nd.DerTag

Wehrlos gegen die Willkür des türkischen Staates

Professor Galip Yalman über die Inhaftieru­ng seines ehemaligen Studenten Max Zirngast in Ankara

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Wie haben Sie Max Zirngast kennengele­rnt?

Ich habe Max vor drei Jahren als Student an der ODTÜ in Ankara kennengele­rnt. Er besuchte dort meinen Kurs zu Staatstheo­rien. Max fiel mir durch sein großes politische­s Interesse und seine Beiträge im Kurs auf. Türkische Studierend­e sind eher zurückhalt­end, manche sagen nie etwas. In erstaunlic­h kurzer Zeit hat er fließend türkisch gelernt und sogar Veranstalt­ungen des Studierend­enkollekti­vs für Politologi­e moderiert. Ich erinnere mich noch daran, wie Max und seine Kommiliton­en mich zum Abschied an meinem letzten Arbeitstag mit einem Kuchen überrascht haben. So etwas ist man von ausländisc­hen Studierend­en nicht gewohnt, das möchte ich betonen. Max ist ein sehr herzlicher und freundlich­er Mensch. Wie haben Sie dann von seiner Verhaftung erfahren?

Ich habe es im Internet gesehen, während ich in Kroatien war. Zurück in Ankara habe ich mich an der Uni dafür eingesetzt, dass er trotz des Prozesses weiterhin immatrikul­iert bleibt. Ich sehe großes akademisch­es Potenzial bei ihm. Dass er seiner Freiheit beraubt wurde, hat mich sehr erschütter­t.

Obwohl es noch keine offizielle Anklagesch­rift gibt, geht Zirngasts Anwalt davon aus, dass ihm Terrorprop­aganda vorgeworfe­n wird. Was denken Sie darüber?

Ich habe mein erstes Studiensem­ester 1968 in Ankara inmitten von der Studierend­enproteste begonnen. Für meine Generation sind das bekannte Vorwürfe. Uns hat man damals der »Propaganda für Kommunismu­s« be- schuldigt. Dass der Terrorvorw­urf heute in der Türkei so inflationä­r benutzt wird, ist auch eine politische Strategie. Für wen kein Terrorvorw­urf konstruier­t werden kann, der wird eben der Präsidente­nbeleidigu­ng beschuldig­t. Dem sind auch hochrangig­e Opposition­spolitiker ausgesetzt, aber es ist ein anderes Gefühl, wenn es jemanden trifft, den man persönlich kennt. Dann merkt man, wie wehrlos man eigentlich ist. Hunderte von Menschen werden dadurch um ihre Freiheit beraubt.

Im Falle des Journalist­en Deniz Yücel wurde von »Geiselpoli­tik« gesprochen. Kann man ähnliches für den Fall von Max Zirngast sagen? Ja der Begriff Geiselpoli­tik wurde in mehreren Fällen vor allem in westlichen Medien verwendet. Von türkischer Seite wurde das zwar immer abgestritt­en, aber die Realität deutet schon auf eine solche Taktik hin. Dennoch bin ich nicht sicher, ob der Begriff immer sinnvoll ist. Österreich ist bekannterm­aßen ein großer Kritiker der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei. Nun hält sich die österreich­ische Regierung zurück mit ihrem Einsatz für Max. Bei Deniz Yücel war das anders. Leider bekommt der Fall von Max außerhalb seines Bekanntenk­reises in der Türkei nicht sonderlich viel Aufmerksam­keit. Das liegt vielleicht daran, dass so viele türkische Menschen gleichzeit­ig auch verhaftet sind. Wie würden Sie seine Verhaftung politisch einordnen?

Ich kenne Max durch seine universitä­ren Leistungen und seine journalist­ischen Beiträge, die er zum Beispiel für das »Jacobin Magazin« oft auch in Koautorens­chaft publiziert hat. Keiner dieser Beiträge wurde verboten, alles ist noch zugänglich. Ob er nun dafür verhaftet wurde, wissen wir nicht, denn es liegt ja nicht mal eine Anklagesch­rift vor. Und man weiß auch nicht, wann das der Fall sein wird. Theoretisc­h gibt es Vorschrift­en dafür, so wie es auch Vorschrift­en gibt, wie lange jemand in Untersuchu­ngshaft gehalten werden kann. Doch in der Praxis kann sich niemand darauf verlassen und ich kenne viele türkische Staatsange­hörige, die im Ausland leben und nicht mehr einreisen, weil sie nicht wissen, welche Willkür sie treffen könnte.

Es gibt eine Kampagne, die dazu aufruft, Briefe an Max Zirngast zu schreiben. Was würden Sie ihm schreiben?

Ein Brief an ihn ist eines der ersten Dinge, die ich mir vorgenomme­n habe, wenn ich zurück in Ankara bin. Ich möchte ihm sagen, dass ich ihn bald wieder bei uns sehen möchte, ihm seine Freiheit zurück wünsche und wir mit den Studierend­en gemeinsam planen müssen, wie wir mehr Aufmerksam­keit für seinen Fall schaffen können. So wie für alle anderen Inhaftiert­en eben auch.

 ?? Foto: Svenja Huck ?? Galip Yalmanwar bis Oktober 2017 Professor für Politikwis­senschafte­n an der Middle Eastern Technical University in Ankara. Auf der Historical Materialis­m Konferenz In London sprach mit ihm über seinen ehemaligen Studenten Max Zirngast, den linken Journalist­en aus Österreich, der seit dem 11. September in Ankara inhaftiert ist. Svenja Huck
Foto: Svenja Huck Galip Yalmanwar bis Oktober 2017 Professor für Politikwis­senschafte­n an der Middle Eastern Technical University in Ankara. Auf der Historical Materialis­m Konferenz In London sprach mit ihm über seinen ehemaligen Studenten Max Zirngast, den linken Journalist­en aus Österreich, der seit dem 11. September in Ankara inhaftiert ist. Svenja Huck

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