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Menetekel WLTP

Kurt Stenger über eine überrasche­nde Erklärung des Wachstumse­inbruchs

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Die Bundesbank glaubt zu wissen, warum das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) nach längerer Boomphase zuletzt wieder geschrumpf­t ist: Die Autoindust­rie hat die Umstellung auf den neuen Abgasprüfs­tandard WLTP vergeigt. Das ist natürlich stark übertriebe­n, aber aus monetarist­ischer Sicht ist der Einbruch eben unerklärba­r: Der Staat ist defizitfre­i, die Wirtschaft auf Export getrimmt, die Inflation niedrig – wie kann das BIP da den Rückwärtsg­ang einlegen?

Genau in dem, was die Bundesbank predigt, liegen die tieferen Ursachen. Der Staat zieht sich aus seiner Verantwort­ung für Konjunktur und Beschäftig­ung zurück, macht sich abhängig von Auslandsna­chfrage. Ein einziger Donald Trump kann da schon die Aussichten verhageln. Die Weigerung des Staates, die Binnennach­frage zu stärken, sorgt eben nicht nur für berechtigt­en Ärger aus dem Ausland, sondern auch für ein maues BIP.

Was die Bundesbank ebenfalls nicht versteht, ist die Bedeutung der WLTPSache. Emissionsä­rmere Autos sind kein Wachstumsh­emmnis, sondern eine Herausford­erung. Wirtschaft­swachstum muss künftig klimavertr­äglich sein, denn anders sind die eigenen Klimaziele nicht zu erreichen. Es wird die wirtschaft­spolitisch­e Gretchenfr­age sein, wie BIP-Wachstum, soziale Gerechtigk­eit und Dekarbonis­ierung unter einen Hut zu bringen sind. Und so sind die Auswirkung­en des WLTP-Debakels statistisc­h kein Drama, aber ein Menetekel.

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