Ökostrom in den weißen Dörfern
Andalusien ist Vorreiter in Spanien bei der Energiewende, die zunehmend dezentral stattfinden soll
Jahrelang hat der Ausbau der erneuerbaren Energien in Spanien stagniert. Das beginnt sich zu ändern. Ein Vorreiter dabei ist Andalusien, wo Wind, Sonne und Biomasse im Überfluss vorhanden sind. Neben dem Durchlauferhitzer im Apartment prangt ein Aufkleber mit dem Schriftzug »Gespeist aus regenerativen Energien«. Der Vermieter nickt, als er meinen fragenden Blick darauf ruhen sieht. »Sí, sí, unten im Tal, acht Kilometer entfernt steht ein Solarpark. Und in den nächsten ein bis zwei Jahren wird hier auch noch ein weiterer Windpark entstehen«, sagt Emilio Buenaventura. Er lebt in Vejer de la Frontera, einem der malerischen weißen Dörfer Andalusiens. Die südlichste Region Spaniens hat optimale Bedingungen für die Erzeugung von Energie aus regenerativen Quellen. Wind weht vor allem an der Atlantikküste verlässlich, Biomasse fällt bei der Getreide-, Wein und Olivenproduktion reichlich an, und bei der Sonneneinstrahlung liegt Andalusien europaweit gut im Rennen.
Das hat sich die Regionalregierung in den vergangenen Jahren zunutze gemacht. Anders als die Zentralregierung in Madrid stellte sie die Weichen in Richtung einer klimaverträglichen Energiepolitik: mit verringertem Einsatz fossiler Brennstoffe und mehr Energieerzeugung auf Basis der Erneuerbaren.
Dafür ist der Solarpark an der Straße von Vejer de la Frontera in Richtung Caños de Meca ein gutes Beispiel. Bereits Ende 2008 fertiggestellt, schimmern die Solarpanels so viele Stunden wie möglich in der Sonne. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die 301 Masten, die auf einer Fläche von 45 Hektar stehen und auf denen 46 600 Solarmodule montiert sind, sich nach dem Stand der Sonne ausrichten. Vollautomatisch folgen ihr die Module, ermöglicht durch die bewegliche, an einen Baum erinnernde Konstruktion. Dies sorgt für 40 Prozent höhere Energieerträge.
Der Strom wird weiter oben in Vejer de la Frontera konsumiert. Zehn Megawatt Leistung hat die Anlage, auf 20,5 Millionen Kilowattstunden wird die jährliche Produktion taxiert. Genug, um 6000 Haushalte mit Energie zu versorgen. Darunter auch den von Emilio Buenaventura. Der schätzt die energetischen Optionen der Region und begrüßt die im Juni bekannt gegebene Errichtung eines neuen Windparks in der Umgebung. Es existieren bereits mehrere in der Region wie zum Beispiel »Los Granujales«. Eingeweiht 2011, besteht die Anlage aus zwölf Windrädern mit je zwei Megawatt Leistung. Die Wind- und Solarparks machen die Region energetisch unabhängig, Überschüsse werden ins Netz eingespeist. Das gefällt Buenaventura. »Unser Wind-Hotspot liegt aber weiter südlich bei Tarifa, da geh ich auch oft Kitesurfen«, sagt der sportliche Mann mit dem grau melierten Vollbart.
Von Tourismus, Weinanbau und anderen Agrarprodukten wie Olivenöl lebt die Region in erster Linie. Doch der Ausbau nachhaltiger Energieanlagen schafft mehr und mehr Arbeitsplätze in der Umgebung. 147 Windparks gab es laut der andalusischen Energieagentur Ende Juni 2018. Und die spanische Pionierregion in Sachen Windkraftnutzung heißt Cádiz. Hier entstanden Anfang der 1990er Jahre die ersten Windparks, und heute werden 39,4 Prozent der in Andalusien generierten Windenergie in der Region an der Atlantikküste erzeugt. Derzeit sind Anlagen mit einer Gesamtleistung von 1309 Megawatt installiert; Dutzende von Windparks sollen in den nächsten zwei Jahren hinzukommen.
Mehrere davon auch rund um die windigste Ecke Andalusiens: Tarifa. Vom Surferparadies an der Straße von Gibraltar aus kann man die marokkanische Küste sehen, und Tagesausflüge nach Tanger gehören zum touristischen Angebot der Kleinstadt. Die ist umgeben von mehreren Dutzend Windparks, denn der Wind bläst nahezu zuverlässig rund um die Uhr. Optimale Bedingungen für die Windindustrie, die derzeit alte Anlagen durch neue leistungsfähigere ersetzt. Kräne sind auf dem Weg nach Tarifa links und rechts der Straße zu sehen, Trucks schaffen die monströsen Einzelteile heran, von den Propellern bis zu den Masten, die dann vor Ort montiert werden. Auch der Rostocker Windanlagenhersteller Nordex ist mit von der Partie und ersetzt im Windpark El Cabrito alte Anlagen durch neue leistungsfähigere Türme. Weniger Windräder, aber mehr Ertrag lautet das Motto rund um Tarifa, wo zu Beginn der 1990er Jahre die ersten Anlagen entstanden. Derzeit gibt es hier laut der »Unternehmervereinigung Wind« nicht weniger als 40 Windparks mit 951 Windrädern.
Trotzdem hat Andalusien bei der Windkraft im nationalen Ranking die Spitzenposition eingebüßt. Die drei Regionen Kastilien und León, Kastilien-La Mancha sowie Galizien haben aufgeholt und Andalusien bei der installierten Leistung teilweise übertrumpft. Das könnte sich in naher Zu- kunft aber schon wieder ändern: Zum einen stecken viele Projekte wie der bereits erwähnte neue Windpark nahe Vejer de la Frontera in der Planungsphase, zum anderen setzen die Politiker der Regionalregierung auf den weiteren Ausbau von regenerativen Energieträgern. Das laufende Programm wurde 2014 aufgelegt und soll bis 2020 die Nutzung von fossilen Brennstoffen um 25 Prozent senken, während parallel dazu der Anteil der Energiegenerierung aus erneuerbaren Energieträgern markant steigen soll. Dieses Programm wurde gegen den Trend in der Madrider Nationalregierung aufgelegt, wo die konservative Partido Popular ab 2012 die Rahmenbedingungen für die Nutzung der erneuerbaren Energieträger deutlich verschlechterte.
Das beginnt sich seit dem Wechsel zu einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung nicht nur durch den Fall der »Sonnensteuer« langsam zu ändern, der kleinen dezentralen Energieprojekten, die Überschüsse ins nationale Netz einspeisen wollen, wieder Perspektiven geben würde. Viele hoffen auf einen Schub für die Nutzung der regenerativen Energieträger. Und zwar nicht nur von oben durch Großunternehmen wie Iberdrola, Siemens Gamesa und Co., sondern auch von unten durch Kleinbetriebe, Haushalte und vor allem Haushaltsgemeinschaften.
Ein gutes Beispiel für Initiativen von unten ist »Oleada Solar«. Die Mitglieder nutzen das Ergebnis einer Klage der katalanischen Regionalregierung vor dem Verfassungsgericht. Diese prozessierte gegen das von der Nationalregierung erlassene Verbot des »autoconsumo distribuido« und gewann im Juli 2017. Fortan war es nicht mehr unzulässig, Solarstrom in der Nachbarschaft zu verkaufen. Und auch die genossenschaftliche Erzeugung von Solarstrom ist seither legal und wird nicht mehr wie früher bestraft. Das hatte sofort einen beeindruckenden Effekt. Die 2017 gegründete Initiative »Oleada Solar«, die den kostengünstigen Gemeinschaftseinkauf von Solaranlagen organisiert, hat bis zum Dezember 2017 mehr als 100 Anlagen installiert.
Soziales, solidarisches Wirtschaften wird in dem landesweiten Netzwerk großgeschrieben. Dies ist ein Beispiel für die Dezentralisierung der Energiegewinnung, die zukünftig für einen Boom der Solaranlagen sorgen könnte, meint Hartwig Berger, der lange das Naturschutzwerk Ökowerk in Berlin leitete und sich im spanischen Energiesystem auskennt. »Ich hoffe auf eine dezentrale Bürgerenergiewende, denn die Effekte des Klimawandels sind in Spanien längst zum Problem geworden.« Berger hat zusammen mit der Universität Cádiz ein Projekt auf die Beine gestellt, welches auf den steigenden Bedarf an Klimaexperten aufmerksam machen soll. Bisher haben sich die neuen Energien und deren Nutzung noch viel zu wenig in Jobs in der Region niedergeschlagen. Das soll sich ändern.
Der Druck, mehr zu machen, ist durchaus da, denn die Dürreperioden der vergangenen Jahre haben die Pegelstände der Stauseen und damit auch die Stromerzeugung durch Wasserkraft sinken lassen. Die fehlenden Mengen werden meist durch den Einsatz fossiler Energieträger aufgefangen, wodurch die Treibhausgasemissionen ansteigen und der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromerzeugung sinkt. Das ist seit 2015 der Fall und auch ein Grund, weshalb Energie knapp ist. Dem steuert die Politik nun langsam mit der Bewilligung neuer Anlagen und der Streichung restriktiver Vorgaben für die Erneuerbaren entgegen. Für viele Experten und für Bürger wie Emilio Buenaventura ein überfälliger Schritt.