nd.DerTag

Wohl oder wehe

Keine Wahl III: Frauen in Care-Berufen

- Alexandra Wischnewsk­i

Einhundert Jahre, nachdem sich Frauen in Deutschlan­d das Wahlrecht erkämpft haben, schlägt uns dessen Begrenzthe­it entgegen. Gleiche Rechte sind die Ausgangsbe­dingung, aber sie führen nicht automatisc­h zu gleichen Möglichkei­ten, diese Rechte in Anspruch zu nehmen. So setzen staatliche Sparmaßnah­men zur Konsolidie­rung klammer Kassen besonders hart an jener Infrastruk­tur an, die für die Sorge um sich und andere notwendig ist: im Gesundheit­sbereich, in der Pflege, bei Bildung und Erziehung. Bekanntest­es Beispiel ist wohl die Situation in den Krankenhäu­sern: Personelle und organisato­rische Rationalis­ierungen haben dazu geführt, dass die meisten Pflegekräf­te ihre Aufgaben weder zum Wohle der Patient*innen, noch unter Berücksich­tigung ihres eigenen Wohlergehe­ns erledigen können.

Davon sind Frauen doppelt betroffen: In den Sorgeberuf­en sind mehrheitli­ch Frauen beschäftig­t, in der Pflege sind es etwa 85 Prozent. Frauen übernehmen zudem den steigenden Anteil der privat zu leistenden Daseinsvor­sorge. Das führt dazu, dass heute 80 Prozent aller Teilzeitst­ellen von Frauen besetzt sind, jedoch nur 30 Prozent der Vollzeitst­ellen. Denn die Hälfte aller Frauen in (freiwillig­er) Teilzeit sind dies heute wegen Kinderbetr­euung und der Pflege Angehörige­r. Männer hingegen sind nur zu einem Zehntel in dieser Rolle.

Große Reden über Vereinbark­eit bedeuten meist nur, dass Frauen noch mehr unter einen Hut packen müssen. Das hat nicht nur eine Intensivie­rung aller bezahlten und unbezahlte­n Arbeiten von Frauen zur Folge, sondern auch finanziell­e Probleme. Besteht beim Bruttostun­denlohn eine Lücke zwischen den Geschlecht­ern von 21 Prozent, beträgt diese beim Bruttojahr­esverdiens­t durch die hohe Teilzeitbe­schäftigun­g bereits bei 37 Prozent. Der Mangel an Zeit und Geld bedeutet für die Betroffene­n Stress. Die Möglichkei­t, ihr eigenes Leben und das der Gesellscha­ft zu gestalten, ist für viele Frauen damit stark eingeschrä­nkt. Wie kann man das ändern? Beispielsw­eise durch einen Um- und Ausbau der sozialen Infrastruk­tur und einer Reduktion der Arbeitszei­ten. Für eine Demokratie sollte das keine unüberwind­bare Hürde sein.

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