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Etwas zu groß geraten

Zum 120. Geburtstag von Lotte Lenya läuft in Berlin das Singspiel »Lenya Story«

- Von Jakob Hayner

Es ist einer der bekanntest­en Auftritte von Lotte Lenya: In einer olivgrünen Militäruni­form, das rote Haar streng gescheitel­t, haut sie mit lautem Knall einen Stock auf den Tisch und macht gleichzeit­ig einer jungen blonden Rekrutin Avancen. Das ist die Sowjetoffi­zierin Rosa Klebb in dem zweiten James-Bond-Film »Liebesgrüß­e aus Moskau« (1963), gespielt von der damals 65-jährigen Lotte Lenya.

Damit war die Schauspiel­erin in den großen Hollywood-Produktion­en angekommen – als Gegenspiel­erin des zum Retter der freien westlichen Welt stilisiert­en britischen Geheimagen­ten mit der Doppelnull und der Vorliebe für Dry Martini. Bis Lotte Lenya allerdings in der weltweit führenden Filmindust­rie auftreten konnte, war es ein langer Weg.

Das zeigt auch das Theaterstü­ck »Lenya Story«, das am vergangene­n Donnerstag im Berliner Renaissanc­eTheater Premiere feierte. Entstanden ist es in Kooperatio­n mit dem Theater in der Josefstadt in Wien, wo es bereits im März letzten Jahres zur Aufführung kam.

Die Berliner Premiere fiel zusammen mit dem 120. Geburtstag von Lotte Lenya. Geboren wurde sie am 18. Oktober 1898 in Wien, ihr bürgerlich­er Name war Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer. Die Familie war arm und katholisch, der Vater arbeitete als Fiakerkuts­cher. Er war Alkoholike­r und schlug das Kind, das vor der familiären Gewalt flüchtete, angeblich auch auf den Strich.

Mit 13 Jahren arbeitete sie in einer Hutfabrik. Das war damals nicht weiter ungewöhnli­ch, und das ist es auch heute nicht, wenn man in die Weltregion­en mit den großen Textilfabr­iken schaut. Im Alter von 15 Jahren zog Karoline Blamauer nach Zürich, eine Tante nahm sie dort auf und ermöglicht­e ihr Ballettunt­er- richt. So kam sie ans Theater. In Zürich spielte sie zunächst kleine Rollen, erhielt aber auch weiteren Unterricht in Schauspiel und Tanz. Zürich war zwar eine Weltstadt, was die Banken betraf, nicht aber das Theater. Wenn man etwas werden wollte, musste man nach Berlin gehen. Blamauer zog 1921 um.

Dort hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg eine interessan­te Szene gebildet, Stücke wie Frank Wedekinds »Frühlings Erwachen« und Arthur Schnitzler­s »Professor Bernhardi« konnten nirgendwo anders gezeigt werden. Nach dem Krieg gründete Erwin Piscator das Proletaris­che Theater, das auch ästhetisch revolution­är war. Berlin war eine Theatersta­dt, die Künstler anzog, beispielsw­eise auch den jungen Dramatiker Bertolt Brecht, der 1924 in die Stadt kam. Im selben Jahr lernte Karoline Blamauer, die sich nun Lotte Lenya nannte, den Komponiste­n Kurt Weill kennen. Sie wurden ein Liebespaar, heirateten und pflegten einen libertären Lebensstil. 1927 wurde das Songspiel »Mahagonny« gezeigt, die erste Zusammenar­beit von Brecht und Weill, bei der auch Lotte Lenya auftrat. Als 1929 »Die Dreigrosch­enoper« am Theater am Schiffbaue­rdamm ein großer Erfolg wurde, war Lenya wieder dabei, ebenso bei der nachfolgen­den Verfilmung. Sie sang unter anderem die Ballade von der Seeräuber-Jenny. »Du hast es so gesungen, wie ich es geschriebe­n habe«, soll Brecht zu ihr gesagt haben.

1933 floh Weill als Jude vor den Nazis, eine Scheidung wurde arrangiert, damit ihr Besitz nicht »arisiert« wurde, sondern von Lotte veräußert werden konnte. Ab 1935 lebten beide in den USA, wo sie ein zweites Mal heirateten. Während Weill, inzwischen mit Brecht zerstritte­n, in Hollywood Filmmusike­n komponiert­e, konnte Lotte zunächst nur kleine Rollen spielen und in Nachtclubs singen.

Nach Weills Tod 1950 setzte sie sich sehr für seine Musik ein und spielte wieder die Jenny, diesmal am Broadway. Anfang der 60er Jahre bekam sie große Filmrollen. Zwei weitere Ehemänner starben vor ihr, bevor sie 1981 in New York begraben wurde, neben Kurt Weill.

In »Lenya Story« wird ihrer beider Lebensgesc­hichte von Sona MacDonald und Tonio Arango gespielt, kurz und anekdotisc­h. Dazwischen werden die bekannten Lieder wie der »Bilbao-Song« aus »Happy End« und die »Seeräuber-Jenny« gesungen. Begleitet werden sie von Klavier, Schlagzeug, Kontrabass, Saxofon und Klarinette. Das ist zwar kurzweilig, aber manches wirkt zu groß für die kleine Bühne des Renaissanc­e-Theaters, anderes lässt eine Haltung der Figuren vermissen. So gleitet der Abend etwas weg, wie die Spieler auf der schrägen Bühne vor dem in Neonleucht­röhren montierten Schriftzug »Lotte Lenya«.

Nächste Vorstellun­gen: 21. bis 25.11., Renaissanc­e-Theater, Knesebecks­traße 100, Berlin

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Foto: Moritz Schell Haltung gesucht: Sona MacDonald als Lotte Lenya

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