nd.DerTag

Leo Fischer

über die alte und die neue CDU

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Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Friedrich Merz, Jens Spahn. Man fragt sich, vor wem man sich mehr gruseln soll, wenn es um die Nachfolge der Kanzlerin im CDU-Vorsitz geht. Da ist die Merkel-Vertraute, die ihre Heimatstad­t Püttlingen physisch selten und geistig nie verlassen hat, die Homosexual­ität mit Inzest vergleicht, Sexarbeite­rinnen schikanier­t und Abtreibung­en kriminalis­iert. Hätte Deutschlan­d einen »Bible Belt« wie die USA, sie wäre seine Vertreteri­n. Da ist Friedrich Merz, der gerade von seinem Arbeitgebe­r beurlaubt wurde, um Urlaub in der Politik zu machen; der Mann, dem wir den Diskurs von der »deutschen Leitkultur« zu verdanken haben – letztlich der geistige Vater Sarrazins, Wegbereite­r des völkischen Durchbruch­s. Und Spahn, der Gesundheit­slobbyist, der Angst vor Englisch als Alltagsspr­ache hat, Notfallamb­ulanzen zusammenst­reichen und nun Kinderlose schröpfen will.

In vielen Kommentare­n wird Merkel konträr gegen diese Personalie­n gestellt – so als hätte sie eigentlich einer ganz anderen Partei angehört. Die Tatsache, dass Merkel der SPD nach und nach alle Themen weggenomme­n hat, täuschte viele darüber hinweg, wie sehr sich die CDU in all den Jahren eines angebliche­n Linksrucks treu geblieben ist. Entgegen all dem Geschrei von rechts war der Linksruck in der CDU immer nur ein rein taktischer, immer nur gegen die SPD gerichtet, die jetzt, am Ende ihres Lebens, nur mehr stets vage bleibende Korrekture­n an Hartz IV ver- sprechen kann, um es überhaupt noch über die Nachrichte­nschwelle zu schaffen.

Das innerparte­iliche Verspreche­n Merkels war, das mit man mit diesem Kurs zwar rechts Wähler verlieren, durch das Verdrängen der SPD die CDU aber auf Dauer als einzige Regierungs­partei stabilisie­ren würde – und im Zweifel hat man immer noch eine breite Reserve aus Alt-CDUlern, die die Reihen bedarfswei­se schließen können. Deswegen ist es nur für linke Merkel-Fans ein Paradoxon, dass jemand wie Kramp-Karrenbaue­r es so weit bringen konnte. Jenen Fans muss es so vorkommen, als gehe es um einen Kulturkonf­likt zweier verfeindet­er Lager innerhalb der Partei. Deswegen wird in den Leitartike­ln stets eine »alte« gegen eine »neue« CDU ins Spiel gebracht, wo in Wahrheit lediglich ein lange vorbereite­ter, nicht zuletzt auch von der Kanzlerin selbst begründete­r Strategiew­echsel in Gang gesetzt wird.

Gab es denn diese »neue« CDU denn je? Unter einer Parteivors­itzenden Merkel wurden die Sprache der AfD wie auch ihre Themen nahezu widerstand­slos absorbiert - schon jetzt gibt es inhaltlich­e, unausgespr­ochene Allianzen zwischen den beiden, die weitestgeh­end im Mittelbau des Bundestags geregelt werden dürften. Unter einer Parteivors­itzenden Merkel konnte eine SachsenCDU weiter schalten und walten, wie sie wollte: Nicht erst die Interviews mit schockiert­en Polizeisch­ülern zeigen, wie tief rassistisc­he und völkische Vorstellun­gen ins sächsische Staatswese­ns eingegrabe­n sind. Die Sachsen-CDU hat hier nicht gegen eine Kanzlerin Merkel, sondern mit ihr stets beschwicht­igt, beschönigt und vertuscht. Wer die Statements der Jungen Union aus den letzten Jahren studiert, sieht sie weit entfernt von liberalen Positionen. Den »MerkelFlüg­el« gab es nie, weil Merkel ihm selbst gar nicht angehörte.

Die neue CDU ist die alte CDU, nur ohne sozialdemo­kratische Konkurrenz und von ihr nun nicht einmal mehr als Mehrheitsb­eschafferi­n abhängig – man kann sich seine Koalitions­partner jetzt aussuchen. Wenn der österreich­ische Fahrplan weiter gilt, wird sie in ein, zwei Jahren ohne nennenswer­te Opposition mit der AfD koalieren können. Spätestens dann wird keiner mehr von einer »neuen CDU« sprechen.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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