Kritik an SPD-Chefin Nahles wächst
Führende Sozialdemokraten äußern sich vor Klausurtagung unzufrieden über Erscheinungsbild der Partei
Der erneute Absturz in den Umfragen befeuert die Debatte über die Ausrichtung der SPD. Nach neuen Zahlen wollen nur noch 13 Prozent der Wähler für die Sozialdemokraten stimmen.
Kurz vor dem Beginn der Klausurtagungen von CDU und SPD am Sonntag rumorte es weiter in den Regierungsparteien. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert forderte, den bislang für den Herbst kommenden Jahres geplanten Bundesparteitag »mindestens in die erste Jahreshälfte« vorzuverlegen. Dies solle den Erneuerungsprozess der Partei beschleunigen, sagte der Jungsozialist der »Thüringer Allgemeinen«.
Derzeit fordert nur ein Teil der linken Sozialdemokraten um die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange offen die Ablösung von Andrea Nahles. Allerdings ist die Unzufriedenheit mit der Vor- sitzenden in großen Teilen der SPD spürbar. »64 Prozent der Menschen im Land sagen, sie wüssten nicht mehr, wofür die SPD noch steht«, sagte Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Bundestagsfraktionsvize Matthias Miersch stellte sich gegen den bisherigen Kurs von Nahles, ökologische Fragen in den Hintergrund zu drängen. »Wir müssen den Abschied von der Kohle gestalten und sozial durch eine aktive Strukturpolitik begleiten«, forderte Miersch in der »Rhein-Neckar-Zeitung«.
Nahles reagierte beleidigt auf die Kritik. Sie führe die Partei mit all ihrer »Kraft, Leidenschaft und Zuversicht«, sagte die Sozialdemokratin der »Süddeutschen Zeitung«. »Wenn jemand meint, es schneller oder besser zu können, soll er sich melden.« Von einer Vorverlegung des SPD-Parteitags hält Nahles nichts. Sie nannte den geplanten Zeitpunkt Ende 2019 »schon extrem sportlich«. Nahles hat für die Vorstandsklausur einen »Fahrplan« vorgelegt, der Forderungen für die weitere Zusammenarbeit mit der Union enthält.
Dieses Bündnis wird von nicht wenigen linken Sozialdemokraten allerdings als Ursache für die Krise der Partei gesehen. Eine Forsa-Umfrage sah die SPD nur noch bei 13 Prozent. Der Erhebung zufolge verbesserten sich die Grünen stark auf 24 Prozent, die Union leicht auf 27 Prozent.
Dieser Wert liegt weit unter den Ansprüchen der Konservativen. Sie beraten auf ihrer Tagung über die Nachfolge von Angela Merkel, die auf dem Hamburger Parteitag im Dezember nicht mehr als Vorsitzende antreten wird. Die CDUSpitze plant neun bis zehn Regionalkonferenzen, bei denen sich die Kandidaten den Mitgliedern vorstellen können. Nach einer Umfrage von Emnid favorisieren 44 Prozent der Unionsanhänger den früheren Fraktionschef Friedrich Merz und 39 Prozent die Generalsekretärin Annegret KrampKarrenbauer. Jens Spahn kommt nur auf neun Prozent.
Der Gesundheitsminister wirbt mit flüchtlingsfeindlichen Aussagen für sich. Anders als Kanzlerin Merkel und Außenminister Heiko Maas (SPD) ging Spahn auf Distanz zum geplanten UN-Migrationspakt. »Die Debatte über den Pakt steht in der Fraktion aus«, sagte Spahn der »Welt am Sonntag«. »Wichtig ist, dass Deutschland seine Souveränität behält, Migration zu steuern und zu begrenzen.«
»64 Prozent der Menschen wissen nicht mehr, wofür die SPD noch steht.« Thorsten Schäfer-Gümbel
Von Sebastian Kurz lernen heißt siegen lernen, meint vermutlich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Der österreichische Kanzler hat vergangenen Mittwoch erklärt, sein Land werde dem UN-Migrationspakt nicht beitreten, um einem Verlust von »Souveränität« bei der Regelung der Zuwanderung vorzubeugen. Spahn will offenkundig Punkte sammeln, nachdem er vor einer Woche seine Kandidatur für den CDU-Bundesvorsitz verkündet hat. Entsprechend mahnte er via »Welt am Sonntag«, auch Deutschland müsse die Fähigkeit behalten, Zuwanderung zu begrenzen. Und Michael Kretschmer, CDU-Ministerpräsident von Sachsen, nannte es »unverantwortlich«, dass die Bundesregierung die Vereinbarung nicht öffentlich diskutiert habe. Auch Kretschmer hat Gründe für Profilierungsversuche mit diesem Thema. Denn im Freistaat wird 2019 ein neuer Landtag gewählt.
Spahn wie auch Kretschmer reagieren mit ihren Äußerungen auf Verschwörungstheorien, die aktuell von AfD und Cybernazis in Umlauf gebracht werden. Und sie wissen genau, dass die UN-Übereinkunft zwar dem Wortlaut nach eine ist, die die Rechte von Migranten stärkt. Doch sie ist zugleich eine reine Absichtserklärung und verpflichtet die Unterzeichner zu nichts. Darauf wies das SPD-geführte Auswärtige Amt hin.