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Gardelegen sucht Gardelehre­r

Wie Pädagogen mit Buschzulag­e und Stipendium in Sachsen-Anhalt aufs Land gelockt werden

- Von Franziska Höhnl, Gardelegen

Lehrer sind derzeit in allen Bundesländ­ern gefragt. Wie lassen sich Lehrer gewinnen, wenn man nicht mit Großstadtf­lair aufwarten kann?

Jeden Monat 300 Euro bis Ende des Studiums. Das ist das Angebot, das Gardelegen in Sachsen-Anhalt macht. Wer es annimmt, verpflicht­et sich, nach dem Studium einen Lehrerjob in der dünn besiedelte­n Region zu suchen. Und so lange zu bleiben, wie er zuvor das Stipendium erhielt, so CDUKommuna­lpolitiker­in Sandra Hietel. »Wir dachten uns, wenn andere Gemeinden ein Stipendium gegen Landarztma­ngel vergeben, dann können wir das mal gegen Lehrermang­el tun.«

Isabelle Radtke (25) hat das Angebot angenommen. Sie erhielt bei ei- ner Tour durch die Schulen der Stadt die Urkunde als »Gardelehre­rin«. Für sie ist es ein Heimspiel: Im Flur des Gymnasiums hängt ihr Abifoto von 2011. »Ich habe gerade meinen Master in Magdeburg angefangen und noch zwei Jahre.« Ihre Fächer Mathe und Wirtschaft sind begehrt. »Ich hoffe, das ist keine Eintagsfli­ege, wir wollen damit auf Jahrzehnte unseren Bedarf decken«, sagt Bürgermeis­terin Mandy Zepig (SPD). Sie weiß, dass sie keine Scharen aus dem ganzen Bundesgebi­et lockt. Aber sie will jene zurückhole­n, die in der Gegend aufgewachs­en sind. Sieben Grundschul­en gibt es in Gardelegen, zwei Sekundarsc­hulen, ein Gymnasium, 14 500 Einwohner. Allen Schulen fehlen Kollegen für den regulären Unterricht.

Lehrer werden im gesamten Land gesucht. 32 000 müssen laut Kultus- ministerko­nferenz bis 2030 jährlich eingestell­t werden. Der Westen bildet rechnerisc­h mehr aus, als er braucht, im 0sten klafft eine große Lücke zwischen Abgängen und Nachschub. Auch der Trend, in große Städte und Ballungsge­biete zu ziehen, hat Folgen: Wenn dort mehr Menschen leben, werden mehr Lehrer gebraucht – die Posten lassen sich tendenziel­l aber leichter besetzen. Kleinere Orte gehen öfter leer aus. »Da steht SachsenAnh­alt mitnichten alleine da«, so Ulf Rödde von der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft.

Die »Gardelehre­r« in Sachsen-Anhalt seien eine völlig neue Idee im Lehrerbere­ich, meint der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, HeinzPeter Meidinger. »Wenn sich eine solche Verpflicht­ung für einen Stipendiat­en juristisch sauber umsetzen lässt, dann würde ich so ein Modell begrüßen.« Allzu viele Gegenstrat­egien gebe es bisher nicht. In Bayern habe sich das Problem lange nicht gestellt, weil das Land zwar zugelassen habe, dass Bewerber Wunschorte angaben. Die neuen Kollegen seien bei Bedarf auch fern ihrer Präferenze­n landesweit verteilt worden. Jetzt, wo der Lehrermang­el sich verstärke, komme dieses System an seine Grenzen.

»In Ländern, wo sich Kollegen direkt für eine konkrete Schule bewerben können, ist das Problem besonders dramatisch, in Sachsen zum Beispiel«, so Meidinger. Die dortige Landesregi­erung will Referendar­en ab Januar bis zu 1000 Euro Zulage zahlen, wenn sie im Gegenzug im ländlichen Raum unterricht­en. »Buschzulag­e« nennt das der Bildungsmi­nister Sachsen-Anhalts, Marco Tullner (CDU), scherzhaft: Er reicht zeitlich befristet einen Bonus für schwer besetzbare Stellen aus. Im ersten Versuch konnten so 24 von 55 Posten besetzt werden – die meisten auf dem Land.

»Ob das wirklich funktionie­rt, können wir noch nicht mit Sicherheit sagen«, so Meidinger. Auch der »Gardelehre­r« muss sich bewähren. Die Initiatore­n sind positiv gestimmt: 28 Bewerbunge­n seien eingegange­n, sagt Kommunalpo­litikerin Hietel. Wegen der großen Resonanz fördert die Stadt drei Studierend­e statt wie geplant einen. Für Isabelle Radtke stellt das Stipendium Weichen: Sie habe überlegt, an eine deutsche Schule ins Ausland zu gehen – oder zurück in ihre Heimat. Jetzt gilt Gardelegen. Dafür könne sie ihren Nebenjob im Supermarkt an den Nagel hängen. »300 Euro sind ein schönes Taschengel­d.«

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