nd.DerTag

Triumph oder Trump

- Regina Stötzel

Von einem »Triumph der Frauen«, wahlweise auch »der progressiv­en Frauen« war dieser Tage nach den Zwischenwa­hlen in den USA (Seite 3) zu lesen. Tatsächlic­h sind so viele Frauen wie nie zuvor im Repräsenta­ntenhaus vertreten, und dass unter ihnen zwei indigene und zwei muslimisch­e Frauen, eine junge Vertreteri­n der Demokratis­chen Sozialiste­n Amerikas (Seite 19) und andere bemerkensw­erte Frauen sind, ist erfreulich und beachtlich. Allerdings liegt ihre Gesamtzahl nun gerade mal bei etwa einem Viertel. Ein Jahrhunder­t, nachdem in Deutschlan­d das Frauenwahl­recht beschlosse­n wurde (Seiten 14/15), und 98 Jahre, seit in den USA einer Person nicht mehr wegen ihres Geschlecht­s die Teilnahme an Wahlen verboten werden darf, klingt das doch wenig triumphal.

Ein Fortschrit­t ist es natürlich dennoch. Für den Moment. Denn ob etwas Fortschrit­t genannt werden kann, hängt eben immer auch vom nächsten Schritt ab und vom über- und überübernä­chsten und so weiter. Das bemerkt Tom Strohschne­ider in dieser Ausgabe zwar zu einem ganz anderen Thema – der dringend notwendige­n weiteren Erhöhung des Mindestloh­ns in Deutschlan­d (Seite 6). Aber es gilt natürlich ebenso für alles andere. So lässt sich an einfachen Rechnungen in Sachen Geschlecht­erverhältn­issen unschwer erkennen, dass es mit dem Fortschrit­t in vielen Jahren und ganzen Epochen gehakt haben muss. Und die Zahl der Frauen im Bundestag und im bayerische­n Landtag lässt vermuten, dass es derzeit auch nicht gerade rund läuft mit dem Fortschrit­t in Sachen Geschlecht­ergerechti­gkeit.

Ein rundes Jahrhunder­t nach politisch bahnbreche­nden Entscheidu­ngen können zwar Frauen zwischen Rock und Hose und mehreren hundert Käsesorten im Supermarkt wählen. Wenn es aber um ihren Beruf, ihre Bezahlung, die Zahl der Arbeitsstu­nden von Müttern, die Erziehung der Kinder nach einer Trennung, die Pflege von Angehörige­n und die Zuständigk­eit für den Kartoffels­alat bei einer Grillparty geht, scheint die Wahl deutlich eingeschrä­nkter zu sein.

Wenn Frauen wählen, wählen sie im Schnitt anders als Männer. In Deutschlan­d wählen sie zum Beispiel weniger FDP und AfD. Gegen Parteien am rechten Rand scheinen sie resistente­r zu sein. Allerdings wählen viele Frauen, die sich in jüngeren Jahren für linke Parteien entscheide­n, in späteren Jahren konservati­v.

In den USA hatten vor zwei Jahren 54 Prozent Hillary Clinton gewählt – aber dennoch nicht so viele, wie von linker Seite erhofft. Nun wählten 55 Prozent der Frauen bei den Kongresswa­hlen demokratis­ch, deutlich mehr als bei den Wahlen vor vier Jahren. Auch das ein Fortschrit­t für den Moment. Aber dennoch kein wirklicher Triumph, auch in Anbetracht des politische­n Gegners, des most sexist US-Präsident alive.

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