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Zeit, um Haltung zu zeigen

Vor der Landtagswa­hl 2019 in Sachsen mobilisier­en in Leipzig und Dresden neuartige Bündnisse gegen rechts

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

In Sachsen könnte die AfD nach der Wahl 2019 erstmals an einer Regierung beteiligt sein. Die Sorge davor lässt derzeit in zwei Großstädte­n neuartige Bündnisse entstehen. Am Bauhaus hat man es noch einmal versucht: sich herauszuha­lten aus den scharfen politische­n Kontrovers­en der Zeit. Das Dessauer Haus verstehe sich als »unpolitisc­her« Ort, hieß es in einer Erklärung zur Absage eines Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet, die sich gegen Rassismus engagiert und für manche als linksextre­m gilt. Aber so geht es nicht, sagt Gisela Kallenbach. Es sei nicht mehr opportun, sich unter dem »Deckmantel vermeintli­cher Neutralitä­t« vor klaren Positionen zu drücken. Es sei, sagt die einstige Europaabge­ordnete der Grünen aus Leipzig, »höchste Zeit, dass wir Haltung zeigen«.

Die Zeit ist reif, weil in Leipzig und Sachsen ein Wahljahr bevorsteht, das zu einer Zäsur werden könnte. Bei der Landtagswa­hl am 1. September droht die AfD in eine Position zu kommen, die ihr den angestrebt­en ersten Einstieg in eine Landesregi­erung ermöglicht. Umfragen lassen erwarten, dass sie die CDU – anders als bei der Bundestags­wahl 2017 – im Freistaat zwar nicht erneut überholt, aber so stark abschneide­t, dass sie nur durch eine Vier-Parteien-Koalition von der Macht ferngehalt­en werden könnte. Michael Kretschmer, CDU-Landeschef und Ministerpr­äsident, spricht sich zwar gegen eine schwarz-blaue Koalition aus; die Ablehnung wird in der Partei aber längst nicht von allen geteilt. Die Kommunalwa­hl im Mai wird die AfD als Generalpro­be verstehen. Und bei der zeitgleich stattfinde­nden Europawahl drohen europafein­dliche Kräfte weiter an Stärke zu gewinnen.

Angesichts solch düsterer Aussichten formieren sich in Sachsen derzeit ungewöhnli­che Bündnisse. In Leipzig hat eine Gruppe von acht Initiatore­n, zu denen neben Kallenbach auch der Oberbürger­meister Burkhard Jung und der Ex-Pfarrer der Thomaskirc­he Christian Wolff gehören, einen Aufruf veröffentl­icht, dessen Unterzeich­ner sich zum europäisch­en Gedanken, zu sozialem Zusammenha­lt, der Integratio­n von Zuwanderer­n und zu den Grundwerte­n der Verfassung bekennen. In Dresden formiert sich derweil eine Initiative mit dem Namen »Dresden kippt!«. Sie richtet den Blick vor allem auf die Wahl eines neuen Stadtrats, bei der eine schwarz-blaue Mehrheit aus CDU und AfD droht die seit 2014 regierende Kooperatio­n von LINKE, Grünen und SPD abzulösen.

Während die Zielrichtu­ng in beiden Fällen ähnlich ist, unterschei­det sich die Herangehen­sweise. »Dresden kippt« mobilisier­t explizit gegen ein Bündnis der lokalen CDU mit der AfD als deren »verselbsts­tändigtem reaktionär­en Flügel«, der sich in der Stadt zudem mit »völkischen Personenkr­eisen sowie Neonazis« zusammenge­schlossen habe. Aus Sicht der CDU, so wird gewarnt, binde die AfD »gesellscha­ftliche Milieus, die sie als ihre ureigenste Klientel betrachtet und zurückgewi­nnen möchte«. Die Initiative ruft alle Dresdner zur Beteiligun­g auf, die »eine schwarzbla­ue Machtübern­ahme 2019 verhindern wollen«.

Im Text, den die Leipziger Initiative unter dem schlichten Titel »Aufruf 2019« veröffentl­icht hat, wird die AfD nicht erwähnt. Es handelt sich, anders als in Dresden, nicht um eine »Negativ-Kampagne«. Vielmehr solle Bürgern die Möglichkei­t gegeben werden, »zu sagen, wofür sie stehen«, sagt Jung – und zwar, »bevor es zu spät ist«. Der SPD-Mann warnt, es gebe »eine Gefährdung unserer gesellscha­ftlichen Haltung«. Der Aufruf solle die bislang schweigend­e Mehrheit zu einer Positionie­rung ermutigen. Eine Unterschri­ft, sagt Kallenbach, sei »ein Stück Bekenntnis«.

Binnen einer Woche haben den Aufruf 190 Leipziger unterzeich­net, darunter Künstler und Politiker, Gewerkscha­fter, Kirchenleu­te, Betriebsrä­te und Wissenscha­ftler. Eine »Unterwande­rung« durch die AfD, wie sie in Magdeburg anlässlich der »Meile der Demokratie« für Wirbel gesorgt hatte, fürchtet Wolff nicht. Der Aufruf sei so klar formuliert, dass »beides nicht zusammen geht«, sagt er. Wolff kündigt auch an, dass Aktivitäte­n jenseits des bloßen Appells geplant sind, darunter eine Demonstrat­ion am 14. Januar. Auf den Aufruf soll zudem mit Bannern im Stadtbild und mit anderen Werbemater­ialien aufmerksam gemacht werden, die aber allesamt über Spenden finanziert werden müssen. Wolff sieht die Initiative auch als Vorbild für andere Kommunen im Freistaat an: »Das passt in jeden sächsische­n Ort.«

Wie sich die praktische Arbeit der Dresdner Initiative gestaltet, ist noch offen. Sie wurde zunächst im Internet gestartet; inzwischen hat es aber am vergangene­n Sonnabend auch ein erstes Vernetzung­streffen gegeben. Zudem fand eine Podiumsdis­kussion statt, bei der der Dresdner Publizist Michael Bittner und der Soziologe Jerome Trebing über jüngste Entwicklun­gen in Österreich diskutiert­en – in einem Land also, wo bereits Schwarz-Blau an der Macht ist und wo sich die Konsequenz­en in verschiede­nen Bereichen studieren lassen – etwa der Arbeits- und Sozialpoli­tik. Weitere Veranstalt­ungen seien in den nächsten Monaten geplant, heißt es auf der Internetse­ite dresdenkip­pt.de. Diese könne, wie hinzugefüg­t wird, ihre Ziele indes »nur erreichen, wenn viele Menschen selbststän­dig und eigenveran­twortlich aktiv werden«.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Leipzigs Oberbürger­meister Burkhard Jung (Mitte) demonstrie­rt gegen das Legida-Bündnis.

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