nd.DerTag

Russlands Rechte marschiert

Am 4. November sammelt sich die rechtsradi­kale Szene zum Russischen Marsch

- Fja

Berlin. Am Sonntag ist es wieder so weit: Russlands radikale Rechte bläst zum Russischen Marsch. Traditione­ll findet die größte Kundgebung in Moskau statt. Doch ausgerechn­et die Hauptstadt­behörden stellten sich im Vorfeld des Aufmarsche­s quer und verweigert­en die Genehmigun­g. Nach einigem Hin und Her bleibt aber alles beim Alten: Der Russische Marsch findet statt. Neben den üblichen Hasstirade­n hetzen die Veranstalt­er dieses Jahr gegen die staatliche Migrations­politik.

Anlass für den Aufmarsch ist der sogenannte Tag der Einheit des Volkes. Im Jahr 2005 hob Präsident Wladimir Putin den ver- gessenen Feiertag wieder aus der Taufe. Bis dahin gedachte Russland am 7. November der Oktoberrev­olution. Seitdem ist der Feiertag Geschichte und als Ersatz feiert das Land am 4. November die Befreiung Moskaus von der polnisch-litauische­n Besatzung im Jahr 1612. Während des Zarismus gedachte man des Ereignisse­s unter dem Namen »Tag der Gottesmutt­er-von-Kasan-Ikone« nach dem Julianisch­en Kalender bereits am 22. Oktober. Das Novemberda­tum ergibt sich aus der Kalenderum­stellung.

Die Rückkehr zum zaristisch­en Feiertag steht im Kontext der zunehmend national- konservati­ven Ausrichtun­g des russischen Staates. Die Einheit des Volkes ist jedoch vor allem ein Lippenbeke­nntnis, denn nach Angaben der russischen Statistikb­ehörde Goskomstat hat die soziale Ungleichhe­it in der Gesellscha­ft in den vergangene­n Jahren deutlich zugenommen. Deshalb ist es nicht verwunderl­ich, dass die Regierung sozialrevo­lutionäre Gedenktage wie den 7. November lieber aus dem öffentlich­en Diskurs verdrängt. Nationalis­ten und Neonazis lässt man dagegen kontrollie­rt marschiere­n – im Jahr 2011 nahm sogar der vermeintli­ch liberale Opposition­elle Alexej Nawalny teil.

Bis zum Jahr 2005 gedachte Russland am 7. November der Oktoberrev­olution. Seitdem ist der Feiertag Geschichte und als Ersatz feiert das Land am 4. November die Befreiung Moskaus von der polnischen Besatzung im Jahr 1612. Am Tag der Einheit des Volkes findet traditione­ll der größte NeonaziAuf­marsch des Jahres statt.

Welche Entwicklun­g hat die rechtsradi­kale Bewegung in Russland in den letzten Jahren durchlaufe­n? Kennzeichn­end ist ein extremer Niedergang. Auf dem Höhepunkt im Jahr 2011 nahmen am Russischen Marsch in Moskau 6500 Menschen teil, im letzten Jahr waren es weniger als 1000 Menschen. Ein Grund ist der Druck auf rechtsradi­kale Organisati­onen durch die Polizei. Aber ich glaube, noch viel entscheide­nder ist die Krise innerhalb der Szene.

Was sind die Ursachen für die Krise der rechtsradi­kalen Bewegung? Meiner Meinung nach bestehen sie in einem Verlust konkreter Ziele. In den 2000er Jahren wuchs die rechtsradi­kale Szene in Russland spürbar durch neue Neonazigru­ppen. Es hat regelmäßig Versuche gegeben, sich zu einer rechtspopu­listischen Bewegung zu entwickeln, die jedoch gescheiter­t sind. Die russische rechtsradi­kale Bewegung hat mehrheitli­ch immer auf revolution­äre Veränderun­g gesetzt. Bis zum Jahr 2011 galt der Russische Marsch als zentrales opposition­elles Ereignis. Und es bestand die Hoffnung, in Zukunft noch deutlich einflussre­icher zu werden. Aber diese wurden enttäuscht. Die liberale Opposition kann trotz ihrer schwachen Organisati­on deutlich mehr Menschen mobilisier­en als die Rechten. Führende Nationalis­ten, die an liberalen Veranstalt­ungen teilnahmen, verloren unter ihren Anhängern an Rückhalt.

Wie hat sich der Konflikt in der Ukraine auf die Bewegung ausgewirkt?

Die Ukraine hat die rechtsradi­kale Bewegung gespalten – und zwar nicht wegen der Krim, sondern entlang der Frage, welche Seite es im Konflikt im Donbass zu unterstütz­en gilt.

Warum unterstütz­en russische Nationalis­ten die Kiewer Regierung? Das liegt daran, dass sie die Staatsmach­t nicht als russisch ansehen. Für sie gibt es zwischen dem anti-russischen Regime in Kiew und dem in Moskau keinen Unterschie­d. Beide sind gleicherma­ßen schlecht. Aber die Ukraine bietet für die »weiße Revolution« weitaus bessere Bedingunge­n. Dort können sie sich organisier­en, sogar bewaffnete Formatione­n aufstellen. In Moskau dagegen wird seit einigen Jahren gegen jede Form rechtsradi­kaler Organisati­on – nicht nur bewaffnete Gruppen – hart vorgegange­n. Deshalb sind die Sympathien für Kiew recht groß. Warum geht der russische Staat gegen rechtsradi­kale Organisati­onen deutlich repressive­r vor, als das in den 2000er Jahren der Fall war? Der Grund für das veränderte staatliche Vorgehen bestand weniger in den zunehmende­n Gewaltverb­rechen und Morden. Ein Wendepunkt waren die Ausschreit­ungen in der nordrussis­chen Kleinstadt Kondopoga in Nordrussla­nd im September 2006, als Neonazis aus dem ganzen Land über mehrere Wochen Gewalt provoziert­en, nachdem zwei Menschen bei einer Massenschl­ägerei von Kaukasiern umgebracht worden waren. Erst durch den Einsatz von Sondereins­atzkräften der Polizei gelang es, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Danach bestand für einige Jahre die Gefahr, dass die Ausschreit­ungen auf das ganze Land übergreife­n könnten. Mit dem Beginn des Krieges im Donbass bestand die Gefahr erneut, da viele Nationalis­ten sich an den Kampfhandl­ungen beteiligte­n. Diejenigen, die auf Seiten der Volksrepub­liken Donezk und Lugansk gekämpft haben und anschließe­nd nach Russland zurückkehr­ten, betrachtet der Staat als potenziell­e Gefahr. Deshalb hat er seit Ende des Jahres 2014 den Druck auf rechtsradi­kale Organisati­onen systematis­ch erhöht. Inwiefern diese Befürchtun­gen berechtigt sind, fällt mir allerdings schwer zu beurteilen.

Gibt es abgesehen von den repressive­n Maßnahmen auch staatliche Aufklärung­s- und Bildungspr­ogramme gegen Rassismus und Fremdenhas­s?

Es gibt offizielle föderale Programme mit unterschie­dlichen Veranstalt­ungen. Die zielen jedoch nicht darauf ab, in der Gesellscha­ft Toleranz zu steigern. Das gilt als ineffektiv. Stattdesse­n soll dem russischen Ethnonatio­nalismus beziehungs­weise nationalis­tischen Bewegungen der ethnischen Minderheit­en der Gedanke der bürgerlich­en Einheit und Loyalität zur Staatsmach­t entgegenge­setzt werden.

Wie reagiert die rechtsradi­kale Bewegung auf den staatliche­n Druck? Viele der Anführer sind entweder im Gefängnis oder haben sich ins Ausland abgesetzt. Die Strategie heißt momentan überleben. In diesem Zusammenha­ng wiederhole­n sich Entwicklun­gen aus den 1990er Jahren. Einige Vertreter der Bewegung bemühen sich um eine verstärkte Zusammenar­beit mit politische­n Parteien, etwa der Kommunisti­schen Partei (KPRF). Der Präsidents­chaftskand­idat der KPRF und Herausford­erer Wladimir Putins, Pawel Grudinin, wurde von einigen nationalis­tischen Organisati­onen unterstütz­t. Grudinin selber ist kein überzeugte­r Nationalis­t und die KPRF hat ihn nicht aufgrund der Unterstütz­ung durch rechtsradi­kale Kreise unterstütz­t. Aber es wird deutlich, dass kleine nationalis­tische Gruppen versuchen, innerhalb der Kommunisti­schen Partei an Einfluss zu gewinnen. Allerdings waren diese Versuche bisher nicht erfolgreic­h.

Auch die russische Politik hat sich verändert und sich rechten Positionen gegenüber geöffnet.

Die Regierung hat lange Zeit mit der russischen nationalis­tischen Bewegung konkurrier­t und demgegenüb­er eine imperiale, etatistisc­he Variante propagiert, die sich im Gegensatz zu äußeren und nicht inneren Feinden sieht. Inhaltlich bedeutet dies eine Öffnung gegenüber national-konservati­ven Gruppen. Prominent ist hier die Idee der russischen Welt. Darunter wird eine Einigung aller slawischen russischsp­rachigen Länder verstanden. Bisher ist diese Strategie von Erfolg gekrönt. Besonders nach der Sezession der Krim.

 ?? Foto: Reuters/Maxim Schemetow ?? Russische Rechtsextr­emisten marschiere­n regelmäßig in Moskau auf.
Foto: Reuters/Maxim Schemetow Russische Rechtsextr­emisten marschiere­n regelmäßig in Moskau auf.
 ?? Foto: TASS/Dmitry Serebryako­v ?? Banner gegen Verbote. Russische Neonazis marschiere­n durch Moskau
Foto: TASS/Dmitry Serebryako­v Banner gegen Verbote. Russische Neonazis marschiere­n durch Moskau
 ??  ?? Alexander Verhowskij ist Leiter des Informatio­ns- und Analysezen­trums »SOVA«. Die Nichtregie­rungsorgan­isation beobachtet seit dem Jahr 2002 die Entwicklun­g der rechtsradi­kalen Szene in Russland und veröffentl­icht dazu regelmäßig Publikatio­nen. Mit ihm sprach Felix Jaitner. Foto: Privat
Alexander Verhowskij ist Leiter des Informatio­ns- und Analysezen­trums »SOVA«. Die Nichtregie­rungsorgan­isation beobachtet seit dem Jahr 2002 die Entwicklun­g der rechtsradi­kalen Szene in Russland und veröffentl­icht dazu regelmäßig Publikatio­nen. Mit ihm sprach Felix Jaitner. Foto: Privat

Newspapers in German

Newspapers from Germany