nd.DerTag

»Schwer zu ertragende­r Unsinn«

Michael Müller warnt vor einer Remilitari­sierung Europas – sieht aber Ansätze einer neuen Entspannun­gspolitik

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Deutschlan­d liefert umfangreic­he Rüstungsgü­ter nach Saudi-Arabien, obwohl das Land federführe­nd am Jemen-Krieg beteiligt ist und offenbar Opposition­elle wie Jamal Khashoggi ermorden lässt. Hatte man sich nicht im Koalitions­vertrag der GroKo explizit gegen solche Exporte ausgesproc­hen?

Die Rüstungsex­porte nach SaudiArabi­en sind nicht zu akzeptiere­n. Die Passagen im Koalitions­vertrag sprechen da eine eindeutige Sprache. Vor der Rolle von Riad verschließ­t man meiner Meinung nach viel zu sehr die Augen.

Auch Ihre Partei, die SPD? Diese könnte sich doch in der Koalition für eine Friedenspo­litik einsetzen.

Ich glaube nicht, dass aus der GroKo eine friedenspo­litische Initiative kommen wird. Bei den Bewerbern für den CDU-Parteivors­itz, Jens Spahn und Friedrich Merz, sehe ich nicht, dass diese für eine Abrüstungs­politik stehen. Bei den anderen kann ich es mir das ebenso wenig vorstellen. Ich arbeite mit daran, dass die Friedenspo­litik wieder besonders aus der SPD kommt, wie auch insgesamt aus der Linken. Da muss etwas passieren, das geht so nicht mehr. Momentan haben wir einen entscheide­nden Punkt erreicht.

Was meinen Sie?

In den vergangene­n Jahren hat eine schleichen­de Verschiebu­ng hin zu einer Militarisi­erung der Außenpolit­ik und des Denkens stattgefun­den. Ich sehe hier einen Zusammenha­ng mit der derzeitige­n Aufrüstung in vielen Ländern. Der entscheide­nde Satz ist dabei schon vom früheren Bundeskanz­ler Willy Brandt gesagt worden: Hochrüstun­g ist ein gefährlich­er Irrsinn.

Zurzeit führt die NATO in Norwegen ihr größtes Manöver seit dem Ende des Kalten Kriegs durch. Was bedeutet das konkret für den äußeren Frieden?

Die Zunahme der NATO-Übungen stellt eine gefährlich­e Entwicklun­g dar. Auch Russland führt zwar verstärkt Manöver durch, aber es ist vor allem die NATO, die ihren Handlungsr­aum nach Osteuropa verschiebt. Ich kann mir dabei ein friedensfä­higes Europa nicht vorstellen, das nur auf der Konfrontat­ion zu Russland aufbaut. Es braucht gesamteuro­päische Perspektiv­en. Die internatio­nale Politik basiert im Moment jedoch nur auf Rechthaber­ei und nicht auf der Fähigkeit zur Kooperatio­n. Entspannun­gspolitik würde bedeuten, trotz Unterschie­den nach Gemeinsamk­eiten zu suchen.

Befürchten Sie eine neue Konfrontat­ion mit Russland?

Nach 1990 gab es die Hoffnung, dass die Politik anders agiert, das ist nun vorbei. Es wird nicht mal mehr über Friedenspo­litik diskutiert. Die neue Begründung ist, dass sich durch die Entwicklun­gen in den USA unter Donald Trump nun die EU vermeintli­ch emanzipier­en müsse. Damit ist letzt- lich die Erhöhung der Rüstungsau­sgaben gemeint. Ein derartiger Unsinn ist schwer zu ertragen. Die Stärke von Europa war ja grade in den vergangene­n Jahrzehnte­n, Kriege durch Kooperatio­n zu vermeiden. Die EU hat nur als sozialökol­ogisches Projekt einen Platz in der Welt, nicht als Projektion­sfläche von militärisc­her Härte.

Inwiefern ist der innere Frieden durch die Aufrüstung gefährdet? Aufrüstung bedeutet, dass dieses Geld auf dramatisch­e Weise fehlt. Notwen- dige Ausgaben zur Verbesseru­ng des Bildungssy­stems, zur Schaffung von sozialer Gerechtigk­eit und vor allem zur ökologisch­en Erneuerung können nicht getätigt werden. Dazu verändert sich die politische Kultur im Land. Statt Integratio­n und gesellscha­ftlichem Frieden wird Law und Order zum Primat der Politik. Die Gefahr eines Abbaus bürgerlich­er Freiheiten wächst. Gesellscha­ften, die nach innen ausgrenzen­d sind, sind das auch nach außen.

Könnte eine rot-rot-grüne Bundesregi­erung eine Alternativ­e sein? Diese Regierung müsste europäisch denken und da haben wir ein Problem. In letzter Zeit positionie­ren sich auch Linke nationalis­tisch.

Dem Sammlungsp­rojekt »Aufstehen« werden mitunter nationalis­tische Töne vorgeworfe­n, gleichzeit­ig setzt man sich dort stark für eine Friedenspo­litik ein. Was halten Sie davon?

Inhaltlich finde ich ihre Positionen nicht so überzeugen­d. Manches, was sie im Bezug auf Europa und Integratio­n sagen, passt mir nicht. Trotz-

dem ist es wichtig, mit ihnen über diese Themen zu diskutiere­n.

»Abrüsten statt Aufrüsten« hat bisher 120 000 Unterschri­ften gesammelt. Wie geht es nach den Aktionen weiter?

Bei der Friedensbe­wegung hat man nicht wie bei der Bewegung zum Kohleausst­ieg plötzlich eine Riesenzust­immung, aber es geht wieder langsam aufwärts. Der nächste Schritt zu einer breiten Friedensbe­wegung ist die Entwicklun­g eines modernen Konzeptes von Entspannun­gspolitik.

Was würde das ausmachen?

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir auch als deutsche Gesellscha­ft täglich Gewalt ausüben, indem wir beispielsw­eise für den Klimawande­l in besonderer Weise mitverantw­ortlich sind. Dieser trifft ja vor allem die armen Regionen der Erde und befördert dort Ernährungs­krisen und Migrations­bewegungen. Wir brauchen heute einen erweiterte­n Begriff von Frieden: nicht nur einen außenpolit­ischen Frieden, sondern einen wirtschaft­lichen, ökologisch­en und gesellscha­ftlichen.

 ?? Foto: imago ?? Demonstran­t bei einem Antikriegs­tag in Berlin
Foto: imago Demonstran­t bei einem Antikriegs­tag in Berlin
 ??  ?? Der Sozialdemo­krat Michael Müller ist Vorsitzend­er der Naturfreun­de Deutschlan­ds und engagiert sich seit Jahrzehnte­n in der Friedens- und Umweltbewe­gung. Von 2005 bis 2009 war er Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium. Müller gibt die Online-Magazine »klimarette­r.info« und »movum« heraus. Mit ihm sprach Sebastian Bähr. Foto: imago/Metodi Popow
Der Sozialdemo­krat Michael Müller ist Vorsitzend­er der Naturfreun­de Deutschlan­ds und engagiert sich seit Jahrzehnte­n in der Friedens- und Umweltbewe­gung. Von 2005 bis 2009 war er Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium. Müller gibt die Online-Magazine »klimarette­r.info« und »movum« heraus. Mit ihm sprach Sebastian Bähr. Foto: imago/Metodi Popow

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