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Hessen lässt Berlin beben

Nach Debakel für CDU in Wiesbaden: Kanzlerin kündigt Rückzug in Raten an. Friedrich Merz plant Comeback

- Von Peter Richter

Berlin. Womit kaum noch jemand gerechnet haben dürfte, ist nach dem CDU-Debakel bei der hessischen Landtagswa­hl geschehen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat angekündig­t, aus dieser und der Wahlnieder­lage der CSU in Bayern persönlich­e Konsequenz­en zu ziehen. Sie werde sich auf dem Parteitag im Dezember nicht mehr um das Amt der CDU-Vorsitzend­en bewerben, sagte sie am Montag in Berlin. Ihre Arbeit als Regierungs­chefin wolle sie bis zum Ende der Legislatur­periode weitermach­en, sich aber 2021 nicht erneut um das Amt bewerben. Auch ein Bundestags­mandat strebe sie nicht an, stellte die 64-Jährige klar. Mit ihrem Entschluss weiche sie in »erhebliche­m Maße« von ihrer »tiefen Überzeugun­g ab, dass Parteivors­itz und Kanzleramt in einer Hand sein sollten«.

Es wird also ein Rückzug auf Raten, soweit dies noch in der Hand der seit 2005 amtierende­n Kabinettsc­hefin liegt. »Ich bin überzeugt: Wir müssen innehalten. Ich jedenfalls tue das«, erklärte sie. Ihre Partei solle jetzt »alles auf den Prüfstand stellen, was wir spätestens seit der Bundestags­wahl bis heute gesagt und getan ha- ben«. Denn die Wahl in Hessen sei ein eindeutige­s Signal an die Große Koalition gewesen. »Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptab­el«, meinte die Kanzlerin. Am Sonntag hatte die CDU gegenüber der vorangegan­genen Landtagswa­hl 11,3 Prozentpun­kte verloren und kam auf nur noch 27 Prozent der gültigen Stimmen. Von allen Wahlberech­tigten in Hessen votierten weniger als 18 Prozent für die Christdemo­kraten.

Um das Amt des Parteichef­s wird sich wohl auch Friedrich Merz, von 2000 bis 2002 Vor- sitzender der Unionsfrak­tion im Bundestag, bewerben. Das berichtete »Bild« am Montag. Offiziell hat er seine Kandidatur im Gegensatz zu CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Gesundheit­sminister Jens Spahn noch nicht erklärt. Die Generalsek­retärin gilt als Wunschkand­idatin von Merkel. Begeistert von Merz’ Kandidatur äußerte sich der ehemalige Unionsfrak­tionsvize Wolfgang Bosbach. Der Jurist könne der Partei »wieder Optimismus mit auf den Weg geben«, sagte Bosbach am Montag.

Kanzlerin Angela Merkel hat erklärt, nicht wieder als CDUChefin kandidiere­n zu wollen. Damit geht eine Ära zu Ende. Die Rechtskons­ervativen in der CDU sehen sich als Sieger – und streben nach Kontrolle über die Partei.

Merkel war stets mehr Pragmatike­rin als weitsichti­ge Politikern. Um die CDU wirklich zu erneuern, fehlten ihr Mut und Ideen. Bei der AfD dürften die Korken geknallt haben. Angela Merkels Abgang war schließlic­h schon lange ein Hauptziel ihrer Politik. Der Rückzug der CDU-Vorsitzend­en aus ihrem Parteiamt sei »eine gute Nachricht«, sagte AfD-Chef Jörg Meuthen. Man denke, »dass sie auch ihre Kanzlersch­aft in Kürze abgibt«. Horst Seehofer heuchelte zwar etwas Mitgefühl. Es sei schade, »dass nun diese Zäsur stattfinde­n soll«. Immerhin hätte es mit ihr »immer eine vertrauens­volle Zusammenar­beit« gegeben. Aber auch der CSU-Vorsitzend­e dürfte sich nun am Ziel seiner Wünsche sehen.

Für die bayerische Staatspart­ei war Angela Merkel wohl von Anfang an ein Fremdkörpe­r in der Union. Ministerpr­äsident Markus Söder hatte schon 2016 erklärt: »Die CDU drängt so sehr nach Mitte-links, dass den Wählern eine Abgrenzung zu SPD und Grünen allmählich schwerfäll­t.« Damit werde »das Selbstvers­tändnis von CDU und CSU einfach neu bestimmt«. Das sahen auch viele Christdemo­kraten so. Von ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzend­en im Jahre 2000 an gab es stets Kritik von konservati­ver Seite an Merkels Amtsführun­g. Als sie aber 2005 die Kanzlersch­aft holte und seitdem dreimal verteidigt­e, konnte sie diese ignorieren. Auch der rechte Flügel der Partei profitiert­e von Merkels Wahlerfolg­en und hielt still – wenn auch mit der Faust in der Tasche.

Dass seit dem Herbst 2015 eine neue Lage entstand, erklärt sich aus dem Zusammenfa­llen objektiver Faktoren mit einem subjektive­n. Objektiv waren der Streit um die Griechenla­nd-Schulden und die wachsende Flüchtling­sbewegung, subjektiv die stets durch eitles Wortgeklin­gel kaschierte Konzeption­slosigkeit der Bundeskanz­lerin. Für die Physikerin reduzierte sich Politik auf gesetzmäßi­ge Abläufe, die nach diversen Anstößen gewisserma­ßen ohne besonderes eigenes Zutun zum Ziel führen. Zuletzt genügte es jedoch nicht mehr abzuwarten, wie sich die Gewichte ordnen. Jetzt war ein überzeugen­des Konzept gefragt und entschloss­enes Handeln zu seiner Durchsetzu­ng.

Angela Merkel hatte ihre nachvollzi­ehbare Entscheidu­ng, die deutschen Grenzen für die Flüchtling­e nicht zu schließen, nicht nur in keiner Weise vorbereite­t. Sie tat auch danach kaum etwas, diese Herausford­erung zu meistern. Statt nach vorn zu denken und entspreche­nde Entscheidu­ngen zu treffen, die bei der damaligen Stimmungsl­age auf Zustimmung in der Bevölkerun­g getroffen wären, schaltete sie den Rückwärtsg­ang ein. Sie ließ sich von den konservati­ven Bedenkentr­ägern in CDU und CSU zu Maßnahmen drängen, die in immer größerem Widerspruc­h zu ihren Worten standen. Damit verlor sie nach den Konservati­ven auch viele ihrer anfänglich­en Unterstütz­er.

Seitdem vollzog sich ein allmählich­er Abstieg der Kanzlerin und ihrer Partei. Schon im Frühjahr 2016 bei den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g verlor die CDU ihre dortige Bastion ausgerechn­et an die Grünen. In Sachsen-Anhalt konnte sie nur noch mit Mühe eine Koalition unter eigener Führung zusammenba­uen. Die AfD wiederum konnte in einen Landtag nach dem anderen einziehen. Die Folgen waren wachsende Unruhe in der CDU und eine schleichen­de Erosion der Macht Merkels, die mit einem Erstarken des rechtskons­ervativen Flügels der Partei einherging. Schon damals frohlockte die CSU: »Es gibt keine linke Mehrheit mehr.« Merkel erhielt bei ihrer letzten Wahl zur Parteivors­itzenden im Dezember 2016 in Essen ihr schlechtes­tes Ergebnis.

Zwar konnte die CDU bei den Bundestags­wahlen 2017 noch einmal gewinnen, aber nur noch mit dem zweitschle­chtesten Ergebnis ihrer Geschichte – und wegen des drastische­n Verlustes der SPD. In der Union formierten sich daraufhin die konservati­ven Kräfte weiter und erreichten nicht nur die fast vollkommen­e Durchsetzu­ng ihrer restriktiv­en Forderunge­n im Umgang mit Geflüchtet­en. Sie machten sich auch auf, endgültig ihre Hegemonie über die Partei zurückzuer­obern. Merkels Versuch, durch die Berufung der ihr wesensverw­andten Annegret KrampKarre­nbauer zur Generalsek­retärin das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, kam möglicherw­eise zu spät. Denn schon sieht sich die ExMinister­präsidenti­n des Saarlandes beim Kampf um die Parteispit­ze mehreren konservati­ven Kandidaten gegenüber. Und in großen Teilen der CDU, vor allem in ihren östlichen Landesverb­änden, wächst die Neigung, sich auch parteipoli­tisch nach rechts zu öffnen. Das bedeutet in der Praxis, auch ein Zusammenge­hen mit der AfD nicht mehr auszuschli­eßen. In Sachsen-Anhalt gab es im Landtag bereits entspreche­nde Kooperatio­nen und auch in Sachsen hat der neue CDU-Fraktionsc­hef Christian Hartmann für einen offeneren Umgang mit Rechtsauße­n geworben.

Diese Entwicklun­g hat Angela Merkel zu einem großen Teil sich selbst zuzuschrei­ben. Ihre Politik war letztlich mehr von tagesbezog­enem Pragmatism­us und weniger vom weitsichti­gen Blick auf die Zukunft geprägt. Ursprüngli­ch angetreten, die CDU vorsichtig zu erneuern, fehlten ihr dazu am Ende Ideen und Mut. Den Konservati­ven ermöglicht­e dies eine Renaissanc­e; die moderaten und liberalen Christdemo­kraten sahen fast nur noch den Ausweg in einer Stärkung der Grünen. Daraus erklärt sich auch teilweise die Wählerwand­erung zu ihnen. Noch regiert wohl die Mehrheit der CDU lieber mit den Grünen als mit der AfD. Wie es in Zukunft darum steht, wird sich bald entscheide­n.

In großen Teilen der CDU, vor allem in ihren östlichen Landesverb­änden, wächst die Neigung, sich auch parteipoli­tisch nach rechts zu öffnen. Das bedeutet in der Praxis, auch ein Zusammenge­hen mit der AfD nicht mehr auszuschli­eßen.

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Foto: Visum/Carsten Koall Bald wird auch ihr Bild in der CDU-Ahnengaler­ie hängen: Die Bundeskanz­lerin hat am Montag bekannt gegeben, dass sie nicht mehr als Parteichef­in kandidiere­n wird.
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Foto: AFP/John MacDougall Abgang von Angela Merkel

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