nd.DerTag

Gegen Migration, Ausländer und Minderheit­en

Die Forderunge­n des diesjährig­en Russischen Marsches gleichen denen der europäisch­en Rechten

- Von Ute Weinmann, Moskau

Trotz der zunehmende­n staatliche­n Repression ist die russische Rechte weiterhin aktiv – und gewalttäti­g. Der 4. November steht im Zeichen des Russischen Marsches. Wie jedes Jahr will die russische extreme Rechte am Tag der Volkseinhe­it Stärke zeigen. In vielen Städten sind Aufmärsche angemeldet, auch die Moskauer Behörden erteilten nach mehreren Absagen eine Genehmigun­g für eine Demonstrat­ion im Stadtteil Ljublino, weit entfernt vom Zentrum. Dort versammeln sich an dem Tag traditione­ll Neonazis und nationalre­volutionär­e Gruppierun­gen, während Nationalpa­trioten und rechtskons­ervative Kräfte ihren Marsch im Westen der Stadt abhalten. In den vergangene­n vier Jahren organisier­te der Kreml in der Haupt- stadt eigene Großverans­taltungen, um Einigkeit zu demonstrie­ren. Im Bewusstsei­n vieler Russen ist der Feiertag trotzdem noch nicht angekommen. Alternativ setzt der Staat nun auf kleinere Festivals zum Thema Nationalit­ätenvielfa­lt.

Für die russische extreme Rechte ist und bleibt dieses Datum Ausgangspu­nkt für eine breite Mobilisier­ung, auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, als sie von der Präsidiala­dministrat­ion als vermeintli­ch steuerbare Masse gerade zu ermutigt worden waren, Präsenz zu zeigen. Der Preis dafür war hoch: Nazibanden verübten jährlich dutzendwei­se rassistisc­he Morde, aber auch Antifaschi­sten zählen zu ihren Opfern.

Unter dem Motto »Für einen nationalen und sozialen Staat! Brot und Freiheit für unser Volk!« ist der diesjährig­e Russische Marsch in Ljublino angekündig­t. Der Aufruf kritisiert die staatliche Migrations­politik und die angeblich massenhaft­e Vergabe der russischen Staatsbürg­erschaft an Migranten aus den ehemaligen Sowjetrepu­bliken. Dem Organisati­onskomitee gehören unter anderem das Komitee »Nation und Freiheit« an, die Assoziatio­n Volkswehr, die Nationalre­volutionär­e Avantgarde und weitere Gruppen und Bewegungen, die ihre Anhängersc­haft in erster Linie unter jungen Menschen finden. Das Komitee »Nation und Freiheit« vereinigt einen Teil der Überreste der 2015 verbotenen Bewegung »Russen«, die lange Zeit für die Durchführu­ng des Russischen Marsches verantwort­lich zeichnete und auch hinsichtli­ch einer ihrer Führungsfi­guren, Wladimir Basmanow, für Kontinuitä­t innerhalb der extremem Rechten steht. Basmanow ist der Bruder von Alexander Below, der mit seiner »Bewegung gegen illegale Im- migration« jahrelang zu den Frontleute­n im nationalis­tischen Spektrum gehörte und derzeit eine mehrjährig­e Haftstrafe unter anderem wegen Geldwäsche absitzt.

In Gruppierun­gen wie der Volkswehr kommen junge Kader zum Zug. Ihr Anführer Dmitrij Karasjow besetzt seit diesem Jahr außerdem das Amt des Sekretärs des Organisati­onskomitee­s. Damit nicht genug, versuchte der 23-jährige sich im September in seiner Heimatstad­t Schekino im Gebiet Tula als Kandidat bei den Bezirkswah­len – letztlich erfolglos. Der Russische Marsch in Moskau kann nicht mehr an frühere Teilnahmez­ahlen von über 5000 anknüpfen kann. Im vergangene­n Jahr fanden sich am Veranstalt­ungsort nur wenige Hundert ein. Nachdem die Polizei einige der mitgebrach­ten Transparen­te beschlagna­hmte, erfolgten Festnahmen und gerade mal 300 Rechte liefen letztlich auf der festgelegt­en Route bis zur Endkundgeb­ung.

Etliche exponierte Vertreter der russischen extremen Rechten haben sich aufgrund laufender Strafermit­tlungen ins Ausland abgesetzt oder befinden sich in Haft. Darunter auch Karasjows Vorgänger als Sekretär des Russischen Marsches Wladimir Ratnikow. Komarnizki­j, so sein bürgerlich­er Nachname, gründete 2015 die Neonazigru­ppierung »Schwarzer Block«, die er seither anführt. Gegen ihn wird wegen Aufruf zu extremisti­schen Taten und Massenunru­hen ermittelt. Von seiner Festnahme im vergangene­n Juni berichtete als erstes die liberale Opposition­spartei PARNAS, deren Mitglied Ratnikow war und in deren Namen er versucht hatte, ein Mandat als Abgeordnet­er in einem der Moskauer Stadtbezir­ke zu erringen. Der »Schwarze Block« nahm an zahlreiche­n Veranstalt­un- gen der Opposition statt, wie beispielsw­eise bei Protesten gegen Wahlfälsch­ungen oder Kundgebung­en des rechten Antikorrup­tionspolit­ikers Alexej Nawalny.

Trotz Strafverfo­lgungen schafft es die extreme Rechte, auf ihre Agenda aufmerksam zu machen. So führten einige der Veranstalt­er des diesjährig­en Russischen Marsches Ende September eine Gedenkvera­nstaltung an die Opfer der organisier­ten Ethnokrimi­nalität, so der rechte Jargon, durch. Als Anlass diente der tragische Fall einer Kinderbetr­euerin aus Usbekistan, die vor zwei Jahren ein vierjährig­es Mädchen getötet hatte. Die Rechten inszeniere­n sich gern als Opfer. Aber sie sind in erster Linie Täter. Erst in dieser Woche gelangten offenbar recht frische Videos aus dem Darknet an die Öffentlich­keit, auf denen Messeratta­cken von Neonazis auf Obdachlose zu sehen sind.

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