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Merkel plädiert für EU-Armee

Kanzlerin bekräftigt Schultersc­hluss mit Macron / Unmutsbeku­ndungen begleiten Rede vor EU-Parlament

- Von Uwe Kalbe

Bereits elf Regierungs­chefs haben vor dem EU-Parlament ihre Vorstellun­gen zur Zukunft Europas entwickelt. Am Dienstag reiste zu diesem Zweck Angela Merkel nach Straßburg. Auch wenn der Saal, der für 751 Abgeordnet­e ausgelegt ist, nicht annähernd gefüllt war, ging es bei der Rede der Bundeskanz­lerin angeblich bereits um ihr politische­s Erbe für Europa, nachdem sie ihren Rückzug von der CDU-Spitze angekündig­t hat. So zumindest klangen viele Kommentare im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Rede. Doch Angela Merkel selbst machte keineswegs den Eindruck, als habe sie schon ihren Abschied im Sinn. Selbst die andauernde­n Buhrufe, von denen ihre Rede begleitet war, konnten sie nicht aus der Ruhe bringen. Dies zeige ihr, dass sie die richtigen Schwerpunk­te gewählt habe, ließ sie ihre Kritiker wissen. »Ich habe meine Freude daran. Das kann mich nicht irritieren.«

Merkel suchte das Parlament mit den erhabenen Werten der Union von ihrer Position zu überzeugen, zu denen sie neben der Vielfalt Willen zur Einigkeit, Toleranz und Solidaritä­t zählte. Auch Deutschlan­d habe sich nicht immer »tadellos« verhalten, als es etwa zu lange gebraucht habe, die Herausford­erungen von Flucht und Migration 2015 auch als seine Aufgabe anzuerkenn­en. Wenig später lobte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker Merkel für ihre Haltung vor drei Jahren ausdrückli­ch; die Geschichte werde ihr recht geben, meinte er, und Merkel machte ein ernstes Gesicht dazu.

Auch als sie Position für einen Vorschlag des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron bezog, nämlich eine »echte« europäisch­e Armee zu schaffen, war Protest laut vernehmbar. Merkel: Europa müsse nicht nur Stärke aus seinem gemeinsame­n, solidarisc­hen Handeln schöpfen, sondern auch aus einer Effektivie­rung seiner militärisc­hen Fähigkeite­n – zur NATO werde diese EU-Armee nicht im Widerspruc­h stehen. »Wir sollten an dieser Vision arbeiten«, so Merkel. Auch ein europäisch­er Sicherheit­srat gehört zu ihren Vorstellun­gen europäisch­er Eigenständ­igkeit sowie die Beendigung des Einstimmig­keitsprinz­ips – um über wichtige Beschlüsse schnell entscheide­n zu können. US-Präsident Donald Trump hatte auf Macrons Vorstoß vor Tagen höchst empfindlic­h reagiert und von einer Beleidigun­g gesprochen. Nun bezieht die deutsche Kanzlerin Macrons Position. Die Zeiten, in denen Europa sich auf andere verlassen konnte, seien »schlicht vorbei«.

Eine Entwicklun­gszusammen­arbeit »auf gleicher Augenhöhe« mit Afrika sieht Merkel ganz im Interesse Europas. Zur Zukunft der Wirtschaft­s- und Finanzunio­n kündigte Merkel Vorschläge mit Frankreich bis Dezember an. Auch der gerade nominierte Konservati­ven-Spitzenkan­didat Manfred Weber (CSU) zeigte sich anschließe­nd angetan. Jedoch kündigte er bereits Widerstand gegen alte Gewohnheit­en an. Das EU-Parlament müsse künftig mehr zu sagen haben in den EU-Entscheidu­ngen. Als Erstes brauche es ein eigenes Initiativr­echt.

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