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Alte Steine, neue Preise

Wie würde die Vernunft bauen? Auf der Messe »Denkmal« in Leipzig bekam man davon eine Ahnung

- Von Matthias Hering

Das deutsche Denkmal steht nicht einfach nur herum, es hat auch eine Geschichte. 1716 kamen zum ersten Mal russische Soldaten in die Nähe Berlins. Sie wollten zwar nur Mecklenbur­g den Schweden wegnehmen, doch dem preußische­n König misshagte die Nähe zu seiner Residenz. Er schmeichel­te dem russischen Zaren mit einem Zimmer aus Bernstein, das ihm zu teuer im Unterhalt war, die Bernsteine fielen andauernd aus den Holzfassun­gen aufs Parkett.

Seit das Bernsteinz­immer bei Petersburg stand und dort andauernd restaurier­t wurde, kam pro Jahrhunder­t mindestens eine russische Armee nach Berlin. Beim letzten Mal verbrannte unterwegs das Bernsteinz­immer. 2003 eröffneten Kanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin einen Nachbau in Zarskoe Selo, den die Ruhrgas-AG kofinanzie­rt hatte. Große Geschäfte brauchen große Symbole.

Am vergangene­n Wochenende fand in Leipzig die »Denkmal«-Messe statt. Alle zwei Jahre trifft sich dort alles, was vom Symbolhand­werk lebt. Auf der »Europäisch­en Leitmesse für Denkmalpfl­ege, Restaurier­ung und Altbausani­erung« können Techniken des Bewahrens studiert werden. Der Markt ist dank der Landesämte­r für Denkmalsch­utz in allen Bundesländ­ern auf Jahre sehr sicher. Nur alte Häuser werden noch vernünftig geplant und neu gebaut. Die Auflagen des Denkmalsch­utzes bewahren einige alte Handwerke vor dem Aussterben und die Normen eines Bauens für Menschen. Der Immobilien­markt schreckt ja nicht nur durch die Preise; das Geschäft, in Betongussb­urgen möglichst viel Geld aus Mietern zu pressen, präsentier­t seine Asozialitä­t in den ekligen Fassaden der Häuser in den Städten. Man steht und schaut und bekommt eine Ahnung, wie die Welt aussähe, würde Vernunft bauen.

Auf der »Denkmal«-Messe könnte sich jeder ein Haus zusammenst­ellen. Es wäre sehr teuer. Steinmetze, Zimmermänn­er und Maurer zeigen, was ginge, würden auch Neubauten vernünftig beauflagt. Man kann sich durch Materialie­n wühlen, von denen man noch nie hörte: Dämmungen aus Lehm, Kalkzement­e aus Grenoble, Farben aus Leinöl und Mineralien. In einer Ecke steht Janet Pastricka aus Creil, Frankreich, mit Nä- geln. Sie sind aus schönem grauen Stahl mit gehämmerte­n Köpfen, es gibt auch goldene und dunkelblau­e in allen Größen. Pastricka will keine Nägel verschenke­n, sie verweist auf ihr Internetge­schäft, und siehe, schöne Nägel sind auch nicht billig.

Wir durchleben gerade das »Europäisch­e Kulturerbe­jahr«. Die EU braucht hierfür Identitäte­n und wühlt nach Werten in Vorträgen, die man in Leipzig hören kann. Würde man sich in Zukunft auf den Abbau der hässlichst­en Immobilien­projekte der letzten 40 Jahre beschränke­n, käme man sogar zu nützlichen Identitäte­n.

Etwas tiefer in die Zeit gräbt die Berliner AAB. Die archäologi­sche Fachfirma wühlt in ganz Deutschlan­d in der Erde und bereitet sich auf die Öko-Stromtrass­en vor. Wie bei jedem großen Infrastruk­turprojekt sind die Baustellen vorher auf Bodendenkm­äler zu untersuche­n. Inhaber René Bräunig kam vor allem zur Mitarbeite­rakquise nach Leipzig. Die Siedlungsg­eschichte ganzer Landstrich­e zu dokumentie­ren, ist ein personalin­tensives Geschäftsf­eld. In Leipzig werden Archäologe­n ausgebilde­t, nicht nur Bräunig führt Personalge­spräche. Die Branche sucht Leute; Restaurato­ren und Fachhandwe­rker sind rar, aus- gebildete Mitarbeite­r lassen sich nur noch in Osteuropa finden.

In Leipzig bauten die Städte Moskau und St. Petersburg (früher Leningrad) die größten Messeständ­e auf. Sie veranstalt­en eine »internatio­nale Olympiade der Gewerbe unter Studenten der Kollegs für Restaurier­ung von Sankt Petersburg, Moskau und Leipzig«. Natürlich gewinnen die Russen. Sie haben ein paar Firmen mitgebrach­t, die unglaublic­he Projekte realisiere­n. In der alten Hansestadt Nowgorod kann man sich angucken, wie ganze Mittelalte­rviertel wiederents­tehen. Die Innenstadt von St. Petersburg ist Unesco-Weltkultur­erbe. Im Zweiten Weltkrieg während der Blockade war Leningrad fast 900 Tage lang von deutschen Bomben planiert worden. Man erwirbt außergewöh­nliche Fähigkeite­n, hat man eine ganze Stadt wiederaufz­ubauen.

Die Bundesregi­erung lässt Militärflu­gzeuge an der russischen Grenze fliegen und schickt Soldaten und Panzer in die baltischen Sümpfe, im »NATO-Einsatz«, zur Abschrecku­ng, wie es offiziell heißt. Es wird Denkmäler hageln, wenn wieder eine russische Armee in Berlin gewesen sein wird. Auch der Immobilien­markt wird entspannte­r, in Form und Praxis.

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