Gardelegen sucht Gardelehrer
Wie Pädagogen mit Buschzulage und Stipendium in Sachsen-Anhalt aufs Land gelockt werden
Lehrer sind derzeit in allen Bundesländern gefragt. Wie lassen sich Lehrer gewinnen, wenn man nicht mit Großstadtflair aufwarten kann?
Jeden Monat 300 Euro bis Ende des Studiums. Das ist das Angebot, das Gardelegen in Sachsen-Anhalt macht. Wer es annimmt, verpflichtet sich, nach dem Studium einen Lehrerjob in der dünn besiedelten Region zu suchen. Und so lange zu bleiben, wie er zuvor das Stipendium erhielt, so CDUKommunalpolitikerin Sandra Hietel. »Wir dachten uns, wenn andere Gemeinden ein Stipendium gegen Landarztmangel vergeben, dann können wir das mal gegen Lehrermangel tun.«
Isabelle Radtke (25) hat das Angebot angenommen. Sie erhielt bei ei- ner Tour durch die Schulen der Stadt die Urkunde als »Gardelehrerin«. Für sie ist es ein Heimspiel: Im Flur des Gymnasiums hängt ihr Abifoto von 2011. »Ich habe gerade meinen Master in Magdeburg angefangen und noch zwei Jahre.« Ihre Fächer Mathe und Wirtschaft sind begehrt. »Ich hoffe, das ist keine Eintagsfliege, wir wollen damit auf Jahrzehnte unseren Bedarf decken«, sagt Bürgermeisterin Mandy Zepig (SPD). Sie weiß, dass sie keine Scharen aus dem ganzen Bundesgebiet lockt. Aber sie will jene zurückholen, die in der Gegend aufgewachsen sind. Sieben Grundschulen gibt es in Gardelegen, zwei Sekundarschulen, ein Gymnasium, 14 500 Einwohner. Allen Schulen fehlen Kollegen für den regulären Unterricht.
Lehrer werden im gesamten Land gesucht. 32 000 müssen laut Kultus- ministerkonferenz bis 2030 jährlich eingestellt werden. Der Westen bildet rechnerisch mehr aus, als er braucht, im 0sten klafft eine große Lücke zwischen Abgängen und Nachschub. Auch der Trend, in große Städte und Ballungsgebiete zu ziehen, hat Folgen: Wenn dort mehr Menschen leben, werden mehr Lehrer gebraucht – die Posten lassen sich tendenziell aber leichter besetzen. Kleinere Orte gehen öfter leer aus. »Da steht SachsenAnhalt mitnichten alleine da«, so Ulf Rödde von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Die »Gardelehrer« in Sachsen-Anhalt seien eine völlig neue Idee im Lehrerbereich, meint der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, HeinzPeter Meidinger. »Wenn sich eine solche Verpflichtung für einen Stipendiaten juristisch sauber umsetzen lässt, dann würde ich so ein Modell begrüßen.« Allzu viele Gegenstrategien gebe es bisher nicht. In Bayern habe sich das Problem lange nicht gestellt, weil das Land zwar zugelassen habe, dass Bewerber Wunschorte angaben. Die neuen Kollegen seien bei Bedarf auch fern ihrer Präferenzen landesweit verteilt worden. Jetzt, wo der Lehrermangel sich verstärke, komme dieses System an seine Grenzen.
»In Ländern, wo sich Kollegen direkt für eine konkrete Schule bewerben können, ist das Problem besonders dramatisch, in Sachsen zum Beispiel«, so Meidinger. Die dortige Landesregierung will Referendaren ab Januar bis zu 1000 Euro Zulage zahlen, wenn sie im Gegenzug im ländlichen Raum unterrichten. »Buschzulage« nennt das der Bildungsminister Sachsen-Anhalts, Marco Tullner (CDU), scherzhaft: Er reicht zeitlich befristet einen Bonus für schwer besetzbare Stellen aus. Im ersten Versuch konnten so 24 von 55 Posten besetzt werden – die meisten auf dem Land.
»Ob das wirklich funktioniert, können wir noch nicht mit Sicherheit sagen«, so Meidinger. Auch der »Gardelehrer« muss sich bewähren. Die Initiatoren sind positiv gestimmt: 28 Bewerbungen seien eingegangen, sagt Kommunalpolitikerin Hietel. Wegen der großen Resonanz fördert die Stadt drei Studierende statt wie geplant einen. Für Isabelle Radtke stellt das Stipendium Weichen: Sie habe überlegt, an eine deutsche Schule ins Ausland zu gehen – oder zurück in ihre Heimat. Jetzt gilt Gardelegen. Dafür könne sie ihren Nebenjob im Supermarkt an den Nagel hängen. »300 Euro sind ein schönes Taschengeld.«