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Doppelt benachteil­igt bei der Mobilität

Geringverd­iener zahlen prozentual mehr für Verkehr und leiden besonders unter der Autolawine

- Von Nicolas Šustr

Eine BVG-Jahreskart­e für 365 Euro und eine schnelle Umsetzung des Mobilitäts­gesetzes würde für mehr Gerechtigk­eit sorgen. »Mobilität für alle!«, ist die Kurzstudie überschrie­ben, die der Zukunftsfo­rscher Stephan Rammler sowie der Verkehrswi­ssenschaft­ler Oliver Schwedes im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verfasst haben. »Die unteren Schichten, die zunehmend an den Stadtrand gedrängt werden, müssen 30 Prozent des Haushaltse­inkommens für Verkehr ausgeben«, sagt Schwedes am Montagaben­d bei der Vorstellun­g des 18 Seiten schlanken Papiers. Er bezieht sich dabei auf das unterste Einkommens­fünftel der Bevölkerun­g. Das oberste Fünftel muss nur 15 Prozent für das Fortkommen aufwenden. Das sei weniger als vor einigen Jahren.

Dazu kommt noch die oft schlechter­e Anbindung an den öffentlich­en Verkehr. Auch neue Angebote wie Ridesharin­g-Dienste, eine Art Sammeltaxi, bei dem Mitfahrten per Smartphone gebucht werden »fehlen dort, wo sie am meisten gebraucht werden«, beklagt Stephan Rammler. In der Diskussion kritisiert Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastve­rband IGEB, dass sogar das von den landeseige­nen Berliner Verkehrsbe­trieben gestartete Ridesharin­g-Angebot BerlKönig sich auf das Zentrum konzentrie­rt und nicht am Stadtrand das dünnere Busangebot ergänzt. Beim öffentlich beauftragt­en Leihfahrra­dAnbieter Nextbike sehe es genauso aus, moniert Kerstin Stark, Mitinitiat­orin des Volksentsc­heids Fahrrad.

Dazu kommt noch, dass die Wohnorte von Menschen mit geringem Einkommen besonders den Emissionen des Autoverkeh­rs – Lärm und Schadstoff­e – ausgesetzt sind.

Als eine schnell umsetzbare Maßnahme, um mehr Gerechtigk­eit herzustell­en, empfehlen die Studienaut­oren die Einführung einer Berliner Jahreskart­e für Bus und Bahn zum Preis von 365 Euro nach Wiener Vorbild. Derzeit müssen Abonnenten mit 761 Euro mehr als das Doppelte zahlen. »Wir gehen da ran in der Koalition und prüfen, welche Schritte nach unten möglich sind«, sagt Daniel Buch holz, Umwelt experte der SPDAbgeord­netenhaus fraktion und ruft in Erinnerung, dass der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) schon eine Preissenku­ng auf 50 Euro pro Monat vorgeschla­gen hatte.

Für Geringverd­iener, die keinen Anspruch auf das erst kürzlich im Preis gesenkte Sozialtick­et haben, wäre das eine deutliche Entlastung. Obwohl die Fahrgastza­hlen in Wien nach der Preissenku­ng 2012 deutlich gestiegen sind, legen Studien nahe, dass Autofahrer allein durch günstige Tarife kaum zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen sind.

Das gelingt nur mit einer Umverteilu­ng des städtische­n Raums. »Wenn in Berlin 30 Prozent der Einwohner, die ein Auto haben, 60 Prozent des öffentlich­en Raums belegen, ist das ungerecht«, so Schwedes. Das im Sommer verabschie­dete Mobilitäts­gesetz sei ein großer Fortschrit­t für den gerechten Ausgleich zwischen den Verkehrste­ilnehmern. Für die Umsetzung brauche es jedoch mehr Engagement in der Politik. »Legen Sie sich doch mal mit den Leuten an, die verkehrspo­litisch noch in den 60er Jahren sind, zum Beispiel mit ihrem eigenen Bürgermeis­ter«, fordert der Wissenscha­ftler den Parlamenta­rier Buchholz auf. »Die ethische Raumnutzun­g in der Stadt wäre der Kern einer Zukunftsde­batte«, ist Stephan Rammler überzeugt. »Die Mobilitäts­debatte kann man dann davon ableiten.«

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