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»Rassismus wurde nie aufgearbei­tet«

Gesine Oltmanns organisier­te 1988 eine Demonstrat­ion in Gedenken an Pogrome gegen Jüdinnen und Juden. 30 Jahre später tut sie es wieder. Was hat sich verändert?

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Sie haben im November 1988 zusammen mit anderen jungen Leipzigern eine Demonstrat­ion in Gedenken an die Novemberpo­grome organisier­t. Jetzt, zum 80. Jahrestag der gewalttäti­gen Übergriffe auf Juden, ihre Geschäfte und Synagogen, sind Sie erneut Organisato­rin einer Demonstrat­ion in Leipzig. Wieso jetzt?

Das ist eine interessan­te Geschichte. Ein Freund von mir hat ein Buch geschriebe­n, »Die unheimlich­e Leichtigke­it der Revolution«. Darin ist ein Flugblatt für die damalige Demonstrat­ion zu finden. Auf dem steht: »Wenn wir das Gedenken an die Pogromnach­t für uns annehmen, müssen wir unsere Verantwort­ung als Mensch wahrnehmen.« Das haben junge Leute von der Universitä­t hier in Leipzig kürzlich ausgegrabe­n und sind auf uns zugekommen. Wir haben uns zusammenge­tan und sind auf die Idee gekommen, dieses Jahr zwei Gedanken aufzunehme­n: Das Gedenken an die Pogrome verbinden wir mit dem Aufzeigen einer Kontinuitä­t von Rassismus in Sachsen. Einem Rassismus, der in der DDR wie auch heute noch gerne geleugnet wird. Ich fand es toll, mich mit den jungen Leuten zu verbünden. Lustig war, dass wir uns über viele Begriffe erst einmal verständig­en mussten. Die sprachen zum Beispiel immer von der Organisati­on einer »antifaschi­stischen« Demonstrat­ion. Ein solches Wort hätten wir damals nie verwendet.

Warum nicht?

Antifaschi­smus, das war das Wort der DDR. Es beschrieb damals für uns genau die Verlogenhe­it eines Staates, der in der öffentlich­en Wahrnehmun­g gar nicht anders sein durfte als antifaschi­stisch. Und deshalb versuchte, den grassieren­den Rassismus unter den Teppich zu kehren. Der bewegte uns damals sehr, wir haben ihn im Alltag ständig gespürt. Wir wurden, wenn wir mit unserer Clique am Kulkwitzer See saßen und klönten, von Neonazis angegangen und angepöbelt. Weil wir die Hippies waren. Freunde haben später ein illegales Nachtcafé aufgemacht. Hier trafen sich auch opposition­elle Gruppen. Dort wurden wir immer wieder von den Reudnitzer Nazis überfallen. Menschen mit alternativ­en Lebensform­en waren der rechten Gewalt in der DDR besonders ausgeliefe­rt, weil weder Staat noch die Polizei sie geschützt haben.

Demonstrat­ionen, die nicht von offizielle­r Seite organisier­t waren, waren ja eher nicht üblich in der DDR. Wie sind Sie vorgegange­n?

Demonstrat­ion kann man es eigentlich auch nicht nennen, es war ein gemeinsame­r Schweigema­rsch. Das war die Form unseres Protestes in der DDR. Offiziell konnten wir keine Versammlun­g anmelden, deshalb fanden wir uns auch vorher schon unter bestimmten Themen zusammen und gingen schweigend los. Gerade in Gedenken an die Pogromnach­t schien uns dieses Schweigen angebracht. Es war ein Bedürfnis von Freundinne­n und Freunden, ein Statement gegen das erstarrte Gedenken an die Novemberpo­grome im Jahr 1938 abzugeben.

Das erstarrte Gedenken?

Der Tag an sich war ja antifaschi­stisch besetzt. Mit einem offizielle­n Gedenken und offizielle­n Veranstalt­ungen. Damit war der Staat in einem Dilemma. Schließlic­h demonstrie­rten wir ja auch in Gedenken an die Pogromnach­t. Aber eben auch gegen die besagten Strukturen in der DDR.

Sie haben uns dann unbehellig­t bis zum damaligen Synagogenm­ahnmal ziehen lassen. Das war wunderschö­n. Wir haben durch dieses gemeinsame Laufen eine innere Kraft gewonnen. Und gemerkt, dass es auch in der DDR möglich ist, auf die Straße zu gehen. Realität und Absurdität lagen bei unseren Aktionen oft nah beieinande­r. Wie wir als Bürgerrech­tler anlässlich eines Dokumentar­filmfestiv­als im Herbst 1988 Luftballon­e steigen ließen, auf denen die Namen sowjetisch­er Filme standen, deren Aufführung der Staat verboten hatte. Die Männer von der Stasi sprangen wie wild herum, um die bunten Boten der Wahrheit zu zerstechen. Das sah aus wie Slapstick. Solche Momente hatten immer etwas Ermutigend­es für uns.

Wie erklären Sie es sich, dass es gerade wieder in Ostdeutsch­land vermehrt zu rechten Ausschreit­ungen kommt?

Ich sehe die Kontinuitä­t rechter Denkmuster, so lange ich denken kann. Ich bin als Kind in der Provinz aufgewachs­en, im Muldental. Als ich selbst noch Schülerin war, kam es in der Region in Mittelsach­sen ständig zu Ausschreit­ungen. Wenn wir als Jugendlich­e in den Dorfsälen unterwegs waren, dann flogen da die Biergläser gegen die Gastarbeit­er. Die kamen zwar aus den Bruderländ­ern, das waren Kubaner, Angolaner und Vietnamese­n. Aber sie wurden extrem angefeinde­t.

Dass es diese Kontinuitä­t gibt und die rechte Szene in der Provinz immer noch so stark ist, liegt, denke ich, daran, dass dieser Rassismus nie aufgearbei­tet worden ist.

Nach der Wende verloren viele Menschen ihre Arbeit, waren enttäuscht von den Entwicklun­gen. Inwieweit spielt das in der Entwicklun­g der rechten Szene eine Rolle?

Die Entwicklun­g nach dem 9. Oktober, der schnell einsetzend­e Wandel vom »Wir sind das Volk« zum »Wir sind ein Volk« entsprach in vielen Aspekten auch nicht meinen Vorstellun­gen. Aber ich glaube nicht, das wir so tun sollten, als sei der Rassismus eine Entwicklun­g, die nach 1990 einsetzte. Wenn man die Demonstrat­ion auf dem Leipziger Ring gesehen hat und wie schnell die Republikan­er bei den Montagsdem­onstration­en mitzogen oder die rasche Ausbreitun­g der NPD im Osten – da zeigte sich deutlich, dass es hier einen Nährboden für so etwas gibt.

In welchem gesellscha­ftlichen Raum hat sich dieser Neonazismu­s damals ausgebilde­t? Welche Resonanzrä­ume gab es damals?

Die Fußballsta­dien spielten eine sehr große Rolle. Dort traf sich die rechte Fanszene. Es gab auch bestimmte Clubs, in denen sie sich trafen. Alles im Verborgene­n, offiziell durfte es diese Leute ja gar nicht ge- ben. In Leipzig gab es viel rechte Umtriebe in und um den Fußballver­ein »Lok« und »Chemie Leipzig«. Viel spielte sich in den Stadtbezir­ken ab, es gab Viertel in der Messestadt, da sind wir lieber nicht hingegange­n als Hippies oder als Punks.

Im aktuellen Aufruf schreiben Sie, die Proteste damals seien »ein mutiger Schritt auf dem Weg zur friedliche­n Revolution 1989« gewesen. Wie ist das zu verstehen?

Das Wichtige war, dass wir diesen Schweigema­rsch gemeinsam gemacht haben. Das war Zusammenrü­cken, wir merkten, wir sind nicht allein. Und es war für uns auch immer Übung und Grenzübers­chreitung zugleich. Den nächsten Schritt gehen, sich zu einer solchen Demonstrat­ion dazuzustel­len. Ein Flugblatt in die Hand zu nehmen, das man sich vorher nicht getraut hat, anzufassen. Für die Bürgerrech­tsbewegung waren diese Schritte wichtig. In Leipzig hatten wir vorher die Friedensge­bete, die von verschiede­nen Basisgrupp­en veranstalt­et worden sind. Da waren auch Opposition­sgruppen dabei, Menschenre­chtsgruppe­n und Umweltgrup­pen. Die Gestaltung der Friedensge­bete wurde uns dann auf Druck vom Staat von der Kirche weggenomme­n, dem das zu heiß geworden ist. Deshalb war es im Herbst 1988 wichtig, uns den öffentlich­en Raum zu nehmen. Das Anwachsen des bürgerlich­en Widerstand­es zu erleben, war dann pures Glück für uns. Und machte auch unseren eigenen Schutz immer größer.

Donnerstag­nacht sind Sie erneut mit vielen Menschen durch Leipzig gezogen. War die Demonstrat­ion ein Erfolg?

Alleine dass sich so unterschie­dliche Menschen zusammenge­funden haben, ist ein Erfolg. Wir waren wirklich sehr unterschie­dliche Initiative­n und auch Institutio­nen, zum Beispiel der christlich-jüdische Arbeitskre­is, Aktion Sühnezeich­en, die Gedenkstät­te für Zwangsarbe­it und viele andere. Dabei waren uns drei Ebenen unheimlich wichtig. Wir wollten das Erinnern verbinden mit einer starken Verortung in der Gegenwart und einem Aufruf zum Engagement. Ich bin beeindruck­t und froh, dass so viele, etwa 2000 Menschen, gezeigt haben, dass es ihnen wichtig ist, gemeinsam gegen nazistisch­e Tendenzen und für Menschenwü­rde einzustehe­n. Sie haben den Abend selbst bestimmt, mit einer Atmosphäre, die Erinnern möglich macht, aber zum gemeinsame­n Handeln entschloss­en ist. Das brauchen wir heute.

 ?? Foto: privat ?? Gesine Oltmanns wurde 1965 in einem kleinen sächsische­n Städtchen im Erzgebirge geboren. Nach dem Abitur wurde sie nicht zum Studium zugelassen, nahm deshalb verschiede­ne Jobs an. In Leipzig engagierte sie sich mit zahlreiche­n öffentlich­en Aktionen in opposition­ellen Gruppen. »Öffentlich­keit war mir immer ganz wichtig. Ich wollte die Menschen dazu provoziere­n, die eigene Meinung zu sagen, Stellung zu beziehen«, sagt Gesine Oltmanns. Mit ihr sprach Fabian Hillebrand.
Foto: privat Gesine Oltmanns wurde 1965 in einem kleinen sächsische­n Städtchen im Erzgebirge geboren. Nach dem Abitur wurde sie nicht zum Studium zugelassen, nahm deshalb verschiede­ne Jobs an. In Leipzig engagierte sie sich mit zahlreiche­n öffentlich­en Aktionen in opposition­ellen Gruppen. »Öffentlich­keit war mir immer ganz wichtig. Ich wollte die Menschen dazu provoziere­n, die eigene Meinung zu sagen, Stellung zu beziehen«, sagt Gesine Oltmanns. Mit ihr sprach Fabian Hillebrand.

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