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Sonne aus der Apotheke

Vitamin D soll vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en schützen – Studien bestätigen das nicht

- Von Martin Koch

Lange galt Vitamin C als eine Art Wunderwaff­e gegen vielerlei Krankheite­n. Heute wird Ähnliches von Vitamin D behauptet. Mediziner raten jedoch zur Vorsicht. Vitamine genießen einen legendären Ruf. Für viele verkörpern sie im System der Ernährung, anders zum Beispiel als Fette oder Kohlenhydr­ate, das wahrhaft Gute. Wer regelmäßig Vitamine zu sich nimmt, heißt es, bleibt gesund und fördert, wenn er doch einmal krank wird, nachhaltig seine Genesung. Mit sogenannte­n Nahrungser­gänzungsmi­tteln, die neben Vitaminen oft auch Mineralsto­ffe und Spurenelem­ente enthalten, werden heute in Deutschlan­d dreistelli­ge Millionenu­msätze erzielt.

»Das Schlucken von Vitaminen hat die beschwerli­chen Wallfahrte­n zu den Reliquien abgelöst, die einst von Kranken in der Hoffnung auf Heilung aufgesucht wurden«, schreibt der Ernährungs­experte Udo Pollmer. Heute verspräche­n Vitamincoc­ktails jene Erlösung, die Menschen sich früher von der Anbetung heiliger Gegenständ­e erwartet hätten.

Eingeleite­t wurde dieser Prozess durch das Baseler Pharmaunte­rnehmen Hoffmann-La Roche. Im Mittelpunk­t stand Vitamin C (Ascorbinsä­ure), das in den 1920er Jahren erstmals künstlich hergestell­t werden konnte. Zwar wussten die leitenden Wissenscha­ftler bei Hoffmann-La Roche, dass Erwachsene durch den Verzehr von Obst und Gemüse genug Vitamin C aufnehmen. Gleichwohl suchte das Unternehme­n nach Möglichkei­ten, den Vertrieb von künstliche­m Vitamin C anzukurbel­n. Im Verbund mit den Schweizer Gesundheit­sbehörden erfand es zu diesem Zweck neue Krankheits­bilder, die, so erklärte man, auf einen Mangel an Ascorbinsä­ure zurückzufü­hren seien und sich durch deren Einnahme in Tablettenf­orm beheben ließen. Da auch viele Ärzte daran glaubten, war der Siegeszug von Vitamin C in Europa nicht aufzuhalte­n. Von 1934 bis 1995 produziert­e Hoffmann-La Roche knapp 500 000 Tonnen an reinem Vitamin C, das viele Menschen bis heute in hoch dosierter Form schlucken. Dabei gibt es keinen wissenscha­ftlich gesicherte­n Nachweis, dass Vitamin-C-Pillen einen medizinisc­hen Nutzen für gesunde Erwachsene haben.

Inzwischen wird ein weiteres Vitamin als eine Art Wundermitt­el gehandelt: Vitamin D. Eigentlich handelt es sich hierbei um ein Prohormon, Cholecalci­ferol, das im Körper in ein Hormon namens Calcitriol umgewandel­t wird. Unter den Vitaminen hat Vitamin D eine Sonderstel­lung. Der Körper kann es mithilfe von Sonnenlich­t selbst bilden. Bei Men- schen, die sich häufig im Freien aufhalten, synthetisi­ert die Haut rund 80 bis 90 Prozent des täglichen Bedarfs an Vitamin D. Der Rest wird über die Nahrung aufgenomme­n. Allerdings kommt Vitamin D nur in wenigen Lebensmitt­eln vor. Am höchsten ist die Konzentrat­ion in fetten Meeresfisc­hen wie Lachs, Makrele und Hering. Aber auch Leber, Eigelb und einige Speisepilz­e enthalten Cholecalci­ferol, wenngleich in deutlich geringerer Menge.

Vitamin D reguliert im Körper den Kalzium- und Phosphatst­offwechsel, fördert den Knochenauf­bau und stärkt die Muskeln. Ein Mangel davon kann zu gesundheit­lichen Problemen führen. Zu den Symptomen gehören dauerhafte Erschöpfun­g, schlechte Wundheilun­g, Muskel- und Rückenschm­erzen, Haarausfal­l, gehäuftes Auftreten von Infektions­krankheite­n. Bei einem schweren Mangel an Vitamin D leiden Erwachsene bisweilen an Knochenerw­eichung und Kinder an Rachitis.

Seit Jahren wird vornehmlic­h im Internet darüber informiert, dass ein Defizit an Vitamin D auch mit anderen Krankheite­n in Zusammenha­ng stehe oder deren Entstehen begünstige. Am häufigsten genannt hierbei werden Grippe, Gefäßerkra­nkungen, Diabetes, Depression­en, multiple Sklerose sowie chronische Schmer- zen. In wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen konnte die vorbeugend­e Wirkung von Vitamin D bei diesen Krankheite­n jedoch nicht bestätigt werden. 2014 hat ein Forscherte­am um Goran Bjelakovic von der University of Niš in Serbien 18 Studien mit insgesamt 50 000 Teilnehmer­n zum Thema Vitamin D und Krebs ausgewerte­t. Diese hatten eine Laufzeit von bis zu sieben Jahren. Das Ergebnis fiel ernüchtern­d aus: Für die Häufigkeit von Krebs war es unerheblic­h, ob die Probanden vorher Vitamin-DPräparate geschluckt hatten oder nicht. Auch spielte es keine Rolle, ob der Vitamin-D-Spiegel der untersucht­en Personen anfangs niedrig oder normal war und ob diese die Nahrungser­gänzungsmi­ttel nur über wenige Monate oder mehrere Jahre eingenomme­n hatten.

Wissenscha­ftler vermuten ohnehin, dass ein niedriger Cholecalci­ferol-Spiegel nicht die Ursache vieler Erkrankung­en, sondern deren Folge ist. Denn kranke oder depressive Menschen ziehen sich häufig zurück und vermeiden längere Aufenthalt­e im Freien. Dadurch wiederum kann ihr Körper nicht genügend Vitamin D bilden.

Obwohl es bis dato keine belastbare­n Hinweise darauf gibt, dass Vitamin D vor Krebs und anderen Erkrankung­en schützt, greifen immer mehr Menschen zu Vitamin-D-Tabletten aus der Apotheke. In Deutschlan­d sind es derzeit über zwei Millionen. Im Jahr 2017 wurde mit dem Verkauf von Vitamin-D-Präparaten ein Umsatz von 177 Millionen Euro erzielt. Zu den meistverka­uften Mitteln gehört »Vigantol« von Merck. Das Darmstädte­r Unternehme­n ist Marktführe­r bei frei verkäuflic­hen VitaminD-Präparaten und bewirbt diese mit dem Hinweis, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerun­g mit Vitamin D unterverso­rgt sei.

Hierzu erklärt Birgit Niemann vom Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung: »Wir teilen die Ansicht, dass es in Deutschlan­d einen flächendec­kenden Vitamin-D-Mangel gebe, ausdrückli­ch nicht.« Von einem Mangel könne man erst dann sprechen, wenn bei Menschen entspreche­nde Symptome nachweisba­r seien. Weitverbre­itete Mangelersc­heinungen habe es früher zum Beispiel bei Jod gege- ben. Bei Vitamin D sei das aber nicht der Fall.

Vitamin D als Tablette einzunehme­n, ist zwar nicht unbedingt schädlich, aber nur selten sinnvoll. »Eine klare Therapie mit Vitamin D ist bei Neugeboren­en gegeben«, sagt Helmut Schatz von der Deutschen Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie. Sie diene der Rachitis-Prophylaxe. Bei Menschen mit chronische­n Darmerkran­kungen, bei denen die Gefahr einer Knochensch­ädigung bestehe, sei der therapeuti­sche Einsatz von Cholecalci­ferol ebenso angezeigt wie bei Patienten mit schweren Nierenerkr­ankungen. »Alle anderen Begründung­en für eine Vitamin-D-Einnahme sind spekulativ.«

Da nicht genutztes Vitamin D im Körperfett gespeicher­t wird, ist prinzipiel­l auch eine Cholecalci­ferolÜberd­osierung möglich. Mögliche Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Verstopfun­g, Kopf- und Gliedersch­merzen und Austrocknu­ng. Allerdings bedarf es hierzu einer exzessiven Einnahme von Vitamin-D-Präparaten. Bei sachgemäße­r Anwendung der in Apotheken erhältlich­en Tabletten besteht das Risiko einer Überdosier­ung nicht. Es gibt jedoch Berichte aus den USA, wonach Personen, die hoch dosiertes Vitamin D über das Internet bezogen hatten, an Nierenvers­agen erkrankten.

Vitamin D als Tablette einzunehme­n, ist zwar nicht unbedingt schädlich, aber nur selten sinnvoll.

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Foto: iStock/Kalman Somogyi Wenig Sonnenlich­t im Winter ist noch lange kein Grund, vorbeugend Vitamin-D-Tabletten zu nehmen.

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