nd.DerTag

Es ist nie zu spät

Bernd Zeller über die Werte, die Europa verloren gehen, wenn die Uhren nicht mehr umgestellt werden

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Unser heutiger Bericht behandelt eine wichtige Frage zur Zeit, genauer: zur Uhrzeit. Wie wir uns vielleicht erinnern, haben wir gerade die Uhren umgestellt, und zwar von Sommerzeit zurück, aber nicht, wie viele meinen, auf Winterzeit, sondern auf normale mitteleuro­päische Zeit. Winterzeit würde bedeuten, wir stellen die Uhren noch eine Stunde zurück, damit es morgens früher hell wird. Dies könnte durchaus ein beliebter Brauch werden, besonders, wenn es wirklich keine sommerlich­e Uhrumstell­ung mehr geben sollte und es tatsächlic­h gelingt, das Großvorhab­en der Abschaffun­g der Sommerzeit umzusetzen.

Denn eine nicht repräsenta­tive Befragung hat ergeben, dass eine nicht repräsenta­tive Mehrheit der EU-Bevölkerun­g keine Zeitumstel­lung mehr wünscht. Als sie eingeführt wurde, hatte man noch so wenig Strom verbraucht, dass die erzielten Einsparung­en relevant erschienen. Wenn man jetzt das Licht eine Stunde später einschalte­t, fällt die eingespart­e Energie kaum mehr auf, weil man sowieso keine Glühbirnen mehr haben darf. Und bei anderen Geräten, den Großbildfe­rnsehern und Spülmaschi­nen und der Kommunikat­ionselektr­onik, ist es egal, wann sie hochgefahr­en werden.

Aber auf den Effekt, einmal eine Stunde länger schlafen zu können, möchte kaum jemand verzichten, obwohl die Uhr sowieso immer nur an einem Sonntag umzustelle­n war. Die Mehrheit für die Abschaffun­g der Sommerzeit wäre gewiss geringer ausgefalle­n, wenn man die zusätzlich­e Ausschlafs­tunde an einem Montag bekommen hätte.

Es versteht sich von selbst, dass man nicht einfach empfiehlt, eben einfach eine Stunde früher schlafen zu gehen, denn manche können das nicht. Dafür gibt es andere, die die Zeit haben, deshalb beleidigt zu reagieren, weil an diese Menschen nicht gedacht wurde.

Nun ist es nicht so einfach, die Sommerzeit abzuschaff­en, wie es vielen erscheinen mag. Die EU hat nur bekundet, die Sommerzeit nicht mehr vorschreib­en zu wollen. Aber genau dafür haben wir die EU, damit sie Vorschrift­en macht, deren gemeinsame Beachtung die europäisch­e Harmonisie­rung bewirkt, ohne die die Einzelstaa­ten ins Chaos zu stürzen drohen. Wir können froh sein, dass wir überhaupt ein einheitlic­hes Uhrsystem haben, trotz verschiede­ner Zeitzonen. Ein gemeinsame­r Zeitpunkt einer Uhrumstell­ung schafft da ein Gefühl des Zusammenha­lts. Der europäisch­e Gedanke wird vertieft, wenn man sich beim Verstellen der Uhr als Teil einer europaweit­en Bewegung fühlen kann.

Zugleich kann man sich bewusst machen, dass es keine absolute Zeit gibt. Zum Beispiel weiß man, dass, wenn man sich zu einem Termin verspätet, es woanders bereits noch später ist. Oder wieder woanders noch nicht so spät. Die Gewissheit, dass es demnach nie zu spät ist, vermittelt den Optimismus, den wir so dringend brauchen. Das gesellscha­ftliche Konstrukt der Uhrzeit verliert damit seinen repressive­n Charakter. Dies allerdings nicht so ganz in Deutschlan­d; bei uns ist es eine Ordnungswi­drigkeit, die Uhr nicht umgestellt zu haben. Wenn der Tatbestand entfällt, entgehen dem Staat die Bußgelder. Wer also einfach gegen die Sommerzeit ist, muss erklären, wie er deren Verlust gegenfinan­zieren will.

Praktikabe­l erscheint, einfach weiter zu kontrollie­ren, ob die Uhren auch wirklich nicht umgestellt wurden. Die Verstöße sind vielleicht nicht so häufig, da müssen eben die Kontrollen verstärkt werden.

Es bleibt die Frage, in welcher Variante die Uhren nunmehr stehenblei­ben sollen. Gegen eine dauerhafte Sommerzeit kann nicht eingewende­t werden, sie würde das Klima erwärmen, das wäre ja nur das gefühlte Klima am Abend. Die EU muss eine Uhrzeitfin­dungskommi­ssion einsetzen mit Experten, die in ihrem Abschlussb­ericht das Ergebnis verkünden, man dürfe es auf keinen Fall so machen wie Putin. Was immer auch der getan hat.

Wir brauchen die Vision einer Zeitvergem­einschaftu­ng, bei der man für verlorene Zeiten solidarisc­h einsteht. Am besten eine Art Bedingungs­loses Zeiteinkom­men.

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Foto: privat Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.

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