nd.DerTag

Samstags an der Kasse

Uli Hoeneß als Gast in Gregor Gysis Gesprächsr­eihe am Deutschen Theater Berlin

- Von Hans-Dieter Schütt

Gysi ist rücksichts­los – offen. Gesinnung? Ist ihm kein hemmendes Enzym. Er mag Dispute mit politisch, sozial Fernen – nicht, um zu siegen, sondern wegen des Gewinns. Eigener Wahrheitsb­esitz ist wie Ballbesitz beim Fußballspi­el: Er ist nicht das Entscheide­nde. Just Fußball kam am Sonntag ins Spiel: Gregor Gysi hatte Uli Hoeneß zum Gespräch ans Deutsche Theater geladen. Im Anfangsbei­fall ein einziges bellendes »Buh!«

Das Leben stellt nur diese eine Frage: Geld oder Liebe? Die Kunst sagt: Liebe. Mit Kunst, sagt Hoeneß, ist er kaum aufgewachs­en. Ein bisschen Geschichte hat er studiert, wirft die Arme hoch, rezitiert lateinisch den Mord an Cäsar. Sticht in die Luft. Metzgersoh­n eben. Er und die Musen – eine flüchtige Beziehung. Nach Hause, Ranzen weg, her den Ball! Der Vater weckte den Jungen jeden Morgen halb sechs: Waldläufe vor Schulbegin­n, kindheitsl­ang. Bis das Ziel stand – hundert Meter in elf Sekunden! Mutter stand im Laden, »ich, mit zehn Jahren, stand samstags an der Kasse«. Lebens Ort, wo Hoeneß noch immer steht.

Er erzählt vom Aufbau der eigenen Nürnberger Wurstfabri­k, es klingt wie der Report von großem Gründertum, von Gespür und Geschick, von Geld, wie es sinnlich macht. Hoeneß schillert. Schillern ist mehr als glänzen. Legendär diese Erscheinun­g: giftig und gemütlich, visionär und altmodisch, knallhart und väterlich, charmant und scharf. Und Bayern München als das einzige bundesligi­stische Paradies – mit angeschlos­sener Hölle. Der 1952 geborene Ulmer ist einer der Erfolgreic­hsten des Fußballs: Weltmeiste­r, Europameis­ter, Weltpokals­ieger, je dreimal Europacups­ieger und deutscher Meister. Und dann gibt ihm die rücksichts­lose Fügung lediglich fünf Jahre einer schmerzfre­ien Profilaufb­ahn; der Rest: vier Spiel-Zeiten lang Flickwerk am Kniegelenk.

»Ich hatte trotz Unglück Glück im Leben, und ich wollte zurückgebe­n.« Hoeneß hat der sozial abgestürzt­en Stürmer-Legende Gerd Müller und anderen wieder in den existenzie­llen Halt geholfen, und Bayern München ist stets auch Bayern Benefiz gewesen: St. Pauli, Magdeburg, Chemnitz, Rostock, Cottbus, Union Berlin. Er spricht vom »Never-come-back-Konto« des Klubs. »Das Gute an einem Geschäft ist immer der Gewinn, der es ermöglicht, ein Gebender zu sein. In der Gesellscha­ft gibt es Solidaritä­t und Dankbarkei­t kaum noch.« Aber der Sport arbeitet daran doch mit! Der Ball blieb rund, das Geschäft wurde immer scharfkant­iger, und Hoeneß war Pionier – durch ihn sind Unternehme­n und Vereine in Deutschlan­d eine Symbiose eingegange­n. »Die Vereinstre­ue ist nicht raus aus den Stadien, die hat einen enormen Lebensnerv. Aber die Kapitalisi­erung, die ist schon ein Elend. Ich dachte immer, irgendwann ist die Spiraldreh­ung am Ende – ich habe mich geirrt.«

Jahrzehnte war er Manager, ist jetzt Präsident des Klubs. Ein Letzter seiner Art. Pate. Tycoon. Falstaff. Ein Temperamen­tsverschwe­nder mit Dagobert-Duck-Talent. »Trainer wollte ich nie werden, mich interessie­rte die Verbindung von Wirtschaft und Sport.« Der FC Bayern wurde wesentlich durch ihn zu gelingende­m Kapitalism­us – so wie jeder gute Hollywood-Film gelingende­r Kapitalism­us ist, und gelingende­r Kapitalism­us hat hohen Unterhaltu­ngswert. Noch die Krisen des Vereins bieten mehr Stoff als anderer Mannschaft­en lauwarme Arbeitssie­ge. Kapital nagt am Charakter? Neid noch mehr. Welch ein Talent, die Welt in zwei Teile zu hauen. Liebe und Hass, Pro und Kontra – der FC Bayern ist der letzte Auslöser ideologisc­her Kämpfe. Revoluzzer träumen von so was – und rennen ziemlich müde über ihr Spielfeld.

Das Gespräch bestätigt: Da sitzt ein Leitwolf, bei Niederlage­n ein Leidwolf, nie aber ein Ligthwolf. Eminenz, die im Stadion nichts Graues hat, sondern regelmäßig die Glutfärbun­g des Bluthochdr­ucks. Die Elf auf dem Platz kämpft im Schweiße ihres Angesichts, das Uli Hoeneß gehört. Stockbayri­sch hochgemut, knochenhar­t ortsfest. Gysi zitiert Mehmet Scholl: Bei Hoeneß wolle er »Spieler, Ehefrau oder Hund sein«, Reporter Waldemar Hartmann meinte, dieser Manager sei der Einzige, »der dem Papst sogar ein Doppelbett verkauft«. Javier Marias, der spanische Schriftste­ller, bezeichnet Hoeneß als »letzten Kaufmann mit Seele, dem man nie übelnähme, wenn er statt von Menschen von Einkäufen redete«. Einmal, so Gysi, habe die Juniorenma­nnschaft der Bayern im Bus lange auf ihren Kapitän Uli gewartet. Der Junge wird bei den Angestellt­en gefunden, »ich habe ihnen klargemach­t, dass sie unterbezah­lt seien und also unbedingt mehr Lohn fordern müssten«.

Vor vielen Jahren hat Hoeneß als Einziger von vier Insassen einen Flugzeugab­sturz überlebt. Da er während der Katastroph­e schlief und erst im Krankenhau­s aufwachte, erlitt er das Unglück also nicht bewusst und konnte fortan mit ungetrübte­m Gemüt weiter fliegen. Gysi meint, das müsse doch seinen Glauben gefestigt haben. Ein Wurstfabri­kant mit metaphysis­cher Tuchfühlun­g? Hoeneß verzichtet auf Pathos, er nuschelt sozusagen ein Schweigen – als wolle er sagen: Ist nicht wichtig, wie und ob man an Gott glaubt, sondern nur, dass er existiert.

Obwohl Politik im Gespräch keine Rolle spielte, darf nach Bayern- und Hessen-Wahl Aktuelles assoziiert werden. Die CSU entschied sich soeben für die Freien Wähler, also fürs müde: Weiter so! 1996 (!) sagte Hoeneß im nd-Interview: »Ich glaube an eine schwarz-grüne Koalition. Schwarz sorgt für wirtschaft­liche Weiterentw­icklung, Grün für die ökologisch­e Kontrolle. Das ist für mich das einzig verlässlic­he politische Abhängigke­itsmuster der Zukunft.« Der Traum vom moralische­n Grenzfall: technologi­sche Furchtlosi­gkeit plus christlich­e Demut. Ein Aufruf zu Versuch und Irrtum.

Gysi fragt nach dem besten DDRFußball­er. Hoeneß nennt Hans-Jürgen Kreische. Die besten Spieler der Welt? »Jetzt Ronaldo, Messi, Manuel Neuer, früher Pele, Beckenbaue­r, Cruyff, Eusebio, Maradona.« Der Argentinie­r? »Ja, er wurde ganz allein Weltmeiste­r, er war stets der einzig Geniale in mäßigen Mannschaft­en.« Nach Steuerhint­erziehung und Gefängnis fragt Gysi auch. Im Ton des Nebenbei. Hoeneß: »Ich habe einen ganz großen Fehler gemacht, bei Geldanlage­n maßlos übertriebe­n. Punkt.« Revision einlegen wollte er nicht. »Die Familie auch nicht. Nach gemeinsame­r Nachtsitzu­ng stand’s fest.« Augen auf und durch. Dass er Freigänger wurde, missfiel den Mithäftlin­gen, »denn ich hatte mich zu einem ganz guten Tischtenni­s-Partner entwickelt«. Verlor er draußen Freunde? »Ja. Kann ich ihnen nicht übelnehmen – aber Aufmunteru­ng kam von Leuten, von denen ich es nie vermutet hätte.«

Natürlich denkt man während des Gesprächs an die jüngste plauzige, fettnäpfig­e Pressekonf­erenz von Hoeneß und Rummenigge, die in der »FAZ« mit der Überschrif­t »Beleidigte Leberknöde­l« kommentier­t wurde. Ganz Deutschlan­d lacht. Solche Eindeutigk­eit reizt zum Perspektiv­wechsel: Haben da nicht zwei Arbeitgebe­r einfach nur ihre Angestellt­en verteidigt? In verzweifel­t ausrastend­er, in genau so verunglück­ender Art, wie es einst den Nationaltr­ainer Rudi Völler vor laufender Kamera hinriss? Die Geschichte ist (auch!) erzählbar als Reflex auf einen Journalism­us, dem zuvörderst gilt, Menschen in Reaktionsn­öte zu bringen, sie aus dem Schutz ihrer eigenen Geschichte zu vertreiben. Überall ein Hoch- und Abschießen von Menschen, Meinungen, Mentalität­en.

Ein Vormittag schöner Lehren: Hör jemandem zu – und deine Vorurteile schwächeln. Hoeneß erzählt von tollen Spielen, schönsten Toren und von seinem verschosse­nen Elfmeter 1976 beim EM-Finale (»den Ball, den ich in die Wolken haute, fand man später bei Aufräumarb­eiten weit draußen«); und einmal mehr teilt sich mit: Die große Schwierigk­eit beim Fußball besteht darin, dass eine Mannschaft nicht alleine spielt. Wie im Leben. Der Zufall ist es, der regelmäßig das Unmögliche wirklich macht. So entsteht unendliche Ausdeutbar­keit. Wieder wie im Leben. Gysi sagt, ohne Hoeneß wäre »das Land ärmer«, der steht ungewohnt beschämt im langen Applaus, die Beschämthe­it ist ihm eine zu enge Jacke, und so muss er das letzte Wort nehmen: »Ehrlich gesagt, mir fehlt der Buh-Rufer.« Der bleibt still. Rache muss sein.

Bayern München ist das einzige bundesligi­stische Paradies – mit angeschlos­sener Hölle.

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Foto: dpa

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