Hoffen auf ein Gedenken ohne Angst
Frauenrechtsaktivistin Anushani Alagarajah über die Suche nach seit dem Bürgerkrieg vermissten Angehörigen
Dem Roten Kreuz liegen immer noch 16 000 ungelöste Fälle verschwundener Personen vor. Präsident Maithripala Sirisena sprach von 60 000 verschwundenen Personen in den vergangenen 30 Jahren. Wie erleben Sie ihre Arbeit mit deren Angehörigen?
Das ist ziemlich kompliziert. Ich arbeite vor allem mit Frauen zusammen, um sie über die Anlaufstelle zur Suche nach verschwundenen Personen aufzuklären und um das Gespräch zwischen protestierenden Familien und Stakeholdern zu erleichtern oder um ihnen bei der Mobilisierung von Demonstrationen zu helfen. Die Forderungen der Proteste bleiben gleich, aber die Dynamik und Politiken der Proteste ändern sich ständig. An einem Tag sind sie hoffnungsvoll, am nächsten sind sie enttäuscht, sie sind entschlossen und dann wieder frustriert.
Wie kommt es dazu?
Das muss auf verschiedenen Ebenen verstanden werden. Zum Beispiel hinsichtlich ihrer Familiensituationen, ihres wirtschaftlichen Hintergrunds, ihrer politischen Zugehörigkeit und ihres anhaltenden Protests auf der Straße, ohne dass dieser je zu den erwarteten Ergebnissen führte. Dann all die verschiedenen Personen, die versuchen, sie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Und die Liste geht weiter.
Das sind unglaubliche Frauen, die jede noch so winzige Möglichkeit nutzen, um ihre geliebten Angehörigen zurückzubekommen. Wir sind uns vielleicht nicht immer einig über die Wege, die sie wählen oder über die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, aber man muss sie dafür bewundern, dass sie ihren politischen Raum beanspruchen und so standhaft für ihre Wünsche und Forderungen kämpfen. Ich denke, als Aktivisten sollten wir ihre Entscheidungen respektieren und weiterhin alles dafür tun, sie zu unterstützen.
Wodurch oder durch wen lassen sich die Frauen beeinflussen?
Es gibt verschiedene Akteure, die sich einmischen und versuchen, ihre politischen und sozialen Interessen durchzusetzen. Meistens sind es Männer, die dabei im Vordergrund stehen, Männer, die zivilgesellschaftliche oder politische Arbeit machen und den Frauen mit ihren Versprechungen Hoffnung geben. Dabei verfolgen sie ihre eigenen Agenden. Für die Frauen geht es da nicht mal um Geld oder Materielles, sondern wirklich um Hoffnung. Viele der schon lange auf Antworten wartenden Mütter würden alles tun für ein bisschen Aussicht auf Hoffnung. Für uns als Frauenrechtsaktivistinnen – wir sind fast ausschließlich Frauen – ist es manchmal schwierig, sich gegenüber dem patriarchalen System hier zu behaupten. Vorher haben immer Männer die Position eingenommen, in der Öffentlichkeit zu arbeiten, sich selbstbewusst als Repräsentanten zu zeigen. Es ist nicht einfach für uns, dieses System aufzubrechen. Aber mit mehr aktiven Frauen, die ihren Raum beanspruchen und besitzen, ändern sich die Dinge. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich diese Dynamik in den nächsten Jahren weiter verändern wird. Welche Forderungen und Bedürfnisse benennen die Frauen?
Das Wichtigste ist, sich mit ihnen zu beraten, um herauszufinden, was sie in ihrem eigenen Kontext aus ihrem eigenem Verständnis heraus wirklich wollen und dies dann in die politischen Praxen einzuarbeiten, nicht umgekehrt. Grundsätzlich gilt es immer, strukturelle Probleme zu bearbeiten, die zu geschlechtsspezifischen Ungleichheiten führen. Strukturelle Veränderungen sind enorm wichtig.
Was bedeutet das konkret?
Was Frauen in den Konfliktgebieten und anderen betroffenen Regionen verlangen, ist sehr unterschiedlich. Sie verstehen Gerechtigkeit auf ihre jeweils eigene Weise und fordern Verantwortlichkeit und Rechenschaft nach ihren eigenen Vorstellungen. Aktivisten, Politiker, Forscher und andere Akteure sprechen oft von Reparationen. Was die Betroffenen selbst unter Reparationen verstehen, kann jedoch sehr unterschiedlich und komplex ausfallen. Einige wollen ihr Land wieder, andere bestehen darauf, ihren Ehemann zurückzubekommen. Andere fordern Geld, das ihnen fehlt, weil sie selbst körperliche oder geistige Leiden erleben und den schweren Verlust von nahen Verwandten ertragen müssen. Viele fordern nachhaltige Lebensgrundlagen oder andere, ganz spezifische Dinge. Alle fordern eine Antwort, eine Antwort auf das Verschwinden ihrer Geliebten, eine Antwort auf die Frage »Können wir unseren verstorbenen Familienmitgliedern dieses Jahr ohne Angst vor Bestrafung gedenken?« und so weiter. So unterschiedlich die Situationen und Bedürfnisse sind, ein Grundbedürfnis verbindet sie. Wiedergutmachung in Form von Genesung, Heilung und Verantwortlichkeit. Es bedeutet, das Leben fortsetzen zu können. Was sie wollen, ist ein Leben in Würde und Respekt.