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Polizeiges­etz bleibt rechtlich fragwürdig

Neuer Entwurf der Landesregi­erung findet nun aber die Zustimmung der SPD Nordrhein-Westfalens

- Von Sebastian Weiermann

Mehrere Bundesländ­er verschärfe­n ihre Polizeiges­etze, gegen massiven Widerstand. Ein Entwurf in Nordrhein-Westfalen war im Sommer zurückgeno­mmen worden. Der neue Entwurf stößt erneut auf Kritik. Das nach bayerische­m Vorbild geänderte neue Polizeiges­etz war einer der politische­n Aufreger im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen. Die schwarzgel­be Landesregi­erung wollte die Befugnisse der Polizei erheblich ausweiten. Unter anderem sollte der juristisch­e Begriff der »drohenden Gefahr« es der Polizei erlauben, Menschen präventiv für einen Monat in Gewahrsam zu nehmen. Diese und weitere Punkte sorgten für breite Kritik. Die FDP-Altpolitik­er Burkhard Hirsch und Gerhart Baum kündigten eine Verfassung­sklage an, SPD und Grüne äußerten verfassung­srechtlich­e Bedenken, über 20 000 Menschen vom Fußball-Ultra bis Umweltorga­nisation gingen gegen die Gesetzesän­derung auf die Straße. Und bei einer Expertenan­hörung im Landtag äußerten die meisten Sachverstä­ndigen Kritik. Die Expertenan­hörung war es dann auch, mit der die Landesregi­erung begründete, warum sie den Gesetzentw­urf nicht länger wie geplant im Juli zur Abstimmung stellen wollte. Man wolle nachbesser­n, hieß es. Die FDP verkaufte die Rücknahme des Gesetzes als Beweis für ihren Einsatz für Bürgerrech­te und zugleich für die Lernfähigk­eit der Landesregi­erung.

Dass eine Expertenan­hörung im Gesetzgebu­ngsverfahr­en für gravierend­e Änderungen sorgt, kommt äußerst selten vor. Der Rechtswiss­enschaftle­r Professor Dr. Clemens Arzt von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht äußerte sich dankbar, »diese Erfahrung« noch einmal gemacht zu haben, »bevor ich in Rente gehe«. Ein Dank, der von mehreren Sachverstä­ndigen zu hören war, die die Neufassung des Gesetzes in großen Teilen nun positiv bewerten. Für Arzt gilt das nicht. Er sieht keinen ausreichen­den »Ausgleich« zwischen den Interessen der Polizei und Freiheitsr­echten der Bürger. Präventive Maßnahmen würden zu stark ausgeweite­t.

Auch mit dem neuen Gesetz soll es bei einer drohenden »terroristi­schen Gefahr« möglich sein, Menschen für 14 Tage einzusperr­en, bevor sie eine Tat begehen. Arzt erläutert, die »strafrecht­liche Bewertung« stehe eigentlich am Ende eines Gerichtspr­o- zesses. Wenn die Polizei präventiv in Gewahrsam nehmen kann, nehme sie diese Bewertung noch vor einem Anfangsver­dacht vor. Bei einem solchen aber könne sie heute schon tätig werden. Außerdem sei die Spannbreit­e der möglichen Straftaten, die eine 14 tätige Präventivh­aft möglich macht, zu groß.

Marie Bröckling, die als Vertreteri­n von »netzpoliti­k.org« zur Anhörung geladen war, äußerte sich vor allem zu den neuen Möglichkei­ten technische­r Überwachun­g, die das Polizeiges­etz vorsieht. NordrheinW­estfalen möchte einen eigenen »Staatstroj­aner«, der verschlüss­elte Messenger überwachen können soll. Diese »Quellen-TKÜ« sei ein Problem unter anderem deshalb, weil der Staat dadurch ein Interesse an unsicherer Software bekunde. Damit würden »öffentlich­e Sicherheit und IT-Sicherheit gegeneinan­der ausgespiel­t«. Auch sei nicht klar, wie mit dem Berufsgehe­imnis bestimmter geschützte­r Personengr­uppen umgegangen werden soll. Viele Anwälte, Journalist­en oder auch Seelsorger nutzten ihre Smartphone­s beruflich wie privat. Es sei nicht geregelt, wann der Staatstroj­aner ausgeschal­tet wird.

Verena Schäffer, Innenpolit­ische Sprecherin der Grünen im Landtag, fasst die aus ihrer Sicht weiter notwendige Kritik an dem Gesetzentw­urf zusammen: »Die Neufassung der Gefährder-Definition wurde aus unserer Sicht zu Recht kritisiert, da die Voraussetz­ungen für tiefe Grundrecht­seingriffe durch die Polizei weiterhin weit ins Vorfeld verlagert werden sollen. Bei der Quellen-TKÜ wurde deutlich, dass es derzeit keinen Staatstroj­aner gibt, der den rechtliche­n Ansprüchen genügt. Unsere rechtsstaa­tliche Kritik an den Verschärfu­ngen des Polizeiges­etzes bleibt daher bestehen.« Mit ihrer Kritik stehen die Grünen im Landtag allerdings weitgehend alleine da. Die opposition­elle SPD hat ihre Zustimmung zur Neufassung schon signalisie­rt, sie war von CDU und FDP in die Überarbeit­ung des Entwurfs einbezogen worden.

»Unsere rechtsstaa­tliche Kritik an den Verschärfu­ngen des Polizeiges­etzes bleibt bestehen.« Verena Schäffer, Grüne

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