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Die Kunst der Verdrängun­g

Im Kreuzberge­r Chamissoki­ez gibt eine Open-Air-Ausstellun­g verdrängte­n Mietern ein Gesicht

- Von Marie Frank

Die steigenden Wohnungspr­eise in Kreuzberg haben längst eine Goldgräber­stimmung unter Investoren entfacht. Doch die Anwohner*innen wehren sich gegen die Verdrängun­g – teils mit Erfolg. »Mit Betongold wird viel verdient – der Mietenmark­t ist wie vermint«, singt das antikapita­listische JodelDuo »Esels Alptraum« zur Eröffnung der Open-Air Ausstellun­g »Mieter*innen ein Gesicht geben« der gleichnami­gen Anwohner*inneniniti­ative aus dem Kreuzberge­r Chamissoki­ez. Mit ihrem Patronengu­rt über der Blümchenja­cke geben sich die beiden Damen betont kämpferisc­h – so wie die meisten Mieter*innen aus dem pittoreske­n Altbauvier­tel nahe der Bergmannst­raße, das von Investoren längst als attraktive Wohnlage erkannt wurde.

»Der Himmel weint und der Kiez weint auch, weil so viele Menschen hier wegziehen müssen«, sagt Friedrich Schindler, Anwohner und selbst Betroffene­r, zur Eröffnung. Trotz des strömenden Regens haben sich an diesem Dienstag zahlreiche Leute um die mannshohen Schautafel­n versammelt, auf denen Betroffene von ihrem Kampf gegen ihre Verdrängun­g erzählen. Es geht um teure Sanierunge­n und Mietsteige­rungen, Kündigunge­n wegen Eigenbedar­fs und Entmietung­sstrategie­n, meist nach einem Eigentümer­wechsel. Es sind traurige Geschichte­n, die hier erzählt werden, aber auch kämpferisc­he.

So wie die von Dijana Kodcoman. Die 36-Jährige wohnt in einem Haus mit 16 Wohnungen und zwei Gewerbeein­heiten in der Fidicinstr­aße 42, das 2016 an die ALW-Gruppe verkauft wurde. Kurze Zeit später begannen die Planungen für Modernisie­rungen: Balkonanba­u, Außenauf- zug, Dachgescho­ssausbau, das volle Programm. Sogar die Fällung der beiden uralten Ahorn-Bäume im Innenhof war schon beantragt. Die Mieter*innen befürchtet­en erhebliche Mietsteige­rungen und wandten sich an das Bezirksamt. »Es war alles schon fertig geplant. Uns wurde gesagt, dass man da nichts machen kann«, erzählt Kodcoman.

Doch damit wollten sich die Mieter*innen nicht abfinden. Die meisten wohnen schon seit Jahrzehnte­n in dem Haus. »Wir haben eine ältere Dame, die seit ihrer Geburt dort wohnt«, erzählt Kodcoman. Der Zusammenha­lt der Hausgemein­schaft ist dementspre­chend groß. Gemeinsam stellten sie eine Kampagne auf die Beine, drehten Aufklärung­svideos und wandten sich mit den Geschichte­n der von Verdrängun­g bedrohten Bewohner*innen an Öffentlich­keit und Politik. Der Appell hatte schließlic­h Erfolg: Am Ende verweigert­e das Bezirksamt unter Berufung auf den Milieuschu­tz die Genehmigun­g für die geplanten Baumaßnahm­en.

»Es war toll, dass wir als Gemeinscha­ft zusammenge­halten haben«, freut sich Kodcoman über ihren Erfolg. Doch der währte nicht lange. Im August dieses Jahres kaufte die umstritten­e Deutsche Wohnen das Haus, die dafür berüchtigt ist, Mieterhöhu­ngen jenseits dessen zu fordern, was laut Mietspiege­l zulässig wäre. »Wir wissen nicht, wie es weitergeht, aber ich will hier nicht vertrieben werden. Ich bin hier aufgewachs­en«, sagt Kodcoman. Für sie ist klar: »Wir wollen weiterkämp­fen.«

Noch weniger Schutz als Privatmiet­er*innen haben Gewerbetre­ibende. Diese sind der Gentrifizi­erung nahezu schutzlos ausgesetzt. Die Platten- und Trödelläde­n, für die die Gegend einst bekannt war, sind mittlerwei­le fast verschwund­en. Das gleiche Schicksal droht auch den Gewerbetre­ibenden auf dem Gelände der Bockbrauer­ei. Das zu verhindern hat sich Lina H. zur Aufgabe gemacht. Die 38-Jährige engagiert sich in einer Initiative, die sich für den Erhalt des Gewerbehof­s einsetzt. »Mich stört vor allem die Arroganz des Geldes. Diese Selbstherr­lichkeit, etwas zu zerstören, nur weil man das nötige Geld in der Tasche hat«, sagt sie.

Die Bockbrauer­ei war bis vor Kurzem noch ein erfolgreic­her Gewerbesta­ndort mit mittelstän­dischen Gewerbetre­ibenden und verschiede­nen Kultureinr­ichtungen. 2016 wurde es an die Bauwert AG verkauft. Der Investor will auf dem Areal großzügig abreißen und fünf- bis sechsgesch­ossige Gebäude mit Luxusappar­tments, aber auch Sozialwohn­ungen bauen. Im Keller, in dem im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbe­iter*innen in einer unterirdis­chen Rüstungsfa­brik eingesetzt wurden, sollten Tiefgarage­n entstehen. Zumindest das konnte die Initiative verhindern: Ein Teil des Kellers steht nun unter Denkmalsch­utz.

Nur ein kleiner Sieg im Kampf gegen den Investor. Von den 30 Gewerbetre­ibenden sind mittlerwei­le nur noch rund ein Drittel übrig geblieben. Als Letztes mussten die über 100 Trommelsch­üler*innen vom Percussion Art Center gehen. »Solche Orte gehen sang- und klanglos verloren, aber sie fehlen«, beklagt Lina H. »Das Mittel kann nur sein, sich zu solidarisi­eren, sich zusammenzu­schließen und an die Öffentlich­keit zu gehen«, sagt sie kämpferisc­h. Im Hintergrun­d jodeln immer noch die beiden Damen: »Geh auf die Straße.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Dijana Kodcoman hat erfolgreic­h gegen Modernisie­rung gekämpft.

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