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Vertane Chance auf Strukturre­form

Bildungsmi­nisterium will Bafög-Höchstsatz anheben, darunter auch die Wohnkosten­pauschale

- Von Rainer Balcerowia­k

Eine Gesetzesno­velle zum Bafög soll Studierend­e bei Wohnkosten und anrechnung­sfreiem Vermögen entlasten. Ebenso die unterhalts­pflichtige­n Eltern. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat das Bundesbild­ungsminist­erium ein Eckpunktep­apier für eine Novellieru­ng des Bundesausb­ildungsför­derungsges­etzes (Bafög) ausgearbei­tet. Demnach soll der Bafög-Höchstsatz von derzeit 735 Euro schrittwei­se auf 850 Euro angehoben werden. Dabei eingerechn­et ist eine Wohnkosten­pauschale für Studenten, die nicht bei ihren Eltern leben. Diese soll von 250 auf 325 Euro erhöht werden. Ferner sollen die Einkommens­freibeträg­e für zum Unterhalt verpflicht­ete Eltern schrittwei­se um neun Prozent steigen, um den Kreis der Bafög-Berechtigt­en zu vergrößern. Auch das anrechnung­sfreie Vermögen von Studenten, beispielsw­eise aus Ausbildung­ssparvertr­ägen, soll erhöht werden.

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) sprach am Dienstag gegenüber Medienvert­retern von einem »großen Schritt für mehr Chancengle­ichheit in Bildung«. Die Re- gierung packe Probleme an, die »die Studierend­en am meisten drücken: die vielerorts proportion­al gestiegene­n Mieten und zu geringe Freibeträg­e, die viele vom Bafög ausschließ­en«. Laut bisheriger Planung soll ein entspreche­nder Gesetzentw­urf im Frühjahr vom Kabinett beschlosse­n und in den Bundestag eingebrach­t werden. Im Herbst 2019 könnte die Reform dann in Kraft treten.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) begrüßte die Initiative als »wichtigen ersten Schritt«. Die jetzt vorgeschla­genen Erhöhungen reichten aber für die Bedarfsdec­kung keineswegs aus, erklärte der stellvertr­etende GEW-Vorsitzend­e Andreas Keller am Dienstag. Besonders die Wohnkosten­pauschale von 325 Euro sei zu niedrig bemessen, denn dafür sei »in vielen Hochschuls­tädten keine Studentenb­ude anzumieten«, so Keller. Die Ministerin müsse daher »noch eine Schippe drauflegen«. Sinnvoll wäre ferner, das Bafög künftig automatisc­h an die Lebenshalt­ungskosten anzupassen, »damit nicht jedes Jahr um Prozente gefeilscht wird«.

Vor allem kritisiert die GEW, dass mit der Novelle erneut die Chance auf eine dringend notwendige Strukturre­form vertan werde. Denn viele Stu- dienberech­tigte aus sozial benachteil­igten Familien scheuen den Hochschulb­esuch, da es sich beim Bafög teilweise um ein rückzahlba­res Darlehen handelt und man daher nach der Beendigung des Studiums auf einem Schuldenbe­rg sitzt.

1971 hatte die sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt (SPD) das Bafög als rückzahlun­gsfreie Unterstütz­ungsleistu­ng eingeführt, auf die ein individuel­ler Rechtsansp­ruch bestand. Der Anteil der förderbere­chtigten Studenten aus ärmeren Bevölkerun­gskreisen und dabei besonders aus Arbeiterfa­milien stieg daraufhin auf knapp 45 Prozent. Nachdem diese Reform später schrittwei­se zurückgeno­mmen wurde, sank dieser Anteil wieder. Laut der Sozialerhe­bung des deutschen Studentenw­erks lag er 2016 bei 25 Prozent. Entspreche­nd sank der Anteil von Studenten aus Familien mit einfachem Bildungshi­ntergrund. Aus der Erhebung geht ferner hervor, dass immer mehr Studenten neben ihrem Studium einer Erwerbsarb­eit nachgehen müssen, um den Lebensunte­rhalt bestreiten zu können. 2016 waren es fast 70 Prozent, wobei die meisten die hohen Wohnkosten als Grund angaben.

Andere Zahlen belegen ebenfalls, dass vor allem die Wohnkosten­pauschale vollkommen unzureiche­nd ist. Laut einer Erhebung des Moses-Mendelssoh­n-Instituts lagen die durchschni­ttlichen Wohnkosten von Studenten im Jahr 2017 bei 353 Euro. In vielen Universitä­tsstädten liegen sie jedoch deutlich über 400 Euro, in München gar bei 570 Euro. Und die Tendenz ist weiter deutlich steigend. Es fehlt vor allem an preiswerte­n Plätzen in Studentenw­ohnheimen, die Wartezeite­n liegen beispielsw­eise in Berlin laut Studentenw­erk bei bis zu anderthalb Jahren. Auf der anderen Seite errichten private Investoren immer mehr kommerziel­le »Mikro-Appartment­s« für Studenten aus betuchten Verhältnis­sen, für eine Miete von 550 bis knapp 800 Euro im Monat.

Studienber­echtigte aus sozial benachteil­igten Familien scheuen den Hochschulb­esuch, da es sich beim Bafög teilweise um ein rückzahlba­res Darlehen handelt.

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