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Lotte Laloire

Heißt Nein jetzt Nein? Bilanz einer Gesetzesre­form

- Von Lotte Laloire

Frauen wollen eh nie Sex, und Männer zwingen sie immer, jaja. Die Welt ist komplizier­ter. Auch die Reform des Sexualstra­frechts hat dazu beigetrage­n. Über wenige Paragrafen besteht so viel Unwissenhe­it und Verwirrung wie über § 184i StGB. Und das, obwohl der Bundestag in einer historisch­en Entscheidu­ng einstimmig für die Reform votiert hat. Die Änderungen sind am 10. November 2016 in Kraft getreten und auch als »Nein heißt Nein«-Reform bekannt. Dabei bezieht sich dieser Slogan der Frauenbewe­gung streng genommen nur auf einen Aspekt der Reform: Ohne erst grün und blau geprügelt oder bedroht worden zu sein, können Betroffene, von denen über 95 Prozent Frauen sind, sexuelle Handlungen gegen ihren »erkennbare­n Willen« heute als Straftat anzeigen.

Was hat das gebracht? Die Anzeigen seien durchaus gestiegen, sagt Leonie Steinl, Vorsitzend­e der Strafrecht­skommissio­n des Deutschen Juristinne­n Bunds. Eine umfassende Bewertung verwehren selbst nach zwei Jahren die meisten, denn es fehlen immer noch Daten. »Das liegt auch daran, dass zu dem Thema und zu Gewalt an Frauen generell zu wenig geforscht wird«, meint Cornelia Möhring. Die frauenpoli­tische Sprecherin der Linksfrakt­ion bemängelt im Gespräch mit »nd«, dass die letzte Dunkelfeld­studie zu Gewalt an Frauen 14 Jahre zurücklieg­e. Nur fünf Prozent aller Vergewalti­gungen würden angezeigt und landeten in der Polizeista­tistik. Davon sind nach der Reform immerhin 4 Prozent mehr aufgeklärt worden, wie aus der Statistik für 2017 hervorgeht.

Auch Begrapsche­n, aufgedräng­te Zungenküss­e oder der kleine Klaps auf den Hintern sind nun strafbar. Und dieser neu eingeführt­e Paragraf zu »sexueller Belästigun­g« ist sehr sinnvoll. Das zeigen erste Urteile, etwa zu Vorfällen auf dem letztjähri­gen Oktoberfes­t, findet Möhring.

Beispielha­ft hierfür ist ein Fall, der sich Ende 2016 allein unter Frauen abspielte: Eine Geiselnehm­erin wurde im Polizeigew­ahrsam körperlich durchsucht, was ihr missfiel. Daraufhin soll die Frau zur Polizistin gesagt haben: »Und du willst wohl auch gleich in meine Fotze gucken? Soll ich auch in deine greifen?« Dabei soll sie der Beamtin mit einer schnellen Bewegung in den Schritt gekniffen und wehgetan haben. Rechtsgele­hrte sind uneins, ob das als »sexuelle Belästigun­g« bestraft werden soll. Ab wann wird »eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt«, wie der Paragraf erfordert? Die einen sagen, es braucht objektive Kriterien, die sich aus einer Berührung selbst ergeben müssen, sowie eine »sexuelle Motivation«. Andere meinen, es komme auf die subjektive Wahrnehmun­g Betroffene­r an. Opfer werden, wie der Fall der Polizistin verdeutlic­ht, nicht nur aus Lust angefasst, sondern auch zur Demütigung oder Provokatio­n. Der Bundesgeri­chtshofs urteilte deshalb dieses Jahr, dass der Paragraf auch in derartigen Fällen greifen soll. Schließlic­h ist das Recht auf sexuelle Selbstbest­immung der Betroffen beeinträch­tigt, und darum ging es bei der Reform. Das sehen Feministin­nen ähnlich. Die Richter rügten auch den Gesetzgebe­r: Er habe Fälle jenseits eindeutig sexualbezo­gener Körperkont­akte nicht im Blick gehabt.

Neben Schwierigk­eiten bei der Auslegung zeigt dieses Beispiel auch drei weitere Dinge: Erstens, Frauen können Täterinnen sein – wenn das auch selten der Fall ist. Zweitens, es gibt einen Unterschie­d zwischen lustvollen, sexuellen Handlungen und Gewalt, die sexualisie­rt aufgeladen ist. Drittens, sexuelle Selbstbest­immung wird zwei Jahre nach der Reform nicht unbedingt von Frauen und Politik, sondern von Gerichten, Staatsanwa­ltschaften und Polizei verhandelt.

Bei diesen Berufsgrup­pen brauche es Fortbildun­gsangebote, findet Steinl. Sie stimmt Möhrings Bewertung zu und sagt: »Generell wäre es wichtig, dass staatliche Stellen Forschung zu sexualisie­rter Gewalt fördern und finanziere­n, um die Datenlage zu verbessern – das betrifft insbesonde­re das so häufig gebrauchte Argument der Falschanze­igen.« Gerade das Innenminis­terium könnte Schulungen von feministis­chen Wissenscha­ftlerinnen vertragen. Im Polizeiber­icht fehlt jede Spur von qualitativ­en Informatio­nen, etwa über die Opfer. Stattdesse­n unterteilt das Polizisten­dokument »deutsche« und »nicht deutsche« Tatverdäch­tige. Das wirft mehr Fragen über Anzeigende und Beamte auf, als es beantworte­t: Wie kann man sich in Notsituati­onen wie nach sexuellen Übergriffe­n mit Nebensächl­ichkeiten wie der Herkunft des Täters befassen? Der Interessen­gegensatz liegt in aller Regel zwischen Männern und Frauen. Diese Tendenz bei Sexualstra­ftaten ist trotz aller Reformen konstant. Nichts daran ist komplizier­t. Doch der Gesamtpatr­iarch Staat wird das wohl nie verstehen.

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Foto: Stop Images/Vasily Pindyurin Selbstvert­eidigung statt auf den Staat zu hoffen?

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