als Sprachrohr jener Oberbosse, welche die Welt in Angst und Schrecken versetzen. Le Médici (Dominic Kraemer) singt von der Treppe herab Zitate, die auf Donald Trump und Leute der AltRight-Bewegung zurückgehen.
Das ist kühn und erschloss sich sehr direkt, ohne aufgesetzt zu wirken, französisch gesungen (mit deutschen Obertiteln), wie alle Partien. Van Parys’ Stück ist ein mit beängstigen Arien ausgestattetes organisches Ganzes geworden, worin eine Spannweite zwischen sensibelsten Vokalpartien wie größten orchestralen Kontrastbildungen ihren Ort hat.
Die Geschichte, eindrucksvoll inszeniert von Philippe Quesne, der