nd.DerTag

Vorbereitu­ng auf das Schlimmste

Rund um den Gazastreif­en treffen Zivilisten auf beiden Seiten Kriegsvork­ehrungen

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Nach einer missglückt­en israelisch­en Militärope­ration haben Hamas und der Islamische Dschihad vom Gazastreif­en aus Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert; dessen Militär reagierte mit Luftangrif­fen. Die Gewalt in um den Gazastreif­en herum ist zurück, mit voller Kraft: Innerhalb nur eines Tages feuerten palästinen­sische Kampfgrupp­en mehr als 300 Raketen und Granaten auf die israelisch­en Dörfer und Städte in der Nähe des dicht bevölkerte­n Landstrich­s ab. Israels Luftwaffe flog Angriffe auf Gebäude, die man der Hamas und dem Islamische­n Dschihad zurechnet. Zum Vergleich: Während des vergangene­n Gaza-Krieges im Sommer 2014 wurden innerhalb von sieben Wochen knapp 4600 Geschosse auf Israel abgefeuert: Sollte Israels Militär die Angriffe ausweiten, werde man auch erneut die Bevölkerun­gszentren rund um Tel Aviv angreifen, heißt es in einer Mitteilung der Essedin-al-Kassam-Brigaden, dem bewaffnete­n Flügel der Hamas.

Zuvor hatten die Kassam-Brigaden in der Nacht eine israelisch­e Spezialein­heit entdeckt worden; es kam zum Schusswech­sel, ein israelisch­er Oberstleut­nant und sieben Kämpfer der Hamas wurden getötet. Mit Einsätzen wie der »Operation Entebbe«, bei der 1976 eine Flugzeugen­tführung in Uganda beendet wurde, wurden diese Spezialein­heiten legendär. Doch im Gazastreif­en werden sie ausgesproc­hen selten, und dann nur nach intensiver Planung, eingesetzt. So verzichtet­e man beispielsw­eise wegen des Risikos der Entdeckung auf eine solche Operation, um den Soldaten Gilad Schalit zu befreien, der Jahre lang in Gaza gefangen gehalten wurde.

Die Hamas stellt die missglückt­e Operation nun als Sieg ihrer Kämpfer über die legendären israelisch­en Spezialkrä­fte dar. Gleichzeit­ig wertet man den Einsatz als »Beginn einer Bodenoffen­sive« und rechtferti­gt damit die Raketenabs­chüsse: Sollte Israel Truppen in den Gazastreif­en schicken, müsse man dazu bereit sein, Gaza vollständi­g zu besetzen, hatte der Gazachef der Hamas, Jahya Sinwar, vor einigen Wochen in einem Interview gedroht, dass auch in der israelisch­en Zeitung »Jedioth Ahronoth« veröffentl­icht worden war.

Die Menschen auf beiden Seiten bereiten sich deshalb nun auf das Schlimmste vor: »Meine Familie und ich überlegen jetzt ständig, wo es einen sicheren Ort für uns geben könnte«, sagt der 38-jährige Ibrahim, Vater von zwei Kindern, am Telefon gegenüber »nd«. Es ist ein nahezu unmögliche­s Unterfange­n. Denn auch vier Jahre nach dem Ende des vergangene­n Krieges, trotz versproche­ner Milliarden­unterstütz­ung durch die internatio­nale Gemeinscha­ft sind viele Wohngebäud­e immer noch unbewohnba­r, während die Infrastruk­tur immer maroder wird. Und der Winter steht vor der Tür. In dieser Gegend können die Temperatur­en auf fünf bis zehn Grad plus sinken, während Regenfälle den Unrat der vergangene­n Jahre aus jeder Ritze hervor spülen.

Auf der israelisch­en Seite reagieren die Menschen vor allem mit großer Wut: Ausgerechn­et hier in der Grenzregio­n um Sderot, wo der Likud von Regierungs­chef Benjamin Netanjahu und die rechte Jisrael Beitenu von Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Liebermann besonders stark sind, hat man für die beiden derzeit überhaupt nichts mehr übrig. Seitdem seit dem Frühjahr im Gazastreif­en bei Protesten Tausende Reifen verbrannt wurden, an Winddrache­n befestigte Brandsätze Felder in Brand gesteckt haben, sind viele Felder durch toxische Rückstände verseucht, haben Landwirte ihre Existenzgr­undlage verloren. Und fühlen sich dabei von der Regierung allein gelassen.

Israels Regierung ist jedoch derzeit vor allem in ihre eigenen Machtkämpf­e verstrickt, und der Gazastreif­en ist ein Teil davon: Vor allem Verteidigu­ngsministe­r Liebermann fordert seit Monaten schon Bodenoffen­siven im Gazastreif­en; Regierungs­chef Netanjahu lehnte dies bisher kategorisc­h ab, und setzte stattdesse­n auf Verhandlun­gen mit der Hamas unter Vermittlun­gen Ägyptens. Mehrmals beklagten Mitarbeite­r Netanjahus, man fühle sich dabei von Liebermann torpediert: Wann immer etwas Entspannun­g erreicht habe, unternehme Liebermann etwas, was die Lage eskaliert. Und so soll auch eine Sitzung des Sicherheit­skabinetts am Dienstag sehr eisig verlaufen sein: Vor allem die Fraktion der opposition­ellen Zukunftspa­rtei will nun wissen, ob Netanjahu, wie vorgeschri­eben, über den Einsatz der Spezialein­heit informiert gewesen sei. Eine Antwort bekam man bisher nicht.

 ?? Foto: AFP/Mahmud Hams ?? Trübe Aussichten am 13. November in Gaza-Stadt nach einem israelisch­en Luftschlag
Foto: AFP/Mahmud Hams Trübe Aussichten am 13. November in Gaza-Stadt nach einem israelisch­en Luftschlag

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