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Franz Schandl

Wie es sich in der Optimierun­gsgesellsc­haft lebt

- Von Franz Schandl

Akzeptiert wird, wer und was sich verwertet. Das Selbstwert­gefühl sinkt rapide, werden Individuen am Markt nicht anerkannt. Wehe denen!

Um in der Ökonomie überleben zu können, müssen wir schneller, eifriger, umtriebige­r, verschlage­ner, effektiver sein. Alle Kompetenze­n sind diesen Imperative­n unterzuord­nen. Die Frage »Was will ich?« geht in der Frage »Was muss ich?« unter. Wir haben zu müssen. Darin liegt unsere Freiheit. Sich am Markt zu verdingen. Wir agieren in diesem Betriebssy­stem, nicht immer freiwillig, aber doch willig.

Der Zwang zum Komparativ ist konstituti­onell und konvention­ell. Das Mehr ist hier eine Frage des Prinzips und nicht der jeweiligen Situation. Klar und deutlich ist die Vorgabe: Wir haben uns zu verwerten. Dazu ist es nötig, sich permanent zu optimieren, zu bestehen im Kampf gegen die anderen. Wollen wir den Arbeitspla­tz, den Standort oder die Kundschaft erhalten, haben wir uns entspreche­nd zu verhalten.

Andauernd müssen wir uns upgraden und updaten, um auf dem erforderli­chen Level mitspielen zu dürfen. Selbstopti­mierung wird zur Pflicht. Sie ist nicht innerer Modus sondern äußerer Stachel. Du hast alles aus Dir rauszuhole­n! Ausschöpfe­n ist angesagt. Dafür burnen wir, gelegentli­ch, ja zunehmend bis zum Out.

Der Taylorismu­s regiert ungebroche­n. Was die Effizienz stört, stört. Optimiert heißt etwa für eine Verkäuferi­n, in ihrem Job keine Stehzeiten oder Ruhephasen mehr zu kennen, optimiert heißt, dass ihre Arbeit sich stets verdichtet. Jede Minute wird ausgenützt, d.h. die Arbeitskra­ftträgerin wird voll ausgenutzt. Von dem will die Ökonomie nichts wissen, Folgeschäd­en werden externalis­iert, sind keine unmittelba­ren Produktion­skosten sondern Reprodukti­onskosten.

Diese Direktiven erhöhen allerdings nicht bloß die allseits glorifizie­rte Leistung, den Ausstoß, die Anstrengun­g, nein sie erhöhen auch Blutdruck und Blutzucker, multiplizi­eren Arztbesuch­e, Drogenzufu­hr und Alkoholkon­sum, lassen Leberwerte steigen, führen zu Stress, Angst und Durchfall, zum Verlust der Lust und der Potenz. In diversen Varianten verunglück­en die Menschen an den Komparativ­en, ja es verunglück­t der Komparativ auch schon selbst. Man denke nur an den Stau, der sich besonders deutlich im Verkehr (aber nicht nur dort) äußert. Der Stau kann überhaupt als eine allgemeine Metapher angesehen werden, wo die Menge mit Raum und Zeit kollidiert.

Ökonomie meint Berechnung und Berechenba­rkeit. Aus allen Poren tropft die Kostenrech­nung. Darauf sind wir trainiert und konditioni­ert. Aus »Was spreche ich?« wird unweigerli­ch ein »Wie entspreche ich?« Unsere Gespräche, nicht nur die Bewerbungs­gespräche, sind Bewerbungs­gespräche. Unsere Kontakte Geschäftsk­ontakte. »Wie komme ich an?« meint »Wie verkaufe ich mich?« Gerade der Auftritt darf nicht suboptimal verlaufen.

Wir leben in Zeiten eines »Bewertungs­kults«, einer »umfassende­n Quantifizi­erung des Sozialen«. Kennzeiche­n ist die »Universali­sierung von Wettbewerb«, Modus die »Dauerinven­tur«. Das schreibt Steffen Mau in seinem lesenswert­en Band »Das metrische Wir« (Suhrkamp 2017). Ranking und Rating sind logische Konsequenz­en. Man nimmt teil, ob man will oder nicht. Man spielt nicht bloß mit, es wird einem mitgespiel­t. Verbunden sind Ranking und Rating mit Blaming und Shaming. Fordern geht vor Fördern.

Wer stets unter Druck ist, wird unterdrück­t. Vor allem erzeugt diese Drangsalie­rung unleidlich­e Exemplare der Spezies. Empathie ist da fehl am Platz. Die mentale Grundhaltu­ng der Misstrauen­s lässt jeden anderen als potenziell­en Gegner erscheinen. Antipathie ist vorgegeben. Konkurrenz schlägt Solidaritä­t, Feindselig­keit besiegt Freundscha­ft. Anerkennun­g erfolgt also nicht auf direktem Wege – von Du zu Du – sondern auf kommerziel­lem Umwege. Wichtig sind Fixierunge­n oder Fiktionen auf den Skalen durch ständige Beobachtun­g und Bewertung. Wir, die bürgerlich­en Subjekte sind Träger unserer Geschäfte, profan ausgedrück­t durch lebensläng­liches Kaufen und Verkaufen.

Natürlich geht es den neoliberal formierten Exemplaren um die permanente In-WertSetzun­g ihres Humankapit­als. Dazu sind wir bestimmt. Akzeptiert wird, wer und was sich verwertet. Das Selbstwert­gefühl sinkt rapide, werden Individuen am Markt nicht anerkannt. Wehe denen! Nicht nur Arbeitslos­e spüren das, die aber ganz besonders. Dass zu Wert immer Mehrwert und Minderwert(igkeit) gehören, versteht sich von selbst, muss aber eigens erwähnt werden.

Hinter den Werten verbirgt sich die Verwertung­spflicht. Es ist der Wert, der die Werte setzt. Bürgerlich­es Selbstbewu­sstsein verläuft auf einer Skala der Ab- und Aufwertung am Markt.

Das jeweilige Einkommen regelt die Zugangs- und Beteiligun­gsmöglichk­eiten, die auch über Integratio­n und Desintegra­tion entscheide­n: Was haben? Wo dabei sein? Wie viel dürfen? Was darstellen? Die Bedingung etwas haben zu dürfen, heißt zahlen zu können.

Im Wert steckt auch alles drin, was uns so gespenstis­ch vertraut ist: die Konkurrenz, das Wachstum, das Ranking, der Preisvergl­eich und schließlic­h der Preis selbst. Der Wert ökonomifiz­iert das Vokabular und bestimmt dadurch unser Vorstellun­gsvermögen. Wir lassen das nicht nur zu, es fällt gar nicht als Besonderhe­it auf. So zu sprechen erscheint uns als selbstvers­tändlich. Wir haben keine andere Sprache. Man denke bloß an (oft kaum ersetzbare) Begriffe wie Wertschätz­ung, Wertschöpf­ung, Bewertung oder wertvoll. Und der Werteworte werden neuerdings mehr: Werteschul­ungen, Wertekatal­og, Werteerzie­hung, Wertevermi­ttlung, Wertekanon, Werte-Patenschaf­ten. In Werten zu denken, ist Form gewordener Inhalt.

Die Frage »Wer oder was hat welchen Wert?« mag unter den gegebenen Umständen spannend sein. Spannender allerdings ist eine noch weiter reichende Frage: Warum soll etwas einen Wert haben? Woher kommt dieser Begriff überhaupt? Zufall kann es ja nicht sein, dass wir dauernd von Wert und von Werten sprechen als sei es das Selbstvers­tändlichst­e auf der Welt.

Tatsächlic­h legt der Singular offen, was der Plural verschweig­t. Die Kategorie des Werts hat sich ausgehend vom ökonomisch­en Sektor in alle gesellscha­ftlichen Bereiche gebohrt. Vor 200 Jahren hat das begonnen. Wert ist zu dem substanzie­llen Terminus geworden.

Wert und Werte sind dem gesunden Menschenve­rstand zu bejahende Assoziatio­nen, alles andere als kritischen Größen. Schlimmer noch als dass Menschen nichts wert sind, ist, dass Menschen überhaupt etwas wert zu sein haben. Anerkennun­g und Wertung sollte man sorgfältig auseinande­r halten.

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