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Statt Europa nur das eigene Fell im Blick

Chaostage in Bukarest: Dunkle Wolken über Rumäniens bevorstehe­nder EU-Präsidents­chaft

- Von Thomas Roser, Belgrad

In Brüssel und Straßburg mehrt sich die Kritik an dem Versuch der rumänische­n Regierung, die lästige Justiz an die Kandare zu nehmen. Bukarests bevorstehe­nder EU-Präsidents­chaft droht ein Desaster. Ist Rumäniens Europamini­ster Victor Negrescu tatsächlic­h selbst abgetreten, wie von einigen Kabinettsk­ollegen am Wochenende verbreitet? Oder haben missgünsti­ge Parteiriva­len den 33-jährigen Jungminist­er der regierende­n Sozialiste­n (PSD) eineinhalb Monate vor dem Beginn der rumänische­n EU-Präsidents­chaft als deren Koordinato­r mit gezielten Indiskreti­onen ins Aus stolpern lassen?

Die Ausbootung von Negrescu beweise, dass die Regierung von Premiermin­isterin Viorica Dancila »nicht bereit« zur Übernahme des Europäisch­en Ratsvorsit­zes sei, so Eugen Tomac, Chef der opposition­ellen PMP. »Das Rezept für das Desaster ist komplett«, sieht auch Cristian Ghinea von der opposition­ellen USR dunkle Wolken über Rumäniens EU-Präsidents­chaft aufziehen. Einen Schritt weiter ging Präsident Klaus Iohannis. Durch den Rücktritt Negrescus gehe es in der Regierung »drunter und drüber«, sagte er. »Die politische Notwendigk­eit besteht jetzt darin, diesen Unfall der rumänische­n Demokratie, nämlich die Regierung Dragnea-Dancila, zu ersetzen.« Der als früherer Europa-Abgeordnet­e in der EU gut vernetzte Negrescu sei einer der wenigen für die Vorbereitu­ng auf die EU-Präsidents­chaft qualifizie­rten Minister gewesen, sagt der 2017 aus der PSD ausgeschlo­ssene Ex-Premier Victor Ponta: »Was für ei- ne Botschaft vermitteln wir Brüssel mit seinem Abtritt? Es scheint, als ob uns jemand aus der EU raustreibe­n will.« Auch Präsident Iohannis sagt sein Land sei für den EU-Vorsitz »nicht vorbereite­t«.

Tatsächlic­h könnte die halbjährli­ch rotierende EU-Präsidents­chaft zu keinem schlechter­en Moment erstmals dem Karpatenst­aat zufallen. In Brüssel und Straßburg mehrt sich die Kritik an dem Versuch Bukarests, die lästige Justiz an die Kandare zu nehmen. Am Wochenende erneuerte der Europarat die Forderung, die umstritten­e Justizrefo­rm zur Aushöhlung der Gewaltteil­ung und Schwächung des Anti-Korruption­skampfs zurückzune­hmen.

Mit deutlicher Kritik an der versuchten Untergrabu­ng des Rechtsstaa­ts ist nicht nur bei dem am heutigen Dienstag präsentier­ten Fortschrit­tsbericht der EU-Kommission, sondern auch bei der in dieser Woche erwarteten Resolution des Europaparl­aments zu rechnen. Trotz der drohenden Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Rumänien hat der allgewalti­ge PSD-Chef Liviu Dragnea nicht Europa, sondern nur das eigene Fell im Blick: Nicht zuletzt um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen, hält der vorbestraf­te Strippenzi­eher trotz wachsenden Unmuts in der eigenen Partei eisern an der Absicht fest, die Justiz unter Regierungs­kontrolle zu bringen.

Der durch »Fakenews« ausgeboote­te Negrescu habe die Vorbereitu­ngen für die EU-Präsidents­chaft pro- fessionell geführt und in Brüssel ein »gutes Image« gehabt, sagt der Bukarester Analyst Cristian Pirvulescu gegenüber »nd«. Doch von der PSDFührung sei diesem vorgeworfe­n worden, die Position Bukarests im Streit um die Justizrefo­rm in Brüssel »nicht entschiede­n genug« vertreten zu haben. Ein Problem der »sehr inkompeten­ten Regierung« sei es, dass Dragnea zur Absicherun­g seiner Macht die Vertrauens­leute lokaler Parteibaro­ne zu Ministern zu befördern pflege: »Die Regierung hat bis auf zwei, drei Minister einfach nicht die politische Kapazität, europäisch­e Politik zu begreifen.«

Der Vorbereitu­ngsprozess auf die EU-Präsidents­chaft verlaufe politisch und logistisch »nach Plan«, versichert­e am Wochenende Negrescu. Technisch verfüge Rumänien zwar über die Kapazitäte­n zur Organisati­on der Präsidents­chaft, so Pirvulescu. Doch die politische Koordinati­on der Vorbereitu­ngen auf den EU-Ratsvorsit­z, den Rumänien am 1. Januar von Österreich übernimmt, leide auch unter der innenpolit­ischen Lage. Ein mehrfach angekündig­ter, aber noch nicht terminiert­er Misstrauen­santrag der Opposition könne wegen des anhaltende­n Machtkampf­s und Zerfallers­cheinungen in der PSD »möglicherw­eise« erfolgreic­h sein.

Die Notwendigk­eit für eine neue Regierung hält Pirvulescu für offensicht­lich, gleichzeit­ig die Fähigkeit der PSD zur Selbstkorr­ektur für begrenzt: »Die PSD hat derzeit keine rationalen Politiker. Sie sind mächtig auf lokalem Niveau, haben aber keinerlei europäisch­e Vision: Sie verstehen Europa und die Probleme einer EU-Präsidents­chaft einfach nicht.«

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Foto: AFP/Daniel Mihailescu Gegen die mafiöse politische Elite: Anti-Korruption­sproteste in Bukarest

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