Statt Europa nur das eigene Fell im Blick
Chaostage in Bukarest: Dunkle Wolken über Rumäniens bevorstehender EU-Präsidentschaft
In Brüssel und Straßburg mehrt sich die Kritik an dem Versuch der rumänischen Regierung, die lästige Justiz an die Kandare zu nehmen. Bukarests bevorstehender EU-Präsidentschaft droht ein Desaster. Ist Rumäniens Europaminister Victor Negrescu tatsächlich selbst abgetreten, wie von einigen Kabinettskollegen am Wochenende verbreitet? Oder haben missgünstige Parteirivalen den 33-jährigen Jungminister der regierenden Sozialisten (PSD) eineinhalb Monate vor dem Beginn der rumänischen EU-Präsidentschaft als deren Koordinator mit gezielten Indiskretionen ins Aus stolpern lassen?
Die Ausbootung von Negrescu beweise, dass die Regierung von Premierministerin Viorica Dancila »nicht bereit« zur Übernahme des Europäischen Ratsvorsitzes sei, so Eugen Tomac, Chef der oppositionellen PMP. »Das Rezept für das Desaster ist komplett«, sieht auch Cristian Ghinea von der oppositionellen USR dunkle Wolken über Rumäniens EU-Präsidentschaft aufziehen. Einen Schritt weiter ging Präsident Klaus Iohannis. Durch den Rücktritt Negrescus gehe es in der Regierung »drunter und drüber«, sagte er. »Die politische Notwendigkeit besteht jetzt darin, diesen Unfall der rumänischen Demokratie, nämlich die Regierung Dragnea-Dancila, zu ersetzen.« Der als früherer Europa-Abgeordnete in der EU gut vernetzte Negrescu sei einer der wenigen für die Vorbereitung auf die EU-Präsidentschaft qualifizierten Minister gewesen, sagt der 2017 aus der PSD ausgeschlossene Ex-Premier Victor Ponta: »Was für ei- ne Botschaft vermitteln wir Brüssel mit seinem Abtritt? Es scheint, als ob uns jemand aus der EU raustreiben will.« Auch Präsident Iohannis sagt sein Land sei für den EU-Vorsitz »nicht vorbereitet«.
Tatsächlich könnte die halbjährlich rotierende EU-Präsidentschaft zu keinem schlechteren Moment erstmals dem Karpatenstaat zufallen. In Brüssel und Straßburg mehrt sich die Kritik an dem Versuch Bukarests, die lästige Justiz an die Kandare zu nehmen. Am Wochenende erneuerte der Europarat die Forderung, die umstrittene Justizreform zur Aushöhlung der Gewaltteilung und Schwächung des Anti-Korruptionskampfs zurückzunehmen.
Mit deutlicher Kritik an der versuchten Untergrabung des Rechtsstaats ist nicht nur bei dem am heutigen Dienstag präsentierten Fortschrittsbericht der EU-Kommission, sondern auch bei der in dieser Woche erwarteten Resolution des Europaparlaments zu rechnen. Trotz der drohenden Einleitung eines Rechtsstaatsverfahren gegen Rumänien hat der allgewaltige PSD-Chef Liviu Dragnea nicht Europa, sondern nur das eigene Fell im Blick: Nicht zuletzt um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen, hält der vorbestrafte Strippenzieher trotz wachsenden Unmuts in der eigenen Partei eisern an der Absicht fest, die Justiz unter Regierungskontrolle zu bringen.
Der durch »Fakenews« ausgebootete Negrescu habe die Vorbereitungen für die EU-Präsidentschaft pro- fessionell geführt und in Brüssel ein »gutes Image« gehabt, sagt der Bukarester Analyst Cristian Pirvulescu gegenüber »nd«. Doch von der PSDFührung sei diesem vorgeworfen worden, die Position Bukarests im Streit um die Justizreform in Brüssel »nicht entschieden genug« vertreten zu haben. Ein Problem der »sehr inkompetenten Regierung« sei es, dass Dragnea zur Absicherung seiner Macht die Vertrauensleute lokaler Parteibarone zu Ministern zu befördern pflege: »Die Regierung hat bis auf zwei, drei Minister einfach nicht die politische Kapazität, europäische Politik zu begreifen.«
Der Vorbereitungsprozess auf die EU-Präsidentschaft verlaufe politisch und logistisch »nach Plan«, versicherte am Wochenende Negrescu. Technisch verfüge Rumänien zwar über die Kapazitäten zur Organisation der Präsidentschaft, so Pirvulescu. Doch die politische Koordination der Vorbereitungen auf den EU-Ratsvorsitz, den Rumänien am 1. Januar von Österreich übernimmt, leide auch unter der innenpolitischen Lage. Ein mehrfach angekündigter, aber noch nicht terminierter Misstrauensantrag der Opposition könne wegen des anhaltenden Machtkampfs und Zerfallerscheinungen in der PSD »möglicherweise« erfolgreich sein.
Die Notwendigkeit für eine neue Regierung hält Pirvulescu für offensichtlich, gleichzeitig die Fähigkeit der PSD zur Selbstkorrektur für begrenzt: »Die PSD hat derzeit keine rationalen Politiker. Sie sind mächtig auf lokalem Niveau, haben aber keinerlei europäische Vision: Sie verstehen Europa und die Probleme einer EU-Präsidentschaft einfach nicht.«