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Macht sein Ding

Thomas Hüetlin hat eine Biografie über und mit Udo Lindenberg geschriebe­n

- Von Christof Meueler

Klassiker, Nerver, Überlebend­er: Eine neue Lindenberg-Biografie.

Nervenberg ist ein Spitzname von Udo Lindenberg. Der Mann nervt ja auch voll ab: sein Hutgehabe, seine merkwürdig­e Sprache und seine unwitzigen Bilder, die er »Likö relle« nennt (und sich als Marke hat schützen lassen). Dazu kommt noch die ganze schlechte Musik, die er spätestens seit Mitte der 80er Jahre runterprod­uziert hat.

Den Spitznamen »Nervenberg« aber bekam Lindenberg verpasst, als er mit 15 im Breidenbac­her Hof in Düsseldorf Hotelboy lernte. Da war er tagsüber nicht auf der Höhe, weil er nachts nicht schlafen konnte – in einem winzigen Zimmer zur Untermiete. Denn er wusste, er war ein sehr guter Schlagzeug­er. Er war doch extra aus der Kleinstadt Gronau nach Düsseldorf gekommen, um so berühmt zu werden wie Gene Krupa, der erste Star-Drummer des Jazz. Zur Beruhigung trank Lindenberg nachts Biere und Schnäpse und war dann verkatert, nervös und depressiv.

In Gronau hatte man ihn »Trommel-Mozart« genannt, ab elf spielte er in Jazzbands. Sein Vater, ein unzufriede­ner Klempner, hatte nur nachts in der Küche mit dem Kochlöffel Opern von Platte dirigiert, wenn er besoffen nach Haus kam. Da musste die ganze Familie zusehen. Sein Sohn aber war extrem talentiert. Er wusste es, und er hatte Angst.

Die Erfolgsges­chichte von Udo Lindenberg ist eine Trinkerges­chichte, bis er sich 2001 mit 4,7 Promille selbst ins Krankenhau­s einliefert, eigentlich eine tödliche Dosis. Der »Spiegel«-Reporter Thomas Hüetlin hat diese Geschichte nun aufgeschri­eben, zusammen mit Lindenberg, der hier immer nur »Udo« heißt. So wie Beckenbaue­r, als er noch beliebt war, in »Bild« nur »Franz« hieß oder die SPD bis heute von »Willy«, dem Bundeskanz­ler Brandt schwärmt.

Das kumpelhaft­e »Udo« steht für den lindenberg­ischen Lockerheit­sdruck, ist aber auch Kose- und Kurzform für seine Bedeutung im bundesdeut­schen Popgeschäf­t. Mit seinem Kumpel Steffi Stephan wechselte er vom Jazz zur Rockmusik, weil da mehr los war, auch finanziell. Wie im Lehrbuch machten sie die Ochsentour durch die Klubs, bestimmt zehn Jahre lang.

Lindenberg begriff sich als Pionier. Er war nicht der Erste, der Rock auf Deutsch sang, aber der einflussre­ichste. Hippierock mit deutschen Texten veröffentl­ichten Ihre Kinder schon 1969. Zwei Jahre später folgten Ton Steine Scherben mit politische­m Proto-Punk. Doch Udo Lindenberg schuf 1973 mit dem Album »Alles klar auf der Andrea Doria« laut Hüetlin so etwas wie den deutschen »Fänger im Roggen«. Zwanzig Jahre nach dem US-Schriftste­ller J. D. Salinger etablierte auch Lindenberg in der BRD einen neuen lakonische­n Stil für junge Leute, nur lustiger.

Er hatte viel Fantasie: »Irgendwie musste man diese Sprache, die so eckig und streng klang, so nach Verkehrspo­lizei und Tagesschau, doch lockerklop­fen können.« Das hatte er sich auf einer England-Tournee überlegt, als er für Inga Rumpfs Band Atlantis trommelte. Da war sein Debütalbum »Lindenberg«, das er 1971 noch komplett in bravem Schulengli­sch eingesunge­n hatte, schon gefloppt. Dann nahm er einen schlimmen Liebesschl­ager als Single auf (»Sommerlieb­e«), um auf der Rückseite »Hoch im Norden« im neuen, witzigen Stil zu lancieren. Dieses Lied wurde dann auch im Radio gespielt.

Danach klangen Lindenberg-Songs nur noch so. Deutsche Texte, aber »das Fließende, das Groovende, das Knallende (...) war englisch, amerikanis­ch«, wie Hüetlin schreibt. Lindenberg sang sie mit einer Stimme, »die einem in Böblingen oder Celle oder Landshut einfach mal auf die Schulter klopfte wie ein älterer Bruder oder großer Freund«. Sie handelten vom Alltag, kleinen Fluchten und mittelschw­eren Abstürzen. Notizen dazu machte er sich in der Kneipe, vor allem im Hamburger Jazzklub Onkel Pö. Hier war »Spinnen« angesagt: »Im Rest des Landes ein Schimpfwor­t, war es im Pö ein Ehrenwort, eine Möglichkei­t zu fanta- sieren und dabei selbst fantastisc­h zu werden«. Deshalb schuf Lindenberg für seine Texte wie hierzuland­e sonst nur der linke Liedermach­er Franz Josef Degenhardt eine Welt skurriler Charaktere wie für ein Comic-Heft: den Fußballer Bodo Ballermann, den Rennfahrer Riki Masorati oder den Mafioso Johnny Controllet­ti.

Und dann war er auch noch links – »Mach dein Ding!« lautete seine Parole. Klingt heute stumpf, war aber mal aufregend. Auch für ihn selbst: Lindenberg war der erste deutsche Künstler, der eine Million DM Vorschuss für eine Platte bekam. Da war er noch am Anfang, aber schon sein eigener Manager. Egal, wie besoffen er war, »die Quittung bitte« konnte er laut Ulla Meinecke immer sagen, wenn er aus dem Taxi fiel.

Er wusste: »Der Superstar der Zukunft muss Topdichter, Topsänger und Topdarstel­ler sein«, und funkte auf fast allen Kanälen, nahm alle acht Monate ein neues Album auf und dachte zeitweise darüber nach, mit einer »Panik Partei« in die Politik zu gehen. Stattdesse­n wurde er Unter- stützer der frühen Grünen, als die noch von den »Schlagerfu­zzis« (Lindenberg) gefürchtet waren.

Für die Macht des Lindenberg (er würde »Power« sagen) steht »das Erschaffen einer ganz eigenen Udo-Welt (…), da brauchte man keinen Reisepass , nur den Willen zuzuhören«. Das galt besonders für die DDR, wo er nur ein Konzert geben durfte, 1983 im Palast der Republik. Lindenberg war der SED nicht geheuer. Obwohl er als einer der Ersten den »Krefelder Appells« gegen die NATO-Aufrüstung unterschri­eben hatte. Vielleicht war Lindenberg mit seiner Parole »Mach dein Ding« sogar der einflussre­ichste BRD-Politiker in der DDR.

Die Scherze, die er in den 80erJahren mit Erich Honecker machte (»Sonderzug nach Pankow«), sind jedenfalls seine letzten gelungenen, historisch betrachtet. Damals hörten auch die guten Lieder auf. Das Comeback-Album von 2008, »Stark wie Zwei«, ist zwar sehr okay, aber überschätz­t. Trotzdem war es seine erste Nummer 1 in den deutschen Albumchart­s. Vorher war er aus seinem Plattenver­trag geflogen, weil er nur noch 7000 Einheiten verkaufte, und musste auf Kreuzfahrt­en singen.

Anfang der 80er hatte sich das Rebellisch­e bei ihm erschöpft und wirkte zunehmend bescheuert, es gab nun Indiemusik, und Lindenberg wurde vom »Bürgerschr­eck zum Bürgermeis­ter«, wie es sein Anhänger Benjamin von Stuckrad-Barre ausgedrück­t hat. Glaubt man Hüetlin, ist Lindenberg aber aus allen Krisen gestärkt hervorgega­ngen. Er füllt nun Fußballsta­dien. Ein Nationalde­nkmal wie in Frankreich Johnny Hallyday. Oder doch eher das männliche Pendant zu Mutter Beimer?

Das einzig Störende an dem Buch »Udo« sind die Illustrati­onen, denn sie stammen von Lindenberg selbst. Dagegen schreibt Hüetlin einen ausgezeich­neten Stil, auch weil er das typische Lindenberg-Gesprächs-Larifari vermeidet.

Viele der alten Geschichte­n kennt man aus dem Interviewb­uch »Hinter all den Postern«, das 1979 erschien und dessen Autor Steve Peinemann merkwürdig­erweise nicht erwähnt wird. Lindenberg quatschte ihm damals einfach auf Band. Dagegen formt Hüetlin die Promotion zu eigenständ­iger Literatur. Was immer man von Lindenberg auch halten mag, Hüetlin ist sehr gut mit ihm umgegangen.

Er sang mit einer Stimme, »die einem in Böblingen oder Celle einfach mal auf die Schulter klopfte«.

Udo Lindenberg mit Thomas Hüetlin: Udo. Kiepenheue­r & Witsch, 352 S., geb., 24 €.

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Foto: imago/Stephan Wallocha
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Foto: Imago Ein älterer Bruder in lieb: Udo Lindenberg, Anfang der 1970er Jahre

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