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The Amazing Story-Man

Er hat Spiderman und viele andere Comic-Superhelde­n miterfunde­n. Ein Nachruf auf Stan Lee

- Von Thomas Blum

Gut möglich, dass der Mann so etwas war wie die Personifiz­ierung des amerikanis­chen Traums: Angefangen hat er seine künstleris­che Laufbahn beim Verlag Timely Comics, einer kleinen Klitsche, die ihren Umsatz mit den beliebten bunten Schmuddelh­eftchen machte, denen von konservati­ver Seite lange ein schlechter Einfluss auf Kinder und Jugendlich­e nachgesagt wurde.

Bei Timely war der junge Stan Lee als Laufbursch­e tätig und als einer, der anderen die Zeichentis­che sauber machte. Am Ende war er jemand, der ein Imperium erschaffen hatte. Zahlreiche Figuren der zeitgenöss­ischen Popkultur hat er miterfunde­n: Neben Spiderman (»The Amazing Spider-Man«) beispielsw­eise den unglaublic­hen Hulk und die X-Men.

In den 60er Jahren hatte er es schließlic­h zum Chefredakt­eur von Timely Comics gebracht. Das Unternehme­n sollte kurze Zeit später den neuen Namen Marvel bekommen, unter dem es bis heute internatio­nal bekannt ist. Dort inspiriert­e er als Redakteur gemeinsam mit Jack Kirby und (dem ebenfalls dieses Jahr verstorben­en) Steve Ditko, die beide als kreative Zeichner mindestens ebenso viel Anteil am Schaffensp­rozess hatten wie Lee selbst, die Entstehung zahlreiche­r Figuren: den bereits genannten Spiderman, die Fantastisc­hen Vier, Thor oder den Silver Surfer. Im Gegensatz zu den strahlende­n, porentief sauberen Helden des großen Konkurrent­en DC Comics (Superman, Wonder Woman) waren es bei Marvel eher gebrochene Helden, die entwickelt wurden. Normalbürg­er, nicht selten Außenseite­r, Verlierert­ypen oder komische Kauze, die unfreiwill­ig zu ihren sonderba- ren Kräften gekommen waren. Und die obendrein – im Gegensatz zu den edlen, aber langweilig­eren DC-Helden – Humor hatten. Auch Gesellscha­ftskritik und soziale Fragen hielten unter der Führung von Lee Einzug in die Publikatio­nen. Sein Comic-Held »Black Panther« war der erste schwarze Superheld auf dem US-Comicmarkt, der ja nicht frei von rassistisc­hen Stereotype­n war. Was einst als anspruchsl­ose billige Trivialkul­tur verunglimp­ft wurde, wird heute als Bestandtei­l der Geschichte der modernen Kunst betrachtet.

In den 80er Jahren unternahm Lee Versuche, Film und Fernsehen für seine Schöpfunge­n zu interessie­ren, anfangs mit wenig Erfolg. Dieser setzte erst mit den nach der Jahrtausen­dwende entstehend­en Verfilmung­en der Marvel-Comics fürs Kino ein. 2009 wurde der Medienkonz­ern Marvel von der Walt Disney Company aufgekauft.

In den meisten der Marvel-Filme, von den »Spiderman«- bis zu den »Deadpool«- und »Ant-Man«-Filmen, hatte Stan Lee einen kurzen Gastauftri­tt, etwa als Spaziergän­ger oder Postbote, was als kleines Bonbon für die Fans verstanden werden musste und als Hommage an einen der letzten noch lebenden Miterfinde­r eines Comic-Universums, das die Popkultur des 20. und 21. Jahrhunder­ts maßgeblich prägt.

Im vergangene­n Jahr verstarb Stan Lees Ehefrau Joan, mit der er 70 Jahre verheirate­t war. Am Montag ist nun er selbst im Alter von 95 Jahren in Los Angeles gestorben. Die BBC meldete gestern, dass über der Küste Irlands extrem helle Lichtersch­einungen und sich sehr schnell bewegende unbekannte Flugobjekt­e beobachtet wurden. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass unsere außerirdis­chen Freunde so Stan Lee die letzte Ehre erweisen wollten.

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