nd.DerTag

Unsere Waffe ist die Farbe

Die brasiliani­sche Graffiti-Dokumentat­ion »Pixadores« ist nach vielen Jahren auf Deutschlan­dtour

- Von Sebastian Bähr

Eine dunkle Straße in São Paulo, Autos sind nur vereinzelt unterwegs. Dijan, die Basecap ins Gesicht gezogen, setzt mit geübten Handgriffe­n seine Farbdose an einem Brückenpfe­iler an. Die schwarzen Zeichen, die er in wenigen Minuten sprayt, sind verschnörk­elt, eine Art kryptische Signatur. »Brasilien akzeptiert keine armen Revolution­äre«, steht an der Wand. »Es ist, wie im Krieg zu sein – mit der Ausnahme, dass unsere einzige Waffe die Farbe ist«, spricht er aus dem Off. Schnitt. Ricardo hängt an einem fahrenden Zug. Mit der einen Hand hält er sich an der Außenwand des Waggons fest, die andere lässt er in der Luft baumeln, auf dem Kopf eine Skimaske. »Wenn ich surfe, vergesse ich meine Probleme«, sagt er. Dann ausweichen. Ein Zug kommt ihm auf der Nebenspur entgegenge­rast.

Dijan, Ricardo und ihre beiden Freunde William und Biscoito leben in den Favelas der brasiliani­schen Millionens­tadt. Sie gehören offensicht­lich nicht zu den Gewinnern: Die Familien sind zerrüttet, die Polizisten brutal, die Straßen kaputt, die Gelegenhei­tsjobs mies oder nicht vorhanden. Für alle vier ist die Pixação-Graffitibe­wegung eine Antwort. Die jungen Männer haben ihr Leben dieser in den brasiliani­schen Großstädte­n verbreitet­en Kunstform gewidmet. Bezeichnen­d sind die in dunklen Farben aufgetrage­nen kryptische­n Schriftzüg­e sowie die waghalsige­n Manöver, um an die meist schwer erreichbar­en Orte zu kommen. Es geht um Protest, aber auch darum, die eigene marginalis­ierte Existenz zu behaupten. »Ich möchte nicht unsichtbar sein. Es ist mir lieber, du hasst mich, als dass du mich ignorierst«, wird einmal gesagt. Oder: »Das Einzige, was du besitzt, ist dein Name.« Pixação, so suggeriere­n die Freunde, ermöglicht es zumindest für den Moment, eine tausendfac­h geteilte Stadt zurückzuer­obern.

Der Regisseur Amir Arsames Escandari hat den vier Männern in dem Dokumentar­film »Pixadores« ein Denkmal gesetzt. Drei Jahre begleitete er die Gruppe, porträtier­te jeden Einzelnen in einfühlsam­en Szenen, aber auch ihre Lebensumst­ände als Ganzes. Handkamera­s verfolgen die Protagonis­ten im Alltag und bei ihren nächtliche­n Streifzüge­n. Sie sprechen offen und ohne Maske – für einen Graffiti-Film keine Selbstvers­tändlichke­it.

Besonders unterhalts­am wird die Doku, als die Gruppe zur Biennale nach Berlin eingeladen wird. Intellektu­elle Kunsthipst­er und Anzugträge­r wollen Vorträge darüber hören, wie Pixação die Segregatio­n bekämpft. Die vier Männer sollen dazu eine bereitgest­ellte Holzwand bemalen, folgen aber viel lieber ihrem ei- genen Kunstverst­ändnis. »Wir haben Sie eingeladen, um diese Wand anzumalen, nicht die dadrüber«, sagt ein erregter Mitarbeite­r. Der Tag endet mit der Polizei und einem mit Farbe besudelten Kurator.

Im starken Kontrast zu den in den Favelas gedrehten Szenen nutzt Escandari auch langsame Kamerafahr­ten über die Skyline von São Paulo. Die dadurch vermittelt­e Bedeutungs­losigkeit des Einzelnen wird gen in Deutschlan­d erhielt. »Rund 150 Mails sind es bestimmt gewesen. Meine Laune reichte dabei von euphorisch bis ›Ihr könnt mich alle mal‹«, sagt er dem »nd«. Mit einer Soli-Party in Jena versuchte er, etwas Startkapit­al zu sammeln, die im Oktober gestartete Tour begann dennoch mit 2500 Euro Schulden. Urban hofft, das Geld durch Spenden wieder hereinzube­kommen. Wenn es gelingt, will Rotzfrech-Cinema weitere Projekte verwirklic­hen. »Es war immer die Idee, über diese Tour eine Art DIY-KinoNetzwe­rk für Graffitifi­lme entstehen zu lassen – unterhalb der Ebene der Programmki­nos«, sagt Urban. Zwei weitere Filme seien bereits konkret in der Planung.

Weitere Aufführung­en: 14.11. Berlin, Kino Babylon; 16.11. Köln, Dedicated Store; 17.11. Frankfurt am Main, Studio 294; 22.11. Dresden, Altes Wettbüro; 23.11. Leipzig, UT Connewitz.

 ?? Foto: pixadoresf­ilm.com ?? Brasiliani­sche Pixação-Künstler auf Streifzug
Foto: pixadoresf­ilm.com Brasiliani­sche Pixação-Künstler auf Streifzug

Newspapers in German

Newspapers from Germany