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Missklänge trotz Gleichschr­itt

Beziehunge­n zwischen Berlin und Warschau bleiben angespannt

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Es gibt viele Gelegenhei­ten, die deutsch-polnische Aussöhnung voranzutre­iben. Doch gerade verraten selbst konziliant­e Diskussion­srunden, dass es unter dem diplomatis­chen Korsett brodelt.

Man könnte den Eindruck gewinnen, der polnische Präsident sei ein Dauergast in den deutschen Medien. Wenn sich westlich von Oder und Neiße wieder einmal die negativen Schlagzeil­en über die konservati­ve Regierungs­partei PiS häufen, probiert Andrzej Duda gern den Rückwärtss­alto in die Rolle des gemäßigten Staatslenk­ers und versucht, dem in Berlin »verzerrten Polenbild« (so der einhellige Tenor bei den Konservati­ven) entgegenzu­steuern. Tadellose diplomatis­che Auftritte und Interviews für deutsche Zeitungen sollen die bilaterale Eisfläche zum Schmelzen bringen. In solchen Momenten scheint Duda zu wissen, dass es nicht nur Muskelspie­le sind, die zum Durchbruch führen.

Doch derzeit bemüht er sich nicht um Korrektur, im Gegenteil: Wenige Tage vor den deutsch-polnischen Regierungs­konsultati­onen spricht er sich für weitere Kriegsents­chädigunge­n aus. »Nach meiner Auffassung sind die Reparation­szahlungen kein erledigtes Thema«, sagte Duda der »Bild am Sonntag«. Auch die Analysen einer parlamenta­rischen Expertengr­uppe hätten ergeben, dass die Verluste nicht entschädig­t wurden. Dies sei demnach eine »Frage von Wahrheit und Verantwort­ung«, so Duda.

Unterdesse­n sehen andere polnische Juristen und Abgeordnet­e die Reparation­sfrage als endgültig geklärt. »Der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 regelt abschließe­nd alle Rechtsfrag­en in dieser Angelegenh­eit«, meint der frühere Chefdiplom­at Radek Sikorski. Diese These untermauer­t der Politiker der liberal-konservati­ven POPartei mit dem Argument, dass Polen seit dem Inkrafttre­ten des Vertrags kein Verfahren mehr eingeleite­t habe. »Natürlich hat sich keiner vor uns um Entschädig­ungen bemüht, denn wir können erst seit drei Jahren weitgehend störungsar­m regieren«, sagt wiederum Arkadiusz Mularczyk (PiS), der Vorsitzend­e des Expertente­ams. Darüber hinaus sei es »armselig«, dass die Opposition eine für Polen so entscheide­nde Frage als »taktisches Instrument« der Regierung denunziere.

Vielleicht wäre es tatsächlic­h zu einfach, dieses betrüblich­e Thema allein auf die Machttakti­k der PiS zu reduzieren. Mehr als die Hälfte der polnischen Bevölkerun­g kann den populistis­chen Arien der Regierende­n kaum etwas abgewinnen, aber beim Thema Reparation­sforderung­en haben sie zwei Drittel der Polen hinter sich. Auch eine Gedenkvera­nstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsausb­ruchs in Wieluń soll laut Duda stattfinde­n. Auf die Stadt fielen 1939 die ersten deutschen Bomben. In nur wenigen Stunden wurde sie in Schutt und Asche gelegt, 1200 Zivilisten starben. Wieluń sah bereits am ersten Kriegstag so aus wie deutsche Städte am letzten.

Allerdings machen weder Provokatio­nen aus Warschau noch aus Berlin die deutschen Kriegsverb­rechen rückgängig und schaden letzten Endes beiden Seiten. Ohne Anerkennun­g der Friedensor­dnung gibt es keine Zukunft für niemanden. Dabei gibt es zahlreiche Gelegenhei­ten für die deutsch-polnische Aussöhnung. Erst vor einer Woche hatte sich Duda mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Berlin getroffen. Im Auswärtige­n Amt stellten sich beide Amtskolleg­en den Fragen eines deutsch-polnischen Publikums. Dass Duda sogar bei dieser Diskussion­srunde aufs mediale Gaspedal drückte, zeigt, wie angespannt die Beziehunge­n tatsächlic­h sind. Der polnische Präsident wurde unter anderem nach der Pressefrei­heit in Polen gefragt. Dessen Bemerkung, polnische Medien seien freier als deutsche, weil sie über die Vergewalti­gungen von Frauen durch Migranten sofort berichten würden, sorgte für verständni­sloses Raunen im Saal. Regierungs­nahe Medien in Polen bezeichnet­en die Veranstalt­ung in Berlin als eine »öffentlich­e Demütigung« ihres Präsidente­n. Es sind die gleichen Redakteure, die auch allergisch reagieren, wenn die polnische Regierung von der deutschen in Brüssel kritisiert wird.

Die aktuellen deutsch-polnischen Beziehunge­n erinnern folglich an manche Phasen des Ersten Weltkriege­s: Zwei Fronten schießen lange aus ihren Schützengr­äben, aber nichts passiert. Wieso denn auch? Uns verbindet wirklich mehr, als uns trennt.

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Foto: imago/Markus Heine Steinmeier und Duda bei einem Empfang im Schloss Bellevue

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