Der attraktive Meister
Die Ausstellung »Maler. Mentor. Magier.« beschäftigt sich mit dem Einfluss des Künstlers Otto Mueller
Er wird leicht übersehen (…), weil er leiser spricht. Aber seine Linie ist von großer Zartheit und reiner Empfindung.« Mit diesen Worten beschrieb der Kunstkritiker Curt Glaser den Maler und Grafiker Otto Mueller, der bis heute kunsthistorisch vor allem wegen seiner dreijährigen Assoziierung mit der Künstlervereinigung »Brücke« gewürdigt wird, auch wenn dessen Farbgebung weniger expressiv war. Frauenakte in der Landschaft, Selbstporträts in nachdenklicher und bohemehafter Pose und die Lithografien der 1927 publizierten »Zigeunermappe« nebst Gemälden mit Porträts von Roma-Frauen prägen bis heute die Rezeption von Otto Muellers Werk.
Schlanke Körper aneinandergeschmiegt oder in gegenseitiger Betrachtung und versunken inmitten des Wiesengrüns sowie Paare in entspannter Gestik und lockerer Bekleidung sind Sujets von Mueller. Sie unterstreichen seinen Fokus auf eine Harmonie zwischen Individualität, Erotik und Natur. Diese Idylle verbindet sich auch mit seinem Bild der »Zigeuner« – meist Roma –, die er auf seinen Balkanreisen traf und mit großer Affirmation als würdige Solitäre darstelle, ausgestattet mit einer magischen Aura.
Auch wenn bei Mueller zweifelsohne Klischee und romantische Verklärung von Künstlerselbstbild und Roma-Darstellung zusammenspielen und er keine politische Absicht verfolgte, ist die positive Konnotation seiner Bilder von den Roma noch am Vorabend des Faschismus hervorzuheben.
Der Autor und Kunstsammler Lothar-Günther Buchheim hat Mueller bereits 1963 eine Monografie gewidmet, die in vielen Auflagen erschienen ist. Das von ihm gegründete Museum am Starnberger See umfasst eindrucksvolle Gemälde des Malers, die aufgrund ihrer Brüchigkeit – Mueller malte mit Leimfarbe auf Rupfen – nicht mehr ausgeliehen werden.
Dem 1874 im schlesischen Liebau geborenen und 1930 mit nur 56 Jahren in Obernigk gestorbenen Otto Mueller widmet nun die Alexanderund-Renata-Camaro-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Neuen Nationalgalerie und dem Nationalmuseum Breslau eine umfangreiche und beeindruckende Ausstellung.
Im Zentrum der Schau steht aber nicht so viel von Muellers Biografie und Werk, sondern sein elfjähriges Wirken an der Breslauer Kunstakademie, die ihn 1919 auf einen Lehrstuhl berief. Dort kam auch der junge Alexander Camaro in den Genuss seiner Lehre. Camaro hatte in der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre in Berlin an der HdK (heute UdK) eine Professur inne.
Dagmar Schmengler, die Kuratorin der Ausstellung hat in großer Fleißarbeit und mit einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren das Umfeld Muellers, seine Bedeutung als Brückenbauer zwischen Breslau und Berlin und seine Einflüsse in Ost und West aufgearbeitet.
Bei der Schau gibt es ein Kapitel zu jüdischen Lebenswelten in Breslau sowie Werke polnischer Künstlerinnen und Künstler der Moderne, deren Namen vielen Menschen fremd sind. Die Kuratorinnen zeigen Mueller als Lehrer und Mentor in einem Netzwerk, das sich über den polnischen Kontext hinaus nach Deutsch- land erstreckte. In den Erinnerungen seiner Schüler und Schülerinnen wird Muellers völlige Hingabe an die Kunst gepriesen, sein zwangloser Unterricht ohne starre Strukturen, das Interesse, die Talente weiterzuentwickeln und Individualität zu fördern. Belegt ist auch Muellers Abneigung gegen studentische Tendenzen zum Kopieren des »Meisters«. Seine extravagante Erscheinung und seine künstlerische Unabhängigkeit machten ihn in den Augen seiner Studentinnen und Studenten zu einem attraktiven »role model«.
Muellers Netzwerk spürt die Ausstellung bis Israel nach: Isidor Aschheim war einer »seiner begabtesten Studenten« und vertrat einen »jüdischen Expressionismus«, so der Katalog der Ausstellung. Er konnte gerade noch rechtzeitig im Jahr 1939 nach Palästina fliehen. Bei allen das Netzwerk und den Einfluss Muellers betreffenden Kapiteln gerät das Werk des Mentors selber leider etwas in den Hintergrund, dennoch ist die Ausstellung empfehlenswert.
»Maler. Mentor. Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau«, bis 3. März 2019, Hamburger Bahnhof, Berlin.
Belegt ist Muellers Abneigung gegen studentische Tendenzen zum Kopieren des »Meisters«.