nd.DerTag

Dauerfeuer der Erfindunge­n

Feydeaus »Champignol wider Willen« an der Schaubühne in Berlin

- Von Volker Trauth

Er habe wie kein anderer »viel über die menschlich­e Existenz gesagt«, hat Jean Anouilh über den Dramatiker Georges Feydeau (1862–1921) geurteilt. Tatsächlic­h hat Feydeau in immer neuen Varianten die Doppelmora­l in der französisc­hen Wohlstands­gesellscha­ft um 1900 ins Visier genommen, einschließ­lich ihrer Abstiegsän­gste und Existenznö­te.

Spätestens nach der umjubelten Uraufführu­ng seines Stückes »Champignol wider Willen» 1892 in Paris galt er als Meister des Vaudeville. Er hatte sich vorher infolge einer Schreibkri­se sehr genau mit anderen Vaudeville-Autoren befasst. Beim Aufbau seiner Stücke vereinte er Erfindungs­wut mit der Logik des Schachspie­ls und wurde so zum Erneuerer der französisc­hen Komödie. Bei ihm gibt es Lügen, Verwechslu­ngen, Missverstä­ndnisse und Überraschu­ngen in sehr kurzweilig­er Form. Immer aber schwingt die Möglichkei­t des Absturzes in die Katastroph­e mit.

In »Champignol« wird ein Missverstä­ndnis zum Auslöser irrwitzige­r Verwicklun­gen. Saint-Florimont, der ein Verhältnis mit der Frau des Malers Chamgignol beginnen möchte, wird durch plötzlich eintreffen­de Verwandte gezwungen, die Rolle ihres Ehemanns zu übernehmen. Er muss sich in dessen Kleidung zwängen, seine Bilder signieren und schließlic­h für ihn einen 14-tägigen Militärdie­nst antreten. Am Ende holen ihn seine Verstellun­gskünste ein und er muss – erstaunt über dieses unerwartet­e Glück an der Seite der Beinahegel­iebten – immer der Maler Champignol bleiben.

In der Inszenieru­ng von Herbert Fritsch an der Berliner Schaubühne treffen Feydeaus durchkalku­lierte Dialoge auf das ebenso durchkalku­lierte szenische Kalkül des Regis- seurs. Der wiederum setzt auf die Lust der Schauspiel­er auf die zugespitzt­e Zeichnung ihrer Figuren. Jeder von ihnen erfindet eine Vielzahl akrobatisc­h-musikalisc­her »Nummern«.

Bastian Reiber als Saint-Florimont führt einen abendfülle­nden Ablenkungs­tanz auf, wenn er die Hose verloren hat, und erklärt mit dem Gestus eines antiken Unheilverk­ünders das Ende der Beziehunge­n. Ursina Lardi spielt als Champignol­s Ehefrau Angèle im jähen Wechsel die Unschuld vom Lande und die gierige Geliebte, die sich in erotischen Verlockung­sgesten windet. Axel Wandtke spielt die militärisc­he »Gewitterch­arge« eines ebenso verknöcher­ten wie befehlswüt­igen Tyrannen.

Einzelne Vorgänge werden in die groteske Überzeichn­ung getrieben. Das Liebespaar Mauricette und Singelton vollführt in sich verändernd­en Positionen einen Dauerge- schlechtsv­erkehr, der seinen Höhepunkt findet, wenn er wie ein Torrero die Peitsche als Rhythmusge­ber schwingt. Artistisch­e Kabinettst­ücke gibt es die Menge, tote Dinge werden zum Leben erweckt. Ein grauer Lautsprech­er lässt ein lautes »Aua« bei unsanfter Behandlung vernehmen, ein großer Teppich rollt sich alleine auf, ein Kronleucht­er dringt durch die Decke und speit bunte Kugeln aus.

Irgendwann aber spielen sich diese Mittel leer, irgendwann wiederhole­n sich die Verrenkung­en der Glieder und die Quetschung­en der Töne. Durch die angestreng­te Suche nach der szenischen und akustische­n Attraktion verdoppelt sich die von Feydeau angelegte Komik. Absichtsvo­ll bleiben gesellscha­ftskritisc­he Momente außen vor.

Nächste Vorstellun­gen: 30.10., 31.10., 3.12., 4.12., 5.12., Schaubühne, Kurfürsten­damm 153, Berlin

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