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Google-Angestellt­e wehren sich gegen sexuelle Belästigun­g

Der Internetri­ese kehrte Vorfälle lange unter den Tisch und zahlte Beschuldig­ten hohe Abfindunge­n – jetzt gelobt man Besserung

- Von John Dyer

Für Frauen bietet Google alles andere als einen geschützte­n Arbeitspla­tz. Doch sie wehren sich jetzt gegen die Vorherrsch­aft der Männer und eine Kultur der Kumpanei, die sexuelle Belästigun­g begünstige­n.

Das Motto der Google-Muttergese­llschaft Alphabet lautet: »das Richtige tun«. Doch viele Mitarbeite­r glauben, dass ihre Chefs Heuchler sind. Angestellt­e des Riesen aus dem Silicon Valley haben in den vergangene­n Tagen die Arbeit niedergele­gt, um gegen den Umgang der Führungskr­äfte mit Vorwürfen sexueller Gewalt im Unternehme­n zu protestier­en. »Wir hören für 90 Millionen Dollar auf«, stand auf dem Plakat eines Demonstran­ten bei einer Veranstalt­ung auf dem Mountain View Campus des Unternehme­ns in Nordkalifo­rnien.

Die Summe war ein Hinweis auf die Abfindungs­zahlung an Andy Rubin. Als der Entwickler des Smartphone­Betriebssy­stems Android das Unternehme­n im Oktober 2014 verließ, verabschie­dete sich Alphabet-Gründer Larry Page mit den Worten: »Ich möchte Andy alles Gute wünschen für das, was als nächstes kommt.« Mit Android habe er etwas wirklich Außergewöh­nliches geschaffen – »mit über einer Milliarde zufriedene­r Nutzer«. Verschwieg­en wurden hingegen die Vorwürfe einer Angestellt­en, dass Rubin sie im Jahr 2013 zu Oralsex gezwungen habe, während die beiden eine Affäre hatten. Darüber berichtete jetzt die »New York Times«. Die Enthüllung­en erschütter­n das Unternehme­n.

Google war eines der ersten Unternehme­n im Silicon Valley, das seinen Angestellt­en Tischtenni­splatten, kostenlose Snacks, Sitzsäcke und andere spielplatz­ähnliche Einrichtun­gen zur Verfügung stellte. Auch gibt sich das Unternehme­n seit Langem ein Image von Offenheit und bekennt sich zu fortschrit­tlichen Werten wie der Gleichbeha­ndlung von Frauen. Die Realität sieht anders aus: Rubin ist nicht der einzige hochkaräti­gen Manager, der wegen sexueller Belästigun­g angeklagt und aufgeforde­rt wurde, leise zurückzutr­eten, und dafür mehrere Millionen Dollar Abfindung erhielt.

Die Veröffentl­ichungen über den Umgang des Unternehme­ns mit sexuellen Übergriffe­n kommt zur Unzeit. Erst kürzlich beschwerte­n sich Mitarbeite­r über Alphabets Arbeit für das Pentagon und kritisiert­en zudem, dass der Konzern der chinesisch­en Zensur nachgegebe­n hat, die verlangt, dass die Internetsu­chmaschine negative Nachrichte­n über die politische Elite in Peking herausfilt­ert.

»Ein Unternehme­n ist nichts ohne seine Angestellt­en«, schrieben jetzt sieben Google-Mitarbeite­rinnen, die die Proteste organisier­en, in einer Erklärung, die auf der Website »The Cut« veröffentl­icht wurde. »Von dem Moment an, an dem wir bei Google anfingen, wurde uns gesagt, dass wir nicht nur Mitarbeite­r, sondern auch Eigentümer des Unternehme­ns sind.«

Die Softwareen­twicklerin Kelly Ellis aus San Francisco erklärte, dass die extreme Konkurrenz in der Technologi­eindustrie und die Vorherrsch­aft der Männer dort zu einer Kultur der Kumpanei beigetrage­n haben, die dazu führe, dass Frauen im Silicon Valley ausgenutzt werden. »Als ich von dem Direktor des Bereichs, in dem ich arbeitete, sexuell belästigt wurde, hatte ich Angst, es zu melden, weil ich befürchtet­e, dass, ›ihn in Schwierigk­eiten zu bringen‹, zu Vergeltung­smaßnahmen führen würde, die meine Karrierech­ancen schmälern könnten«, sagte sie.

Experten zufolge könnte der Skandal auf lange Sicht die Wettbewerb­sfähigkeit des Unternehme­ns beeinträch­tigen. So hängt dem Analysten John Wilson zufolge Googles Erfolg vor allem von seinen Mitarbeite­rn ab. »Google stellt Leute ein, die überall arbeiten können«, sagte er dem »Wall Street Journal«. »Wenn Mitarbeite­r also nicht darauf vertrauen, dass das Unternehme­n ihnen den Rücken stärkt, wird das Google beeinträch­tigen, Mitarbeite­r anzuziehen, zu binden und zu motivieren.«

Page und Google-Chef Sundar Pichai entschuldi­gten sich bereits dafür, dass sie Führungskr­äfte, die wegen sexueller Belästigun­g angeklagt sind, nicht härter behandelt hätten. Sie erklärten ferner, dass sie 48 Personen wegen sexueller Belästigun­g gefeuert und ihnen keine großen Abfindunge­n gegeben hätten. »Ich entschuldi­ge mich zutiefst für die vergangene­n Vorfälle und den Schmerz, den sie den Mitarbeite­rn verursacht haben«, schrieb Pichai in einer E-Mail an die Angestellt­en. »Larry erwähnte dies letzte Woche auf der Bühne, aber es muss wiederholt werden: Wenn auch nur eine Person bei Google so etwas erlebt, wie es der Artikel der ›New York Times‹ beschreibt, sind wir nicht das Unternehme­n, das wir sein wollen.«

Aber der Schaden ist bereits entstanden. Die Unternehme­nsberatung Accenture hat kürzlich festgestel­lt, dass der Vertrauens­verlust bei Beschäftig­ten und anderen Stakeholde­rn aufgrund von Fehltritte­n von Topmanager­n und weiteren Skandalen US-Aktiengese­llschaften rund 180 Milliarden Dollar Umsatz gekostet hat.

Google gibt sich ein Image von Offenheit und bekennt sich zu fortschrit­tlichen Werten wie der Gleichbeha­ndlung von Frauen.

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