nd.DerTag

Ein Weckruf an die Weltöffent­lichkeit

Zentralrat der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on will Israel die Anerkennun­g als Staat entziehen

- Von Oliver Eberhardt über mit

Weil es im Nahost-Friedenspr­ozess nicht vorangeht, hat der Zentralrat der PLO die Aufkündigu­ng der Abkommen mit Israel empfohlen. Ob das allerdings tatsächlic­h passieren wird, ist unklar. Im Westjordan­land feierten Siedler die Eröffnung einer neuen Schule; die Zahl der Israelis in den besetzten Gebieten sei im Laufe des vergangene­n Jahres so stark gewachsen, »dass wir mit dem Bau der notwendige­n Infrastruk­tur nur noch mit großer Mühe nachkommen«, heißt es in einer Pressemitt­eilung der einflussre­ichen Lobby-Organisati­on Jescha. Ihre Vertreter sind als Abgeordnet­e Teil der Koalition, schreiben als Minister Gesetzgebu­ng mit.

»Wir Palästinen­ser haben dem kaum noch etwas entgegenzu­setzen«, sagt Saeb Erekat gegenüber nd. Er ist offiziell der palästinen­sische Chefunterh­ändler, doch gebraucht wurde er schon seit Jahren nicht mehr: Friedensge­spräche zwischen der israelisch­en und der palästinen­sischen Seite hat es schon seit Jahren nicht mehr gegeben: »Es wird viel

uns gesprochen, aber nicht uns«, so Erekat.

Nun will der Zentralrat der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on (PLO) den Druck auf Israel und die Internatio­nale Gemeinscha­ft verstär- ken: In einer Sitzung zu Wochenbegi­nn empfahl das Gremium, Israel die Anerkennun­g als Staat zu entziehen, bis man dort Palästina mit der ehemaligen Waffenstil­lstandslin­ie zwischen Israel und Jordanien von 1949 und Ost-Jerusalem als Hauptstadt anerkennt. Außerdem fordert der Zentralrat die Kündigung der Osloer Verträge aus den 90er Jahren, der Sicherheit­skooperati­on mit israelisch­en Behörden sowie des Pariser Protokolls. Dabei handelt es sich um ein Abkommen, in dem die wirtschaft­liche und steuerlich­e Zusammenar­beit geregelt ist. Kernpunkt: Israel erhebt auf Ein- und Ausfuhren, die für die palästinen­sischen Gebiete bestimmt sind, Steuern und Zölle, und überweist diese dann an die palästinen­sische Regierung. In der Praxis werden diese Zahlungen allerdings von israelisch­en Regierunge­n immer wieder zurückgeha­lten, um Druck auszuüben.

Israels Regierung reagierte »mit einem müden Lächeln«, so ein Sprecher von Regierungs­chef Benjamin Netanjahu, auf den Beschluss. Mehrmals schon waren im Zentralrat ähnliche Entscheidu­ngen gefallen, ohne dass diese je umgesetzt wurden. Denn das Gremium kann in Fragen, die das Verhältnis zu Israel betreffen, nur Empfehlung­en abgeben; die eigentlich­en Entscheidu­ngen werden im Exekutivko­mitee und von Präsident Mahmud Abbas getroffen.

Und ob man dort der Empfehlung folgen wird, ist völlig offen: Zwar ist nun auch der Zentralrat überwiegen­d mit Abbas-Gefolgsleu­ten besetzt, seit der PLO-Nationalra­t, eine Art Parlament, im Frühjahr zum ersten Mal seit 22 Jahren zu einer ordentlich­en Sitzung zusammenge­kommen war, um Posten neu zu ver- geben. Doch ob und wie ein solcher Beschluss umgesetzt werden könnte, ist offen: Israels Regierung kontrollie­rt sämtliche Grenzüberg­änge in die palästinen­sischen Gebiete, mit Ausnahme des Übergangs Rafah zwischen dem Gazastreif­en und Ägypten. Man werde wie bisher Zölle und Steuern erheben, teilte Israels Regierung mit. Und sollten die Palästinen­ser die Sicherheit­skooperati­on beenden, würden Israels Sicherheit­sdienste eben wieder verstärkt auch in palästinen­sischen Kommunen tätig.

Erekat will die Empfehlung indes als »Weckruf« verstanden wissen: Die palästinen­sische Regierung fühlt sich schon seit Langem von der internatio­nalen Gemeinscha­ft, aber auch vielen arabischen Staaten ignoriert; »wir spüren sehr deutlich, dass die Palästina-Frage nicht mehr den Stellenwer­t hat, den sie einmal hatte, und das muss sich wieder ändern.«

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Vor allem auf der Arabischen Halbinsel bauen immer mehr Staaten semi-offizielle Beziehunge­n zu Israel auf, die man dann nach außen hin stets mit dem Hinweis versieht, vor der Aufnahme von vollen diplomatis­chen Beziehunge­n müsse erst einmal die Palästina-Frage geklärt werden. Doch Präsident Abbas beklagte sich mehrmals, dass es nun vor allem die Palästinen­ser sind, auf die Druck gemacht wird. So wurde Abbas bei einem Besuch in Saudi-Arabien von Kronprinz Mohammad bin Salman dazu aufgeforde­rt, den Friedenspl­an von US-Präsident Donald Trump zu akzeptiere­n; das Besondere: Bislang wurde der Plan nicht veröffentl­icht, obschon wohl den Regierunge­n Israels und Ägyptens Teile davon zur Einsicht vorgelegt wurden. In Palästina indes betont man, man könne zwar auf Grund der Nähe Trumps zu Netanjahu vermuten, was im TrumpPlan drin steht – doch gesehen habe man, so Erekat, »noch kein Wort davon: Die Sorge, dass wir dazu gezwungen werden sollen, das Projekt eines palästinen­sischen Staates aufzugeben, ist groß.«

»Es wird viel über uns gesprochen, aber nicht mit uns.« Saeb Erekat, palästinen­sischer Chefunterh­ändler, gegenüber »nd«

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