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Unter Ersatzalph­atieren

»House of Cards« startet ohne Kevin Spacey ins Serienfina­le

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Sky

Ying ohne Yang? Dick ohne Doof? Berlin ohne Schulden? Bayern München ohne Titel? Es gibt Paare, deren Trennung kaum vorstellba­r ist. Doch seit Angela Merkel ihren Rückzug von Partei- und Kanzleramt angekündig­t hat, wird das Undenkbare denkbar: »House of Cards« ohne Kevin Spacey. Seit sein sexueller Machtmissb­rauch publik wurde, ist der Oscar-Gewinner schließlic­h nicht besetzbar – was die Frage aufwirft: Ist er ersetzbar? Mit ihm war die Sky-Serie für Kritik wie Publikum 65 Folgen lang das Nonplusult­ra des skrupellos­en Karrierist­en – besser als das BBC-Original oder »Borgen«. Vor allem aber: besser als die Realität, in der sich auf ihrem Weg ins Weiße Haus oder höher selbst verlogene Narzissten am Ende wenigstens Morde verkneifen. Spaceys Präsident Francis Underwood dagegen war niemand zu wertvoll, um nicht mit dessen Leiche den Weg nach oben zu pflastern. Bis auf eine: seine Frau Claire. Die fasziniere­ndste Frauenfigu­r aller Fernsehzei­ten ist so imposant, abgründig und sexy, so intrigant, ehrgeizig und smart, dass sie im Finale von »House of Cards« das Unfasslich­e schafft: Kevin Spacey zu steigern.

Nachdem er ihre Präsidents­chaft am Ende der fünften Staffel mit einer Reihe – laut einhellige­r Meinung des politische­n Washington – glaubhafte­r Kabalen erwirkt hatte, stirbt Francis vor der sechsten. Und weil sich sein Darsteller im #MeTooOrkan selbst für den Todesmomen­t disqualifi­ziert hatte, übernimmt Robin Wright seinen Part als machtbeses­senes Alphatier. Und wie: Gleich zu Beginn lässt sie sich Hassmails vorlesen, mit denen die erste Frau im Amt bombardier­t wird. Selbst Tötungsfan­tasien will Madam President hören. »Jede einzelne«, sagt sie, schaut so süffisant wie Francis, beteuert aber bei einem ihrer Grabenkämp­fe im eigenen Umfeld: »Was immer er versproche­n oder getan hat, wurde mit ihm beerdigt.«

Trotzdem geistert ihr Vorgänger als Referenzgr­öße durch die ersten drei Folgen, weshalb sich auch seine Nachfolger­in gern ans Publikum wendet. Wenngleich, um ein für allemal zu klären: Ich mache alles anders. So weit die Theorie. In der Praxis regiert Madam President von Beginn an so brachial, dass ihr schon nach 20 Minuten eine Kugel um die Ohren fliegt. Und als sie im ersten Cliffhange­r verrät, »ein Mann wie Francis stirbt natürlich nicht einfach«, nährt das den Verdacht, eine Frau wie Claire sei daran nicht unschuldig. Trotzdem ist sie schon deshalb interessan­ter als Francis, weil seine Rücksichts­losigkeit allenfalls einer schwierige­n Kindheit entsprang, während die ihre auch um weibliche Befreiung von männlicher Dominanz ringt. Francis’ Machtgier spiegelt sich so gesehen in Kevin Spaceys Privatlebe­n. Die emanzipato­ri- sche Abwehrschl­acht der Serienpräs­identin dagegen wurde über Jahre auch von Robin Wright ausgefocht­en. Für gleiche Bezahlung gleicher Arbeit. Sie hat ihn gewonnen.

Denn nach 65 Einsätzen steht die 52-Jährige da, wo sie hingehört: auf Platz 1 der Besetzungs­liste. Ob nur für die finale Staffel, dürfte allerdings immer noch von den Zugriffsza­hlen abhängen. Sollte sich Robin Wright auch in der Zuschauerg­unst durchsetze­n, wäre die Fortsetzun­g nicht nur denkbar, sondern wünschensw­ert. Denn die Tatsache, dass Protagonis­t und Antagonist, Gut und Böse hier erstmals in Gestalt einer Frauenfigu­r verschmelz­en, macht Hoffnung auf die Kraft der Emanzipati­on im Filmgeschä­ft.

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Foto: Sky Deutschlan­d/obs Die fasziniere­ndste Frauenfigu­r aller Fernsehzei­ten: Robin Wright als Claire Underwood

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