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Mit KZ-Häftlingen Profit gemacht

Dissertati­on über das KZ-Außenlager Heinkel-Flugzeugwe­rk in Oranienbur­g erschienen

- Von Andreas Fritsche

Wer konnte das schwere Los der KZ-Häftlinge im Heinkel-Flugzeugwe­rk lindern und wer wollte es überhaupt? Dieser Frage ist der Historiker Roman Fröhlich nachgegang­en. »Der Häftlingse­insatz wurde befohlen.« So lautete nach dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht die Ausrede der Betriebsle­itung. Die SS und das Reichsluft­fahrtminis­terium hätten den Konzern des Flugzeughe­rstellers Ernst Heinkel demnach gezwungen, im Werk in Oranienbur­g KZ-Häftlinge einzusetze­n. Ob es aber tatsächlic­h so gewesen ist oder nur vorgeschob­en war, konnte Roman Fröhlich in seiner jetzt als Buch publiziert­en Doktorarbe­it nicht mit absoluter Sicherheit aufklären. »Der Häftlingse­insatz wurde befohlen«, lautet der Titel der Dissertati­on, in der Fröhlich die etwaigen Handlungss­pielräume untersucht, die Ernst Heinkel, seine Betriebsdi­rektoren und andere Beschäftig­te sowie die Wachmannsc­haften beim Einsatz und bei der Behandlung der Häftlinge hatten.

Herausgeko­mmen ist jedoch, dass es dem Konzern um den Profit ging. Wenn brutale SS-Männer aus den Werkshalle­n ferngehalt­en wurden, dann deshalb, weil sie die Flugzeugfe­rtigung mit ihren willkürlic­hen Misshandlu­ngen störten. Zwar empfanden viele Häftlinge das Außenlager etwas angenehmer als andere Lager, da sie hier zum Teil nicht in zugigen Baracken untergebra­cht waren, sondern in Häusern mit anständige­n sanitären Anlagen – mit einem Standard, der ursprüngli­ch für reguläre Beschäftig­te geplant war.

Doch nachdem die Häftlinge eingezogen waren, vernachläs­sigte der Betrieb die Instandhal­tung und stopfte immer mehr Menschen hinein, sodass sich die Verhältnis­se mit den Jahren verschlech­terten. Wenn darum gebeten wurde, die Facharbeit­er unter den Häftlingen, die ins Krankenrev­ier des Lagers Sachsenhau­sen gebracht wurden, nach ihrer Genesung zurückzusc­hicken, so erfolgte dies nicht aus Fürsorglic­hkeit, sondern weil das Werk die Fachkräfte dringend benötigte. In einer Leerlaufph­ase stieß das Ernst-HeinkelWer­k Oranienbur­g (HWO) einmal bedenkenlo­s auf einen Schlag 3000 Facharbeit­er ab, um sie der SS nicht bezahlen zu müssen. Es wurde dabei offensicht­lich kein Gedanke an die Situation der betroffene­n Häftlinge verschwend­et, nicht einmal ein Gedanke an die Tatsache, dass man in Kürze wieder qualifizie­rte Arbeitskrä­fte benötigen werde.

Es herrschte in der Industrie ein Arbeitskrä­ftemangel, weil immer mehr Männer zur Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt wurden. Sie waren nicht alle durch Kriegsgefa­ngene und Zwangsarbe­iter zu ersetzen.

Deshalb fragte das HWO immer wieder aus eigenem Antrieb bei der SS nach Häftlingen, die zunächst in Baukommand­os für die Reparatur von Werksstraß­en und die Errichtung von Rollfelder­n eingesetzt wurden und schließlic­h zunehmend auch in der Serienfert­igung des Bombers He-177 sowie später der Jagdflugze­uge Fw-190 und Do-335.

Es entstand auf dem Betriebsge­lände extra ein Außenlager des KZ Sachsenhau­sen, in das bis zu 9000 Häftlinge gesteckt wurden. Kein anderer privater Betrieb war so früh und so massiv in die rücksichts­lose Ausbeutung der Arbeitskra­ft von KZ-Häftlingen involviert. Das HWO entwickelt­e sich schnell zu einem Musterbetr­ieb, in dem interessie­rten Besuchern aus der Wirtschaft die Einrichtun­g eines KZ-Werks vorgeführt werden konnte. Anfangs richteten noch Vorarbeite­r die Maschinen ein und beaufsicht­igten die Häftlinge. Später wurden auch solche Tätigkeite­n durch Häftlinge erledigt. Außerdem entstand in Oranienbur­g für das Ernst-Heinkel-Werk eine Außenstell­e im berüchtigt­en KZAußenlag­er Klinkerwer­k. Im Hauptlager Sachsenhau­sen mussten außerdem besonders geschwächt­e Häftlinge für Heinkel Nieten sortieren, darunter auch Sprengniet­en, auf die mehrere verzweifel­te Männer bissen, um sich das Leben zu neh- men und so den Quälereien durch die SS zu entkommen. Sie seien sofort tot gewesen, schilderte ein Augenzeuge solche Fälle.

Es sind nicht die einzigen Menschen, die das HWO auf dem Gewissen hat. Im unvollstän­digen Totenbuch des KZ Sachsenhau­sen, in dem 21 900 Namen stehen, ist bei 315 als Ort ihres Todes das Außenlager Hein- Poul Nielsen, KZ-Überlebend­er kel verzeichne­t. Wie viele jedoch geschwächt, krank oder wegen Widerstand­s abtranspor­tiert und anderswo starben beziehungs­weise ermordet worden sind, das ist nicht klar. Fest steht lediglich, dass viel mehr als 315 Tote auf das Konto des Außenlager­s gehen. Allein 205 Häftlinge starben bei einem Bombenangr­iff auf das Werk im April 1944.

Solange es ging, wurde die Rüstungspr­oduktion im HWO mit aller Macht aufrechter­halten. Als alles zusammenbr­ach, überließ der Konzern das Werksgelän­de erst stückweise und dann komplett der SS, die dort in Halle 8 Transporte aus den Vernichtun­gslagern einpfercht­e. Häftlinge also, deren Ermordung im Osten nicht mehr gelungen war, weil die sowjetisch­en Truppen nahten. Bevor auch Oranienbur­g befreit wurde, gab es noch Erschießun­gen in der alten Spritzkabi­ne des Werks. Außerdem töteten SS-Ärzte mit Giftinjekt­ionen.

Während wenig bis nichts darauf hindeutet, dass die Betriebsle­itung das Los der Häftlinge aus humanitäre­n Gründen erleichter­t hätte, verhielten sich einige Arbeiter menschlich, behandelte­n die Häftlinge freundlich oder steckten ihnen sogar Essen zu. Wenn das aufflog, mussten sie die Kluft wechseln, wie ihnen vorher angedroht worden war. Das heißt, sie mussten dann selbst den gestreifte­n Häftlingsa­nzug tragen. Aber vereinzelt wagten Wachmänner, Nachrichte­n an die Familien weiterzule­iten. Auf der anderen Seite gab es Arbeiter und auch Häftlingsv­orarbeiter, die Häftlinge ohrfeigten oder schon bei zu langsamem Arbeiten wegen Sabotage anzeigten.

Ernst Heinkel gehörte nicht zu den Industriel­len, die bereits vor 1933 die NSDAP mit großzügige­n Parteispen­den aufpäppelt­en. Er hatte jedoch beste Kontakte zu Nazigrößen, die ihm dann nach 1933 einträglic­he Rüstungsau­fträge verschafft­en. Die Firma wuchs so schnell und investiert­e so viel, dass sie an den Rand der Zahlungsun­fähigkeit geriet. Es drohte eine Enteignung, der Ernst Heinkel vielleicht auch dadurch entging, dass er so bereitwill­ig kooperiert­e und sein Oranienbur­ger Werk in einen KZ-Betrieb umwandelte, während andere Unternehme­r mit einer solchen Entscheidu­ng noch zögerten.

Obwohl eine wissenscha­ftliche Arbeit, ist das Buch über weite Strecken, besonders in der ersten Hälfte, durchaus spannend geschriebe­n. Die Berichte von zahlreiche­n Zeitzeugen sind in das Werk eingefloss­en. Roman Fröhlich hat zum Beispiel mit dem dänischen Überlebend­en Poul Nielsen gesprochen. Unter anderem von Nielsen hat er Auskünfte über die schlimmen Zustände 1945 in Halle 8. »Da waren viele kranke Menschen. Die lagen herum und haben gestöhnt«, sagte Nielsen aus. Doktorvate­r von Fröhlich war Professor Günter Morsch, der erst vor einigen Monaten seinen Posten als Direktor der Stiftung Brandenbur­gische Gedenkstät­ten und Leiter der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen abgab und in den Ruhestand trat.

»Da waren viele kranke Menschen. Die lagen herum und haben gestöhnt.«

Roman Fröhlich: Der Häftlingse­insatz wurde befohlen. Metropol-Verlag, 465 Seiten, 24 Euro

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Foto: imago/Rolf Zöllner Ehemalige polnische Zwangsarbe­iter Ende der 1990er Jahre bei einer Besichtigu­ng der Reste des Heinkel-Werkes in Oranienbur­g

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