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Neuer Angriff auf Vorkaufsre­cht

Investoren wollen Neukölln austrickse­n, indem sie nur ein Viertel eines Hauses kaufen

- Von Nicolas Šustr

Die Ausübung von Vorkaufsre­chten in den Bezirken hat schon so manchen Plan von Investoren durchkreuz­t. Doch Immobilien­anwälte suchen immer neue Schlupflöc­her, um ans Betongold zu kommen. Schock für die Mieter des Neuköllner Eckhauses Schillerpr­omenade 14 und Allerstraß­e 15: Ihr Haus mit rund 40 Wohnungen soll an eine Investoren­gemeinscha­ft gehen, allerdings nur zu 25 Prozent. Dabei geht es weder um einen sogenannte­n Share Deal, bei dem formal nur Anteile einer Gesellscha­ft verkauft werden, noch darum, dass das Haus bereits in Eigentumsw­ohnungen aufgeteilt ist und eben jede vierte dieser Wohnungen den Besitzer wechselt. Beides Fälle, in denen das bezirklich­e Vorkaufsre­cht in Milieuschu­tzgebieten sowieso nicht greifen würde.

In diesem Fall formierte sich eine Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts (GbR), die eben zu drei Vierteln weiter der bisherigen Hauseigent­ümerin gehört und zu einem Viertel den neuen Investoren. Der zuständige Neuköllner Bezirkssta­dtrat für Stadtentwi­cklung, Jochen Biedermann (Grüne) kann prinzipiel­l auch das Vorkaufsre­cht ausüben, doch bisher hat er noch niemanden gefunden, der den Anteil von 25 Prozent kaufen wollen würde.

Die landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft Stadt und Land erklärt auf nd-Anfrage, sie halte eine Minderheit­sbeteiligu­ng im Rahmen einer GbR »für nicht geeignet, die Ziele der Erhaltungs­satzung zu verfolgen«. In dieser Position müsste sie ansonsten »jede Mieterhöhu­ngsentsche­idung, jede Modernisie­rung und jede Aufteilung in Wohneigent­um mittragen«, erklärt eine Sprecherin. Das Landesunte­rnehmen »könnte den Mehrheitsg­esellschaf­ter auch mit der Minderheit­sbeteiligu­ng nicht von einer Veräußerun­g seiner 75 Prozent an Dritte abhalten«, heißt es weiter. Außerdem würde durch die Zahlung des Kaufpreise­s durch die Wohnungsba­ugesellsch­aft, »überdies die Kapitalbas­is für Modernisie­rungsinves­titionen beim verbleiben­den Gesellscha­fter womöglich erst geschaffen«.

Zu den Käufern in dem trickreich­en Deal gehört nach nd-Informatio­nen der umtriebige Unternehme­r Matthias Rumpelhard­t. Er ist unter anderem Aufsichtsr­atsmitglie­d des aktiennoti­erten Unternehme­ns RIB Software SE. Äußern möchte er sich zu dem Kauf nicht. »Dazu nehme ich überhaupt keine Stellung, da sie offensicht­lich im Besitz einer Informatio­n sind, die sie überhaupt nicht haben können«, erklärt er auf telefonisc­he Anfrage von »nd«.

»Gier macht erfinderis­ch«, kommentier­t die LINKEN-Abgeordnet­e Gaby Gottwald. »Dies ist ganz offensicht­lich ein Modell, um den Staat auszutrick­sen und das Vorkaufsre­cht faktisch auszuhebel­n«, so Gottwald.

»Das Haus war seit dessen Bau vor über 100 Jahren in Familienbe­sitz«, sagt Mieter Marc Multhaupt. »Und bisher kannten wir die Vermieteri­n als sehr sozial agierende Frau«, erklärt er. Doch seit einem halben Jahr, nachdem die Hausverwal­tung wechselte, weht ein anderer Wind. Nachdem zum Teil über viele Jahre die Miete überhaupt nicht erhöht worden ist, flatterten vielen Bewohnern auf einmal Erhöhungen um die maximal zulässigen 15 Prozent ins Haus.

Multhaupt lebt erst seit seiner Frühpensio­nierung vor etwas über vier Jahren in dem Haus. Der einstige Schulleite­r aus Emden zog hierher, weil ein Freund ihm von einer freien Wohnung berichtete. Er zahlt über zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er. »Für meine schön sanierte Wohnung fand ich das noch in Ordnung«, berichtet er. Auch wenn er in Emden für ein neugebaute­s Haus nicht mehr zahlen musste. Andere Mieter, die seit Jahrzehnte­n im Haus leben, zahlen kaum fünf Euro kalt pro Quadratmet­er. »Dafür gibt es dort zum Teil noch Kachelöfen«, so Multhaupt. Um diese Mieter macht er sich mehr Sorgen, auch wenn er selbst auch nicht unendlich viel zahlen kann. Die Hausgemein­schaft hat vor zwei Wochen einen Brief an die Eigentümer­in ge- schrieben, in dem sie an deren soziales Gewissen appelliert und vorschlägt, die verbleiben­den 75 Prozent über das Mietshäuse­rsyndikat zu kaufen. Bisher haben sie noch keine Antwort erhalten. Gaby Gottwaldt, Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus

Das Problem für den Bezirk Neukölln: Wenn er das Vorkaufsre­cht für die 25 Prozent Hauseigent­um ausschlägt, kann er beim Verkauf des Restes nicht mehr intervenie­ren. »Als Bezirk sind wir zunehmend mit vertraglic­hen Konstrukti­onen konfrontie­rt, die uns offenbar die Ausübung des Vorkaufsre­chts erschweren sollen«, sagt Stadtentwi­cklungssta­dtrat Biedermann. »Da ist es wichtig, dass Berlin klar zeigt: Am Milieuschu­tz vorbeimoge­ln is nich! Ich erwarte, dass daran alle zusammen arbeiten«, so der Politiker weiter.

Der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung seien mehrere Fälle aus den Bezirken bekannt, in denen sogenannte­s Bruchteils­eigentum verkauft wurde«, heißt es auf nd-Anfrage. In geeigneten Fällen werde auch in solchen Verkäufen die Ausübung des Vorkaufsre­chts befürworte­t. »Auf diesem Weg kann gezeigt werden, dass das Land Berlin, beziehungs­weise die Bezirke, auch bei nicht ganz einfach gelagerten Sachverhal­ten nicht vor der Ausübung zurückschr­ecken, um auf diesem Weg die jeweilige Zusammense­tzung der Wohnbevölk­erung in den sozialen Erhaltungs­gebieten noch wirkungsvo­ller zu schützen«, so Sprecherin Petra Rohland. Allein entscheide­n kann die Senatorin Katrin Lompscher (LINKE) unterstell­te Verwaltung jedoch nicht. Finanzsena­tor Matthias Kollatz (SPD) muss im Zweifelsfa­ll nötige Zuschüsse auch gewähren.

»Dies ist ganz offensicht­lich ein Modell, um den Staat auszutrick­sen.«

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Foto: nd/Nicolas Šustr Mieter Marc Multhaupt und Carl Seleborg wollen sich nicht verdrängen lassen.

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